© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   51/97  12. Dezember 1997

 
 
Südtirol: Kläger und Verteidigung im "Fall Waldner" gehen in Berufung
Zweifelhafte Urteilsbegründung
von Jakob Kaufmann

Die Begründung des Urteils gegen den Mitbegründer der Freiheitlichen Partei Südtirols, Peter Paul Rainer (30), ist hinterlegt worden. Wegen Mordes an seinem Freund und politischen Weggefährten Christian Waldner ist Rainer am 11. August des Jahres zu 22einhalb Jahren Haft verurteilt worden. In der Urteilsbegründung werden keine Beweise vorgebracht: Allein die Geständnisse, die Rainer zu Prozeßbeginn offiziell widerrief, werden als belastend bewertet. Bereits am Morgen nach dem ersten Verhör hatte er seiner Familie gesagt, er habe sich gezwungen gesehen, zu gestehen, was er nicht getan habe. Ein Brief, in dem er das Anfangsgeständnis zurückzog, kursierte in Südtirol schon wenige Tage nach der Verhörnacht. Um den Brief zu finden, durchsuchten damals die Ermittler die Wohnungen eines Redakteurs der Neuen Südtiroler Tageszeitung, Artur Oberhofer. Journalisten-Kollegen lud die Polizei vor. Offenbar sollte verhindert werden, daß ein Widerruf über die Presse öffentlich bekannt wurde. Nur so konnte Rainers Fernsehgeständnis seine verhängnisvolle Wirkung entfalten. Mit Psychopharmaka vollgepumpt, hatte der ehemalige Bildungsoffizier der Südtiroler Schützen in der U-Haft vor laufender Kamera gestanden, in der Annahme, es handle sich um eine Videoaufzeichnung für den Staatsanwalt. In der Urteilsbegründung heißt es dann auch, Peter Paul Rainer sei dieses Interview zum Verhängnis geworden.

Seine Geständnisse gegenüber Staatsanwalt, Polizei und Fernsehpublikum widersprachen in wesentlichen Punkten den Sachbeweisen, die Rainer entlasten. Das Gericht folgte der Anklage in der Argumentation, daß Rainers Gewehr die Tatwaffe sei. Die Staatsanwaltschaft konte aber nie den Nachweis für ihre Behauptung erbringen. Es ist zwar richtig, daß der Angeklagte nach der Verhörnacht die Polizei zu seinem Gewehr führte, überführt wurde er dadurch aber nicht. Das ballistische Gutachten ergab vielmehr, daß die Kugeln, die Waldner töteten, eine ungeheure Durchschlagskraft hatten. Bei Rainers Waffe fanden die Ermittler jedoch nur gewöhnliche Munition.

Der junge Politiker hatte praktisch auch ein Alibi, denn er war nur eine knappe Zeit am Mittag des Tages, an dem Waldner erschossen wurde, allein. Zu kurz um zwischen zwei Terminen zum Tatort, dem Hotel Reichrieglerhof zu fahren, einen Mord zu verüben und dessen augenscheinliche Spuren weitgehend zu verwischen.

Das Gericht ist überzeugt, Waldner sei schon mittags ermordet worden. Die Obduktionsgutachten von Anklage und Verteidigung räumen ein, daß der Todeszeitpunkt auch später eingetreten sein könnte. Der Gutachter der Verteidigung hält den Tod am Abend sogar für wahrscheinlicher. Vier Zeugen hatten Waldner noch am Nachmittag und frühen Abend des Tages gesehen. Von Mittag kurz nach 12 Uhr bis zum nächsten Tag hatte Rainer ein lückenloses, gesichertes Alibi. Diese Zeugen entlasteten ihn mit ihren Aussagen, das Gericht glaubte ihnen aber nicht. Keiner der Zeugen kannte den Angeklagten persönlich, jedoch war Waldner ihnen bestens bekannt. Einer von ihnen beschrieb im Zeugenstand, wie er den Ermordeten noch lebend vor dessen Hotel antraf und auf seine Schulter klopfte.

Das Gericht schreibt in seiner Begründung, der zunächst Geständige habe die Lage der Leiche am Tatort beschreiben können. Die Richter schlußfolgern daraus, daß Rainer dieses Wissen überführte. Tatsächlich hatte die Zeitung Il Mattino schon skizziert, wie der Tote am Tatort aufgefunden wurde. Just für dieselbe Ausgabe der Zeitung hatte Rainer ein Interview gegeben. Es war also sehr wahrscheinlich, daß er diese Skizze kannte, handelte es sich doch beim Ermordeten um seinen besten Freund.

Rainer hatte im Zeugenstand ausgesagt, daß er "so schnell wie möglich vor Gericht" wollte, weil er "den Ermittlern nicht traute". Zynisch kommentierten die Richter, daß dies "an Masochismus" grenze. Warum der Selbstbestimmungsvertreter Rainer der Polizei mißtraue, enthüllt im kommenden März ein Buch des Journalisten Artur Oberhofer. Er stellt darin dar, wie Rainer dazu gezwungen wurde, den Mord zu gestehen.

Zwischen März und Juni nächsten Jahres geht der Fall in Berufung. Das haben Rainers Anwälte bereits am Tag seiner Verurteilung angekündigt. Nun will auch Staatsanwalt Cuno Tarfusser die zweite Instanz. 22 einhalb Jahre sind ihm für den Angeklagten noch zu milde, er plädiert auf 27 Jahre Haft. Der Prozeß wird womöglich noch mehr Überraschungen bringen. In der Urteilsbegründung schließen die Richter der ersten Instanz nicht aus, daß noch ein Komplize am Tatort war und half.


 
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