© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/97  21. November 1997

 
 
Verschwörungstheorien: Einfache Erklärungsmuster haben Hochkonjunktur
Zwischen Wahn und Wirklichkeit
von Jürgen Hatzenbichler

Der Kärntner FPÖ-Politiker Martin Strutz sorgte für einen Sturm im Wasserglas. "Die Mitgliedschaft in einer Freimaurerloge und die Ausübung eines Regierungsamtes sind absolut unvereinbar", richtete Strutz Richtung Landeshauptmann-Stellvertreter Michael Ausserwinkler (SPÖ) aus. Dieser hatte in der Zeitschrift Kärntner Monat erklärt, daß er ein "ehemaliger Freimaurer" sei. Flink konterte Strutz, daß diese Entledigung des "freimaurerischen Ballastes" nicht funktioniere, denn eine "Wiederaufnahme ist jederzeit möglich und erfolgt sehr schnell und absolut formlos". Nicht einmal Bürgen brauche man da, kein Vorprüfungskomitee, keine strenge Prüfung vor drei Freimaurern. Kundig verwies der Kärntner FPÖ-Klubobmann auf die "Konstitution der Großloge von Österreich", nach der ein ehemaliger Freimaurer auch flugs wieder aktiver Logenbruder werden kann. Strutz fordert ein "Offenlegungsgesetz von Vereinsmitgliedschaften für Politiker". In die selbe Kerbe schlägt nun auch der große Bruder, der Klubobmann der Freiheitlichen im Parlament, Ewald Stadler. Verschwörungstheorien? Nie und nimmer!

Für den spezifischen Kärntner Fall mag das auch stimmen. Immerhin hat es dort Skandale gegeben, in die Personen involviert waren, die sich aus den entsprechenden Logen sehr gut kannten. Strutz: "Wie sich der Einfluß der Freimaurerei auf politische Entscheidungen und auch Entscheidungen der Gerichte ausgewirkt hat, wurde am Magdalenskandal und zuletzt am Skandal rund um den Bau der Karawankenautobahn mehr als deutlich."

Vor allem die rote Garde des südlichsten österreichischen Bundeslandes trifft sich in den Logen. Ex-Landeshauptmann Leopold Wagner war ebenso "Maurer" wie sein Amtsnachfolger Peter Ambrozy, diverse Landesräte und sonstige Prominenz des Landes. Und es gilt als offenes Geheimnis, daß für gewisse Posten die Logenbruderschaft fast zwingend erforderlich ist. Verschwörungstheorien? Nie und nimmer!

 

Einzelgänger, die kopierte Zettel verteilen

Der Schritt von der Wirklichkeit zum Wahn ist allerdings ein kleiner, die Grenzen dazwischen sind manchmal fließend. So interessant einerseits die Zusammenhänge zwischen Personen und Gruppen in der Gesellschaft sind, so wichtig es auch ist, um das "Wer-mit-wem" zu wissen, ebenso schnell kann eine derartige Analyse abgleiten in Verschwörungstheorien, die vordergründig schlüssig, hintergründig aber nichts als Blödsinn sind.

Wer kennt sie nicht, die monomanischen Einzelgänger, die, kopierte Zettel verteilend, "aufklären". Über was, das wird beliebig. Manch einer weiß eine Woche früher, was die berühmten "Zehn Weisen von Zion" nächste Woche beschließen werden. Ein anderer kennt ganz genau die "Drahtzieher im braunen Netz", auch wenn es diese "Drahtzieher" und die "braunen Zellen" nur in den "kleinen grauen Zellen" im Kopf des Autors existieren. Politische Mythen dieser Art gibt es auf beiden Flügeln des politischen Spektrums. Strukturell sind sie sich so frappierend ähnlich, daß man nur die Namen und Bezeichungen auszutauschen braucht, und sie "arbeiten" genauso wie die gegenteiligen Mythen.

