© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/97  05. Dezember 1997

 
 
Slowenien nach der Präsidentenwahl: Getrübtes Verhältnis zu Italien und Österreich
Gratwanderung in Laibach
von Peter Lattas

Ein Schimmer von "Blut, Schweiß und Tränen" lag über der Antrittsrede des am 23. November im Amt bestätigten slowenischen Staatspräsidenten Milan Kucan. "Rauh und unbestimmt" werde der Weg des Landes in die Zukunft sein, hieß es am Montag nach der Wahl in Laibach (Lju-bljana); über "gefestigte Beziehungen zu den Nachbarn" werde dieser Weg nichtsdestoweniger in die Europäische Union und die NATO führen.

Die Beziehungen zu den Nachbarn sind der springende Punkt. Während der Streit mit dem Schicksalsgefährten Kroatien um die exakte Grenzziehung in den istrischen Gewässern und um gemeinsame Erbteile aus dem jugoslawischen Nachlaß – wie beispielsweise um das Kernkraftwerk Krsko (Gurkfeld) – gegenwärtig an Schärfe verloren hat, sind die Konflikte mit Österreich und Italien nach wie vor ungelöst.

In beiden Fällen geht es um Volksgruppenfragen bzw. die damit verbundenen Eigentumsprobleme.

Unter dem Druck der FPÖ-Konkurrenz hatte die Wiener Politik gegenüber Slowenien in letzter Zeit wiederholt die Ignorierung und Nichtanerkennung der volksdeutschen Reste in Südkärnten, Südsteiermark und der Gottschee ("Deutschsprachige" bzw. "Altösterreicher") in dem südlichen Nachbarland moniert und dafür harsche bis zynische Abfuhren kassiert; die Worte des neuen Außenministers Frlec, er "kenne keine deutschsprachige Minderheit" in Slowenien, sind noch in unguter Erinnerung. Zu Recht verweisen FPÖ-Politiker in Anbetracht der großzügigen rechtlichen Ausstattung der Kärntner Slowenen darauf, daß Volksgruppenpolitik keine Einbahnstraße darstellen dürfe.

Die Wiener Bundesregierung muß sich die Kritik gefallen lassen, daß sie, während sie US-amerikanischem Wunsch entsprechend die Einbindung Sloweniens in die NATO-Sympathieorganisation "Partnership for Peace" vorantreibt, vitale österreichische (und zugleich bundesdeutsche) Interessen in den bilateralen Gesprächen außen vor lasse.

Italien wiederum forciert parallel zur wissenschaftlichen Aufarbeitung und publizistischen Auswertung des Schicksals der "Esuli", jener nach 1945 vertriebenen Italiener, die Forderung nach Entschädigung für deren verlorenes Eigentum. Roms Standpunkt ist, daß nach dem Zerfall Jugoslawiens die Verträge von Osimo über die Regelung der Grenz- und Eigentumsfragen neu zu verhandeln wären. Tatsächlich ist diese nach Bedarf anzuheizende Forderung ein wirksames Mittel, um aus der angestrebten Aufnahme Sloweniens in die Europäische Union Profit zu schlagen.

Slowenien steht vor den Toren dieser erdrückenden westlichen Zusammenschlüsse mit gemischten Gefühlen. Was offiziell mit dem Eintritt in NATO und EU verbunden wird, nämlich "Stabilität, Wohlstand und Zukunftsperspektiven" (Außenminister Frlec), liest sich für viele Slowenen eher als Bevormundung, Ausverkauf und Kulturverlust. Einen Vorgeschmack dessen, wie die Gewichte aller schönen Phraseologie zum Trotz verteilt sind, haben die Bewohner der zweiten Alpenrepublik schon mehrfach zu spüren bekommen. So wurden der EU zuliebe Restriktionen für den Grunderwerb durch Ausländer weitgehend abgeschafft. Anstatt der versprochenen Freizügigkeit werden jedoch die Grenzmauern durch Italien und den Schengen-Neuling Österreich noch höher gezogen. Vergebens verweist Außenminister Frlec darauf, daß sogar die USA die Visumpflicht für slowenische Bürger aufgehoben haben, wenn auch zunächst nur für ein Dreivierteljahr.

 

Verbreitete EU-Skepsis bleibt realpolitisch folgenlos

Dieselben Vereinigten Staaten ließen Slowenien und seine europäischen Fürsprecher bei den Madrider NATO-Erweiterungsverhandlungen kalt abblitzen. Der kaum verhohlene Grund war die mangelnde Neigung der Slowenen, ihre Armee mit amerikanischen Waffen zu modernisieren. Daß ihre NATO-Mitgliedschaft wegen der Brückenfunktion zwischen Italien und Ungarn durchaus erwünscht ist, zahlt sich für die Slowenen politisch nicht aus.

