© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/97  28. November 1997

 
 
Forderung: Verfügbare Arbeit gerechter verteilen
Vollzeit oder Teilzeit
von Folkmar Koenigs

 

Sozialpolitiker, Gewerkschaftsführer und Bischöfe fordern, die verfügbare Arbeit gerecht zu verteilen durch Verkürzung der Wochenarbeitszeit, mehr Teilzeitarbeit und Verzicht auf Überstunden. Bei dieser Forderung ist bereits der Ausgangspunkt falsch, daß die verfügbare Arbeit eine gegebene Größe ist, die "gerecht" – nach welchen Kriterien? – zu verteilen ist. Die Menge der verfügbaren Arbeit hängt entscheidend von ihrem Preis (Lohn und Nebenkosten im Verhältnis zur Produktivität) ab, ob Nachfrager fähig und bereit sind, einen bestimmten Preis zu bezahlen. Steigen die Preise, werden die Nachfrage und die Menge der verfügbaren Arbeit zurückgehen, sinken die Preise, werden sie wachsen. Die Menge der verfügbaren Arbeit hängt also von zahlreichen Faktoren ab, die die Unternehmen, die Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaften sowie der Staat in erheblichem Maße beeinflussen können. Dabei stehen den Beteiligten vielfältige Möglichkeiten offen, die Menge der verfügbaren Arbeit zu erhöhen.

Doch die vorgeschlagenen Mittel, die unter den jetzigen Bedingungen verfügbare Arbeit "gerechter" verteilen sollen, sind zur Schaffung neuer Arbeitsplätze nur in begrenztem Maße geeignet. Möglicherweise können sie jedoch vorhandene Arbeitsplätze erhalten.

So wird eine nur geringe Verkürzung der Arbeitszeit, etwa von 35 auf 32 Stunden pro Woche, in der Regel nicht zur Einstellung neuer Arbeitnehmer führen, sondern nur geeignet sein, Kündigungen oder die Schließung des Unternehmens bei Absatzrückgang zu vermeiden. Eine solche Verkürzung der Arbeitszeit ohne gleichzeitige entsprechende Minderung des Lohnes wird wegen der erhöhten Kosten sogar häufig durch eine verringerte Wettbewerbsfähigkeit die vorhandenen Arbeitsplätze gefährden.

Um mindestens Teilzeitarbeitsplätze von 1/3 Vollzeitstellen oder sogar neue Vollzeitstellen zu schaffen, wäre eine wesentlich höhere Kürzung der Arbeitszeit – in der Regel mindestens 30 Prozent – erforderlich, weiter die Verfügbarkeit von Arbeitskräften mit gleicher Qualifikation und deren Bereitschaft meist nur zur Teilzeitarbeit sowie die Bereitschaft der bisherigen Vollzeitarbeitskräfte zu künftiger Teilzeitarbeit mit entsprechender Lohnminderung. Diese Voraussetzungen werden nur sehr selten gegeben sein. Auf diesem Wege lassen sich unter Umständen Kündigungen vermeiden, zum Beispiel bei VW oder im Schuldienst der neuen Bundesländer.

Eine Milchmädchenrechnung ist die in der Vergangenheit mehrfach öffentlich angestellte Rechnung Gesamtzahl der Überstunden geteilt durch tarifliche Regelwochenarbeitszeit = mögliche neue Arbeitsplätze. In großem Umfange werden Überstunden nicht über einen längeren Zeitraum hinweg geleistet, sondern nur unregelmäßig zum Ausgleich von Arbeitsspitzen, vielfach verursacht durch eine starre statt einer flexiblen tariflichen Wochenarbeitszeit. Häufig erfordert die Herstellung eines Erzeugnisses oder eine Dienstleistung auch die Beschäftigung einer größeren Zahl von Arbeitnehmern. Um einen neuen Arbeitnehmer einzustellen, müßten 17 Arbeitnehmer bei einer 35-Stunden-Woche auf 2 Überstunden verzichten. Dieser neue Arbeitnehmer allein genügt aber nicht. Wenn ferner nicht eine weitere Schicht angesetzt werden kann, sind für die neuen Arbeitnehmer Räume und entsprechende Maschinen oder Arbeitsgeräte notwendig. Auch müssen Arbeitskräfte mit einer entsprechenden Qualifikation verfügbar sein.

Ein Arbeitgeber wird schließlich – trotz der jetzt erleichterten Möglichkeit, Arbeitsverhältnisse befristet einzugehen – nur dann neue Arbeitnehmer einstellen, wenn der Mehrbedarf wahrscheinlich für eine längere Zeit bestehen wird. Möglicherweise wird der Ersatz von Überstunden durch Neueinstellungen wegen des Einkommensverlustes auch auf den Widerstand der Belegschaft stoßen. Durch einen Verzicht auf Überstunden können also nur in weit geringerem Maße Arbeitsplätze entstehen, als nach den öffentlichen Äußerungen zu erwarten ist.

Das größte Potential an neuen Arbeitsplätzen besteht im Bereich der Teilzeitarbeit insbesondere für Frauen, allerdings in erster Linie neue Teilzeitarbeitsplätze, aber nicht Ersatz vorhandener oder neuer Vollzeitarbeitsplätze durch Teilzeitarbeit als "gerechte" Verteilung der verfügbaren Arbeit.

Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Das Einkommen aus Teilzeitarbeit reicht für den eigenen Unterhalt und insbesondere den Unterhalt einer Familie nicht aus; Ablehnung der Teilzeitarbeit durch Männer; Arbeitsaufgaben für Teilzeitarbeit ungeeignet, insbesondere wegen notwendiger laufender Zusammenarbeit mit Vollzeitkräften oder wegen großen Umfanges anfallender Kontakte mit Dritten und daher erforderlich Kenntnis aller Tagesvorgänge. Die Möglichkeiten im Bereich der Altersteilzeitarbeit hängen davon ab, in welchem Umfange die Einbußen bei Lohn und Rentenansprüchen durch die Bundesanstalt für Arbeit und das betreffende Unternehmen ausgeglichen werden, um damit Arbeitsplätze für junge Menschen frei zu machen.


 
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