© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/97  05. Dezember 1997

 
 
Michael Wolffsohn: Jüdisches Leben zwischen Zerrbild und Ideal
Plädoyer für wirkliche Toleranz
von Götz Eberbach

Seit Jahren bemüht sich Michael Wolffsohn, Jude und Professor an der Bundeswehrhochschule München, darum, die deutsch-jüdischen Beziehungen auf eine neue, konstruktive Grundlage zu stellen. Er fühlt sich nicht als "Auslandsisraeli", sondern als jüdischer Deutscher, ja als deutsch-jüdischer Patriot. In mehreren Büchern ("Ewige Schuld?", "Keine Angst vor Deutschland", "Die Deutschland-Akte") hat er sich zu diesem Themenkomplex geäußert. Wolffsohns Bücher sind oft provokant, jedenfalls immer lesenswert, auch dort, wo man mit seinen Ausführungen nicht übereinstimmen mag.

In seinem soeben im Piper Verlag neu erschienenenBuch "Meine Juden – Eure Juden" schreibt er über die Geschichte der Juden in Deutschland nach 1945, eine Geschichte , die es nach der Ansicht mancher israelischer Kreise gar nicht geben dürfte. Er bekennt, daß er (als Betroffener) zu diesem Thema nicht objektiv schreiben könne, bemüht sich aber redlich um Objektivität. Übrigens macht die subjektive Seite oft den Reiz des Buches aus.

Bereits im Vorwort zeigt er ein wichtiges Problem auf: die christlich-jüdische (und damit auch die deutsch-jüdische) Geschichte kenne nur entweder ein Zerrbild ("Judenschwein") oder ein Idealbild ("Nathan der Weise") des Juden. Ein realistisches Bild wurde und wird kaum gezeichnet, aber nur dieses Realbild kann nach Wolffsohns Überzeugung den Antisemitismus endgültig aus der Welt schaffen.

Wolffsohn schildert die Entstehung des Nachkriegsjudentums aus wenigen "untergetauchten" Juden und Heimkehrern aus den Lagern, aus wenigen Rückkehrern aus dem Exil (darunter Wolffsohns Eltern) und in der Hauptsache aus "Ostjuden" aus Polen und neuerdings aus Rußland (viele davon mit nichtjüdischen Ehepartnern). Er schildert ihre Probleme mit der deutschen Umwelt und den Behörden – auch die Probleme, die die Behörden manchmal mit den Juden hatten.

Andererseits wagt er etwas zu sagen, was nichtjüdischen Autoren schon öfters den Vorwurf des Antisemitismus eintrug, wenn er schreibt, daß das gebrochene Verhältnis und die fehlende innere Bindung zur (deutschen) Umwelt einer Minderheit der Juden es erleichterte, diese deutsche Umwelt zu betrügen, was er auch mit Beispielen belegt. Allerdings nimmt er dann diese jüdische Minderheit aus dem Rotlichtmilieu und aus dem Schwarzhandel mit dem Hinweis auf die "braune Vergangenheit" in Schutz gegen den israelischen Botschafter Meroz, der genau dies kritisiert hatte.

Wolffsohn schildert auch die oft widersprüchliche Haltung der deutschen Juden: Zum Beispiel sind zwei Drittel von ihnen der Meinung , daß die Deutschen heute mindestens "mäßig antisemitisch" seien, aber 87 Prozent sehen trotzdem keine persönliche Bedrohung, 68 Prozent haben nie Ablehnung erfahren. Zwei Drittel fühlen sich in erster Linie als Deutsche, aber 88 Prozent empfinden keine Zugehörigkeit zur deutschen Kultur. Er bringt antisemitische Klischees, zum Beispiel "Juden sind laut und unhöflich" oder "Die Juden haben in den Staaten, in denen sie leben, große wirtschaftliche Macht und Einfluß", Klischees, die von einem großen Teil der Israelis selbst vertreten werden. Und er führt schließlich ein jüdisches "Antisemitismus – Jahrbuch" aus dem Jahr 1992 an, in dem Deutschland zur Spitzengruppe der toleranten Staaten zählt. Wenn man dagegen manche Veröffentlichungen gewisser "Gutmenschen" liest, könnte man meinen, daß man es auch heute zu den besonders antisemitischen Staaten rechnen müsse!

Das Buch ist eine Fundgrube von interessanten Fakten. Wer weiß zum Beispiel, daß der Berliner Senat einen Ehrendoktortitel einer israelischen Universität für Herrn Galinski kaufte? Interessant ist auch sein Kommentar zur Jenninger - Rede zum 50. Jahrestag der "Reichskristallnacht". Stefan Heym war begeistert und habe die Rede für so gut wie die Ansprache Weizäckers zum 8. Mai 1945 gehalten. Die Reaktion auf die Jenninger-Rede nennt Wolffsohn absurd und hysterisch.

Wolffsohn führt dann die große Zahl bedeutender jüdischer Wissenschaftler in Deutschland auch nach 1945 an, (dabei unterläuft ihm ein Fehler: Prof. Hans Rothfels war in Tübingen, nicht in Freiburg tätig) und er schreibt sehr kritisch über die Äußerungen der "guten Deutschen" zu den "singulären Verbrechen", über die "märtyrerhaften, engelsgleichen und nicht selten genialen Juden", die um Himmels willen nicht in die Nähe von normalen, fehlbaren Menschen gerückt werden dürfen. Schließlich erklärt er, daß er die Teilnahme am landesüblichen Gesellschaftsspiel "Ich und du, Müllers Kuh und Deutschlands Nazi, der bist du !" verweigere.

Einmal mehr entlarvt der Autor auch den "Antifaschismus" der DDR, den manche Westlinke noch heute zugunsten des untergegangen SED-Regimes ins Feld führen, als Legende. Im Kapitel "Gedankensplitter und Erinnerungsfetzen" schreibt er Dinge, die für andere Deutsche politisch lebensgefährlich sein könnten: "‘Wir Deutsche haben den Juden viel zu verdanken. Sie sind einfach geistvoller , intelligenter…’ Das ist die neudeutsche Strophe eines alten Liedes. Sie soll der deutsch-jüdischen Verständigung dienen. Ich fordere: Toleranz auch gegenüber den dummen Juden ! Wie in jeder Gesellschaft gibt es sie. Na und? Erst dieses ‘Na und?’ beweist wirkliche Toleranz."

Michael Wolffsohn: Meine Juden – Eure Juden, Piper Verlag, München 1997, 293 Seiten, geb., 39,80 Mark


 
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