© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/97  05. Dezember 1997

 
 
Pankraz,Sir Ralf und die Nachteile des verkabelten Weltstaates

Zeichen der Hoffnung? Auch in "neoliberalen" Kreisen, denen es bis noch vor kurzem gar nicht anti-kommunitaristisch und anti-etatistisch genug zugehen konnte, macht sich Belämmerung breit. "So haben war das nicht gemeint!", tönt es von Akademietagungen und aus Sammelbänden zur "Globalisierungsfrage". "Das haben wir nicht gewollt!"

Was schon vor über dreißig Jahren Ernst Jünger in seinem "Weltstaat" recht genau in Worte gefaßt hat – daß nämlich "nach dem Schwinden der Gegensätze zwischen Ost und West" eine globale demographische Zusammenballung drohen werde, die jedem Begriff von gediegener Staatlichkeit, von Polis, Demokratie und Bürgergesellschaft Hohn spreche –, genau das malen auch immer mehr Neoliberale als Horrorszenario an die Wand. Sie beklagen das Schwinden von Verantwortlichkeiten und Kontrollmöglichkeiten, das Ausgeliefertsein an rein spekulative Interessen, den Zusammenbruch von Recht und Ordnung, den Verlust der Heimat.

Ralf Darendorf ("Sir Ralf") spricht im Stil von Oswald Spengler sogar vom Anbruch eines extrem autoritären, "cäsaristischen" Zeitalters im Zeichen der sogenannten Globalisierung, vom Aufkommen diktatorischer Kräfte, die nicht einmal genau zu personifizieren seien, die aus dem "Off" heraus, mit einigen finanzkapitalistischen Tricks, ganze Völker in Bewegung setzten, neue Völkerwanderungen provozierten, in riesigem Ausmaß Einkommen neu verteilten, Reichtum in Armut umschichteten, "ohne daß man etwas dagegen machen kann". Die Politik der Freiheit verwandle sich unter diesem Auspizium in eine "Quadratur des Kreises".

Beinahe rührend nimmt sich die Verklärung des guten alten Nationalstaates aus, die zur Zeit bei Neoliberalen um sich greift. "Der Nationalstaat", heißt es nicht nur bei Dahrendorf, "ist das einzige Domizil der repräsentativen Demokratie, das bisher funktioniert hat". Nur er sei in der Lage, "Strukturen der Kontrolle, der Rechenschaft und der effizienten Bürgerbeteiligung" anzubieten und zu sichern. Ein globalisierter Weltstaat hingegen sei, wie das ja auch Jünger 1961 gesehen hat, "eine anarchistische Utopie", wo bei Abstimmungen immer die Chinesen die Mehrheit hätten und die kleinen Völker untergebuttert würden.

Goldene Worte, die freilich, bis jetzt jedenfalls, regelmäßig von Gesten und Seufzern der Resignation begleitet werden. Man sehe das Unheil, so der dominierende Tenor, aber man könne nichts dagegen machen, die Globalisierung schreite mit der rohen Gewalt eines urzeitlichen Monsters voran. Wieso eigentlich dieser bleiche Quietismus, der die Waffen streckt, bevor der erste Speer geworfen ist? Fällt man hier nicht auf selbstgeschaffene Popanze herein, auf Ideologeme, die nur deshalb eherne Fakten zu schaffen scheinen, weil man einfach zu lange an sie geglaubt hat?

Schon das Wort "Globalisierung" ist ein solcher neoliberaler Popanz, solch ein sich selbst erfüllendes Ideologem. Was liegt zugrunde? Daß die Hongkong-Chinesen die europäische Hosen- und Hemdenproduktion kaputt gemacht haben, weiß man schon seit längerem. Nun wird man also damit bekannt gemacht, daß die Inder und Malayen Elektrochips herstellen können und das zu einem Zehntel des in Europa fälligen Preises auch tun. Wieso muß man da wie das Kaninchen vor der Schlange erstarren? Man kann doch, wenn man die eigene Chipproduktion schützen will, den Einfuhrzoll für die malayischen Chips erhöhen.

Pankraz sagt nicht unbedingt: "Man sollte erhöhen", er sagt nur: "Man kann erhöhen". Nichts hindert den frei gewählten deutschen Gesetzgeber daran, es zu tun, es sei denn eben ein Ideologem, das man sklavisch anbetet und dem man sich wie einem Götzen ausliefert. Und exakt so steht es auch mit allen anderen Aspekten der "Globalisierung", mit der hemmungslosen internationalen Finanz- und Währungsspekulation beispielsweise, mit der angeblich notwendigen radikalen Privatisierung öffentlicher und sozialer Dienste, mit der bewußten Zerstörung schöner nationaler Brauchtümer und Sprachen zugunsten einer banalen "Globalkultur" und eines jämmerlichen Pidgin-Englisch.

Noch einmal: Es geht hier zunächst einmal nur darum, sich klar zu machen, daß keines dieser Phänomene unabwendbares Schicksal ist, wie immer wieder versichert wird, daß unsere Regierenden lediglich so tun, als sei es Schicksal. Als Letztbegründung schicken sie die "Natur des Menschen" vor; der "Mensch", sagen sie, wolle den billigen Techno-Massen-Schund, er sei schlecht in seinen Antrieben und in seinem Geschmack, und deshalb also Globalisierung als "Schicksal". Mit dem gleichen Recht könnte man sagen, daß nicht der "Mensch", sondern lediglich gewisse neoliberale Cliquen schlecht sind, von wölfischer Gewinn-Maximierungs-Ideologie befallen und in ihr gefangen.

Aber (siehe oben!) es gibt inzwischen Ausbruchsversuche, die man fördern sollte. Wenn man, wie etwa Dahrendorf, den Nationalstaat als Domizil der Demokratie, der Machtkontrolle und Bürgerbeteiligung ausgemacht hat und trotz allen Suchens keine Alternative dazu finden kann, so kann für einen guten Demokraten die Schlußfolgerung nicht lauten, daß man diesen Nationalstaat nun unter heißen Tränen verabschieden muß, sondern nur, daß man ihn stärken, absichern und in Ehren halten muß. Das sind einfache Regeln der Logik, die (wieder-) zu erlernen und der neoliberalen Geistverschleimung entgegenzuhalten wären, wenn sich etwas zum Besseren ändern soll.

Im übrigen sollte man ruhig wieder einmal Jüngers "Weltstaat" oder Spenglers "Untergang" und andere Werke aus dem Umkreis der historistisch oder lebensphilosophisch inspirierten deutschen Soziallehre lesen. Was die amerikanischen Kommunitaristen sich jüngstens neu zusammenbuchstabieren, haben unsere Tönnies und Savigny und Adam Müller schon vor über hundert Jahren besser durchdacht und gesagt. Das Richtige liegt oft ziemlich nah.


 
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