Rechte bedienen sich vornehmlich an internationalistischen Feinden, an Freimaurern und Juden. Damit ist das Feindbild für die meisten ziemlich hoch angesetzt. An so manch einem Stammtisch wird über Verschwörungen geredet, die den einzelnen bedeutungslos erscheinen lassen, die ihn aber dafür exkulpieren, daß rundherum alles "so schlecht" ist. Man weiß, wer dahinter steht: "Die Juden sind schuld!", ist ein Spruch, der seine Tradition hat, auch wenn er heute eher hinter vorgehaltener Hand von Mund zu Ohr wandert. Die Literatur dazu ist vorhanden.

Den "Klassiker" namens "Handbuch der Judenfrage", dessen ursprünglicher Titel von 1887 offenherzig "Antisemiten-Catechismus" war, herausgegeben vom Vater des politischen Antisemitismus, Theodor Fritsch, kriegt man allemal im Reprint. Auch die berühmt-berüchtigten "Protokolle der Weisen von Zion" sind zu haben: diverse "Samisdat-Ausgaben", oft aus Amerika, sind ebenso beliebt wie die englischsprachige Ausgabe, die bezeichnenderweise vom Informationsministerium des fundamentalistisch-islamischen Iran ediert wurde.

Aber nur die wenigsten der "Protokolle"-Leser dürften wissen, daß es auch die literarische Vorlage für die Protokolle gibt. Maurice Jolys "Ein Streit in der Hölle" war ein fiktives "Gespräch zwischen Machiavelli und Montesquieu über Macht und Recht". Die Streitschrift für die Demokratie aus dem Jahr 1864 diente dem zaristischen Geheimdienst als Vorlage für die gefälschten "Protokolle". 160 Passagen aus dem äußerst lesenswerten Buch wurden entnommen und mit Erweiterungen zu den "Protokollen der Weisen von Zion" vermantscht. Für Gläubige ist das der Beleg für die Ziele "der Semiten", daß sie eine absolut üble Weltherrschaft errichten wollen. Und wenn sie als Beweis herhalten mußten, hat man sich auch nicht immer um die Echtheit geschert. Daß Nicht-Antisemiten und Juden behaupten, daß die "Protokolle" gefälscht sind, fand schon Adolf Hitler als den "beste(n) Beweis dafür, daß sie echt sind". Wer glaubt, läßt sich nicht abbringen, und wenn er seine Argumentation mit einem Zirkelschluß belegen muß, so ist das nur logisch.

Aber Verschwörungstheorien gehen so weit, daß selbst die größten Verschwörungstheoretiker irgendwann einmal in die besagte Gasse kommen. In Des Griffins Buch mit dem allessagenden Titel "Wer regiert die Welt", einer jüngeren Anknüpfung an die "Protokolle", 1984 in der Schweiz aufgelegt, bekommt sogar der "Führer" sein Fett weg. Auf eine Passage aus dem Politischen Testament Hitlers ("Trotz aller Schwere bin ich davon überzeugt, daß wir bei diesem Kampf den Sieg erringen werden."), datiert einen Monat vor Hitlers Selbstmord, kontert der Autor: "Meinte Hitler mit ‘wir’ die internationalen Banker?" Im selben Verlag wurde dementsprechend auch ein Buch publiziert, das ganz eindeutig feststellt: "So wurde Hitler finanziert". Die Antwort in Kurzform: "Die Juden sind schuld."

Skurrile Rückkoppelungen aus diesem Schrifttum in die Wirklichkeit kann man aber auch an anderen Ecken finden. So, wenn der Neo-FPÖ-Europa-Abgeordnete und Jude Peter Sichrovsky mit älteren Herren darüber diskutieren muß, daß auch an Hitler "die Juden" schuld sind. Andererseits, wenn er erleben mußte, wie er vom "aufgeklärten" Gegner in Verwendung des antisemitischen Klischees zu "Haiders Alibi- oder Hof-Juden" herabgewürdigt wurde. Gerade an der Diskussion um Sichrovskys FPÖ-Engagement hat sich gezeigt, wie auch Anti-Antisemiten schnell ins Antisemtische zurückkippen können, wenn es nötig ist. Frei nach dem Motto: "Sowas darf ein Jude nicht machen."