Die Skepsis gegenüber der Integration des Landes in supranationale Zusammenschlüsse ist bei den Slowenen zwar größer, als es in der politischen Kräfteverteilung zum Ausdruck kommt, doch selbst aus diplomatischen Mißerfolgen wie der Nichteinladung zur ersten NATO-Erweiterungsrunde vermochte die Opposition letztlich keinen Vorteil zu ziehen. Am Ende war es für niemanden eine Überraschung, daß der EU-Befürworter Milan Kucan klar, wenn auch mit geringerer Mehrheit als vor fünf Jahren (56 statt 64 Prozent), im Amt bestätigt wurde und somit der Mann sein wird, der sein Land über das Jahr 2000 und in entscheidende Weichenstellungen führen wird.

Daß die bei den Slowenen verbreitete EU-Skepsis politisch kaum durchschlägt, ist in erster Linie Schuld der zerstrittenen und wenig überzeugenden "bürgerlichen", das heißt nicht-kommunistischen Opposition. Deren Elend wird manifest in der Person des Parlamentspräsidenten Janez Podobnik, der mit seinen 38 Jahren als aussichtsreichster Konkurrent des achtzehn Jahre älteren Amtsinhabers favorisiert wurde und mit 18,4 Prozent auch das zweitbeste Ergebnis einfuhr. Podobnik ist stellvertretender Vorsitzender der von seinem Bruder geführten Slowenischen Volkspartei (SLS), die mit den Christdemokraten (SKD) und den Sozialdemokraten (SDS) das "bürgerliche" Oppositionsbündnis "Slowenischer Frühling" bildet. Zugleich ließ sich die SLS nach dem Patt bei den Parlamentswahlen vor einem Jahr von Regierungschef Janez Drnovsek aus dem Oppositionsblock herausbrechen und in die von Drnovseks Liberaldemokraten (LDS) geführte Regierungskoalition einbinden.

Während die Christdemokraten und ihr Vorsitzender, der ehemalige Ministerpräsident Peterle, den ehrgeizigen Podobnik unterstützten, versagten die Sozialdemokraten ihm die Zustimmung. Enttäuscht darüber, zog Podobnik zwischenzeitlich seine Kandidatur zurück, um am Ende doch anzutreten. Für SKD und SDS hingegen ging der 73jährige Präsident des Weltverbandes der Slowenen, Bernik, ins Rennen, der neben der slowenischen auch die US-amerikanische Staatsbürgerschaft besitzt. Bernik erhielt mit 9,4 Prozent der Stimmen zwar ein klar besseres Ergebnis als prognostiziert, blieb aber deutlich hinter den Stimmenergebnissen zurück, die die beiden Oppositionsparteien bei den Parlamentswahlen eingefahren hatten. Fünf weitere Kandidaten erzielten lediglich Splitterresultate.

Der frühere Verteidigungsminister Janez Jansa, Vorsitzender der Sozialdemokraten und führender Kopf des Oppositionsbündnisses gegen Kucan, geht aus diesen parteitaktischen Manövern geschwächt hervor. Ein oppositioneller Gesetzentwurf, der ehemalige KP-Funktionäre von Führungsposten fernhalten soll und direkt auf den Präsidenten und den Regierungschef zielt, hat nun weniger denn je Aussicht auf Erfolg.

Milan Kucan, der aus dem "Partisanenadel" stammt und nach einer Bilderbuch-Funktionärskarriere in den 60ern und 70ern im Jahre 1986 zum KP-Chef aufstieg, hat sich um die politische Selbstbefreiung seines Landes durchaus Verdienste erworben.

 

Opposition hat sich wieder selbst ein Bein gestellt

Im April 1990 als erster Reformkommunist in einem ex-sozialistischen Land zum Staatspräsidenten gewählt, bewies er in der entscheidenden Phase der Unabhängigkeit und des Zehn-Tage-Krieges vom Sommer 1991 Führungsstärke und erwarb sich so sein bis heute bestehendes hohes Ansehen. Ob die rasche und vollständige Integration Sloweniens in die Europäische Union, für die sein alt-neuer Präsident jetzt sein ganzes Prestige einsetzen will, tatsächlich der Weisheit letzter Schluß ist, werden auch die Slowenen wohl erst dann erfahren, wenn es bereits zu spät ist.


 
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