Verschwörungstheorien befruchten sich gegenseitig. Das beste Beispiel dafür ist wohl der US-Roman "Turner Diaries", eine fiktive Geschichte von einer weißen Terrorgruppe, die sich gegen Juden und Freimaurer erhebt, selbst eine Verschwörung bildet, die letztendlich in einer Weltrevolution endet, im Zuge derer alles ausgerottet wird, was nicht weiß ist. Nach dem Vorbild dieses Buches verschwor sich nicht nur eine rassitische Terrorgruppe, die sich "Silent Brotherhood" nannte und vor ihrer Zerschlagung einige Banküberfälle und Morde durchführte, auch Timothy McVeigh, der Oklahoma-Attentäter, handelte nach Romanvorlage. Gerade dieser Anschlag führte aber wiederum dazu, daß die Linke eine "Verschwörung des Hasses" konstruierte, die allmächtig quer durch die ganze USA reicht: rassistische Sekten, militaristische Milizen, antisemitische Steuerstreikbewegungen und der Ku-Klux-Klan wurden plötzlich als sozusagen "international-nationalistische Weltverschwörung" geoutet.

 

Manche Realität dürfte nur im Internet bestehen

Wer sich mit der Existenz all dieser Organisationen nicht begnügen wollte, der konnte jederzeit die Verschwörungsphantasien noch weiter mythisieren, indem er dem Gegner eine virtuelle Existenz andichtete: So manche Realität dürfte nur im Internet bestehen, in Datenbanken, die etwas vorspiegeln, was es so gar nicht gibt. Immerhin: Noch ist das Netz unzensiert, aber schon längst ranken auch hier die Mythen. Gerade rund um die bösen Inhalte des Internets, zum Beispiel Pornographie, Bombenbaupläne, Nazi-Propaganda etc., haben Medien einen Wirbel gemacht, der in keiner Relation zu den entsprechenden Inhalten im Internet steht. Das Bedrohliche rückt in den Vordergrund: das elektronische Medium, in dem alles so unkontrollierbar ist; keine Zensur, also schlichtweg gefährlich. Böse Theorien verschwörungstheoretischer Art findet man auch hierzulande genügend. Gerade der Wirbel rund um die Terroranschläge der ominösen "Bajuwarischen Befreiungsarmee" (BBA) hat da viele Blüten treiben lassen. Die Ermittlungen der Behörden gingen anfangs quer durch die Reihen der Rechten und extremen Rechten. Aber da war, entgegen der Beteuerung linker Journalisten, die die Ermittlungen wesentlich in die falsche Richtung lenkten, schlichtweg nichts zu finden. Die Netzwerke der Rechten, erträumt in den Köpfen von Antifa-Journalisten, erwiesen sich als ziemlich inexistent. Dafür präsentierte FPÖ-Klubobmann Ewald Stadler, derselben Logik folgend, das Gegenstück, das "Netzwerk der Linken". Freilich nur eine "Arbeitshypothese", aber trotzdem eine treffliche Retourkutsche. Doch die Kästchen mit den Verbindungslinien hatten für beide Seiten einen etwas zu hohen Abstraktionswert, als daß sie zu mehr wert gewesen wären als für politische Spielchen.

Doch solche erfreuen sich in Österreich zunehmender Beliebtheit von beiden Seiten her. Hans-Henning Scharsachs "Haiders Kampf" zum Beispiel ist eine Schrift, die im Bestreben, die FPÖ als Nazi-Partei darzustellen, die Wirklichkeit bis zur Unkenntlichkeit verzerrt. Der Verkaufserfolg paßt zu dem anderer verschwörungstheoretischer Bücher. Es geht aber auch wissenschaftlicher, also mit Fußnoten: das "Handbuch des österreichischen Rechtsextremismus", herausgegeben vom offiziösen Privatverein "Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands" (DÖW), beweist auch anhand selbst festgelegter Kriterien, wie gewaltig und dicht die extreme Rechte in Österreich ist. Der ideologische Zirkelschluß vermindert den Wert des Werkes eklatant, lockte aber zur Nachahmung heraus. Wer wissen will, wie die "böse Linke" funktioniert, der kann zu "Molotow-Müsli" greifen, wo von rechts die "marxistische Vergangenheit und Gegenwart der ‘Grün’-Alternativen" beleuchtet wird. Eine weitere Retourkutsche, die nach dem selben Strickmuster wie das DÖW-Werk arbeitet, ist das "Antifa-Handbuch". Da wie dort: überall Netzwerke, alles verschworen. Da die Rechte, vom Stiefelträger bis zum Bungee-Jumper; dort "der" Antifaschismus, gebrandmarkt als Synthese von "Kommunismus und Kapi-talismus".

Wem das nicht reicht, der kann sich noch weiter weg "beamen". Die verschwörungstheoretischen Bestseller eines Jan van Helsing verkünden den nahenden Untergang, erzählen von Flugscheiben, Hohlwelten und nahenden Naturkatastrophen, vom Ende der Welt. Derlei Verschwörungs-Phantastik kommt vor der Jahrtausendwende gut an. Endzeit-Propheten sind gefragt, gerade wenn sie erklären, was passieren wird. Für simple Gemüter ist das alles sehr anregend. Gegenargumente gibt es im Zweifel keine mehr, denn immerhin weiß man ja, daß solche genau das bestätigen, was man glaubt, weil der Andersdenkende flugs zu einem Teil der Verschwörung wird, gegen die er argumentiert. Alles Tarnung, nur der Wissende blickt durch. Und wer daran nicht glaubt, "wer das nicht längst schon erkannt hat, der ist selbst schuld". Die Welt ist voller "simpler Gemüter".

Das sind ja nur die Gipfel gewisser Verschwörungstheorien. Auch via Fernsehen wird man mit solchen gefüttert: Der Erfolg der Serie "Akte X" beruht genau auf diesem Spiel mit den "verbotenen Fakten", darauf, daß das im Film offensichtlich Wahre ein geheimes Wissen sei, das nur wenigen zugänglich ist. Wem die "Akte-X"-Filme nicht reichen, der kann sich inzwischen durch einen ganzen Berg an Literatur dazu durchlesen. Selten war das Unheimliche so real.

 

Alles Tarnung, nur der Wissende blickt durch

Für den Soziologen Roland Girtler sind das alles keine fremden Welten. "Man braucht Bösewichte", erklärt er den Hang zu Verschwörungstheorien. Diese seien "wichtig, weil sie den Druck der Rechtfertigung nehmen", der auf jedem Einzelnen laste. Girtler: "Es ist wie in der Schule. Da ist auch immer der Lehrer schuld." Gleichzeitig werde, so der Soziologe, "die eigene Bosheit gerechtfertigt", man selbst fühle sich durch die Benennung des Anderen "befreit".

Dazu werde jedem etwas auf klischeehafte Weise angedichtet. Es ist immer "der" Jude, "der" Kriminelle … Auch Dieter Groh ist im linken "Kursbuch" zum Thema "Verschwörungstheorien" ähnlicher Meinung: "Ein solches Muster (erleichtert es), dissonante Wahrnehmungen zu reduzieren." Außerdem werde die "Komplexität drastisch (…) reduzier(t)". Groh: "Anziehungskraft und Verbreitung von Verschwörungstheorien verdanken sich ihrer Funktion, Gruppen oder Einzelne, die unter ‘Streß’ geraten, vom Druck der Realität weitgehend zu entlasten." Weiters bestätigt der Historiker, daß man "Anhänger dieser Theorien in allen politischen und weltanschaulichen Lagern findet: rechts und links, reaktionär und fortschrittlich, religiös und areligiös etc."

Sie seien aber, so Groh, nicht als "irrational oder pathologisch" zu bezeichnen, denn Verschwörungstheorien stellen eine "Versuchung für uns alle dar". Auf der Ebene der alltäglichen Wahrnehmung könne uns nur der "gesunde Menschenverstand" bewahren. Diese verschwörungstheoretischen Vorstellungen seien nur insofern irrational, "als ihre Logik, ihre Kohärenz (…) fast immer der Realität überlegen sind".


 
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