© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   51/97  12. Dezember 1997

 
 
Kambodscha 1997: "Der Steinzeitkommunist" Pol Pot und die Rebellion der "
Treuesten der Treuen"

von Phillippe P. Mägerle

Die anhaltende lebhafte Debatte über Courtois‘ "Schwarzbuch des Kommunismus" ist ein geeigneter Anlaß, um im Rückblick auf das diesjährige politische Geschehen in Kambodscha einzugehen – einem Land, das neben China, Rußland und der Ukraine wie kein anderes unter den Folgen der menschenverachtenden kommunistischen Ideologie gelitten hat.

1997 wird zweifellos als bedeutsames Jahr in die leidvolle Geschichte Kambodschas eingehen. Nachdem Anfang Juni ein Putsch der Kommunisten unter dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Hun Sen gegen den royalistischen Co-Premier Prinz Norodom Ranariddh stattfand (s. Prognose in JF 30/96), überschlugen sich die Ereignisse. Die auf Mitte des Jahres angesetzte Aufnahme Kambodschas in die südostasiatische Staatengemeinschaft ASEAN wurde sistiert, König Norodom Sihanouk bot seine Abdankung an, und unter den noch immer aktiven Roten Khmer fand ein blutiger Machtkampf statt.

Im Rahmen eben dieses Machtkampfes verloren die Roten Khmer einen erheblichen Teil ihres Einflußgebietes entlang der thailändisch-kambodschanischen Grenze. Bereits in der ersten Jahreshälfte desertierte der ehemalige Außenminister des von den Roten Khmer zwischen 1975 und 1979 regierten "Demokratischen Kampuchea", Ieng Sary, und lief zusammen mit seinen Kämpfern ins Regierungslager über. Dies allerdings, ohne daß die unter seiner Kontrolle stehenden Truppen entwaffnet oder aus ihren Operationsgebieten entfernt worden wären.

Der politische Haken dieses Frontwechsels bestand vor allem darin, daß das Abkommen, welches mit Ieng Sary geschlossen wurde, praktisch nur von den Royalisten in der Armee und der Regierung getragen wurde. Die nach wie vor starken Kommunisten unter Hun Sen unterlagen beim Buhlen um die Sympathie der desertierten Steinzeitkommunisten. Dem lagen historische Animositäten zugrunde: Die Roten Khmer, die im Kalten Krieg auf das Kommando Pekings hörten, waren während der vietnamesischen Besetzung Kambodschas zwischen 1979 und 1989 mit den Königstreuen in einer losen Allianz verbunden, deren gemeinsamer Nenner einzig die Vertreibung des Erzfeindes Vietnam und seines lokalen Vasallen Hun Sen war. – Eine Situation, die der heutigen nicht ganz unähnlich sieht.

Im Anschluß an diesen von der zentralen Führung der Roten Khmer nicht goutierten Separatfrieden eines Teils der Guerillaorganisation mit der Regierung gab es offenbar auch in der Umgebung des "Falken" Pol Pot Kräfte, die auf einen Ausgleich mit dem royalistischen Teil der Classe polititique in Phnom Penh drängten, wohl um auf diesem Weg schneller und demokratisch sanktioniert – wenn vielleicht auch nicht ohne Waffengewalt – den "Verräter" Hun Sen (der einst selbst Offizier der Roten Khmer war) von der Macht zu vertreiben. Doch der Alt-Maoist Pol Pot ließ nicht mit sich reden und exekutierte statt dessen seinen allzu kompromißfreudigen langjährigen Gefolgsmann Son Sen samt seiner Familie.

Damit war dann aber offenbar auch für die Mehrheit der noch verbliebenen Adlaten des Mörders am eigenen Volk das Maß voll. Ta Mok (einst Verteidigungsminister und bekannt als "der Schlächter") und Khieu Samphan (längere Zeit internationales Aushängeschild der Roten Khmer) sowie wohl ein großer Teil der Kader der mittleren Ebene stellten sich gegen den 72jährigen und veranlaßten nach kurzer Verfolgungsjagd im nordostkambodschanischen Dschungel seine Verhaftung und die Festnahme seiner Frau und Tochter.

Daraufhin wurde Pol Pot und zwei Getreuen der Prozeß gemacht. In Anwesenheit eines Mitarbeiters der in Hong Kong erscheinenden Far Eastern Economic Review – des ersten Journalisten seit 18 Jahren, der Pol Pot zu Gesicht bekam, – verurteilte am 25. Juli ein Volksgericht in der provisorischen "Hauptstadt" Anlong Veng Pol Pot zu lebenslänglichem Hausarrest. Sein inkriminiertes Vergehen lautete auf "Machtmißbrauch". In einer schäbigen Hütte mit Wellblechdach mußte eine der grausamsten Figuren der Menschheitsgeschichte in schwerkrankem Zustand das Urteil entgegennehmen, das die "Treuesten der Treuen" über ihn fällten. Von einer Sühne seiner Verbrechen oder auch nur von einem Prozeß im juristischen Sinne kann jedoch nicht die Rede sein. Es gibt sogar Kreise, die behaupten, Pol Pot selbst habe alles inszeniert, damit die Roten Khmer wieder "salonfähig" würden. Am wahrscheinlichsten ist jedoch die Version, wonach es sich um einen Machtkampf handelte, bei dem die realistisch denkenden Kräfte den Mann beseitigen wollten, mit dem sich auch bei der größten Kraftanstrengung einfach kein Staat mehr machen läßt. Pol Pot einem internationalen Tribunal ausliefern, das wollte Ta Mok, der neue starke Mann, denn doch nicht. Wer weiß, so mag er sich gedacht haben, vielleicht kann Pol Pot politisch doch noch einmal zu etwas nütze sein.

Am 16. Oktober gelang dem Journalisten Nate Thayer für die Far Eastern Economic Review dann sogar ein Interview mit Pol Pot. Darin zeigt der größte noch lebende Massenmörder dieses Jahrhunderts keinerlei Reue für seine Taten. Im Gegenteil: Er behauptete, für Kambodscha große Verdienste errungen zu haben, weil nur er und seine Bewegung in der Lage gewesen wären, das Land Ende der 70er Jahre vor der Kolonialisierung durch Vietnam zu retten. Kein Wort davon, daß auch der Präsident der 1970 ausgerufenen und mit der Machtübernahme der Roten Khmer 1975 zu Ende gegangenen Khmer-Republik, Marschall Lon Nol, sich vehement einer Vietnamisierung seines Landes widersetzte. Nach den Millionen von Toten infolge der eigenen Herrschaft befragt – Schätzungen variieren zwischen einer und drei Millionen, was einem Sechstel bis zu einem Drittel der Gesamtbevölkerung des Landes entspricht (im "Schwarzbuch" ist von 1,3 bis 2,3 Millionen Toten die Rede), – erwiderte Pol Pot nur, daß dieses Thema in dem 1980 von den Roten Khmer herausgegebenen Buch "Das Richtige und das Falsche im Demokratischen Kampuchea" abschließend behandelt worden sei. Zwar, so räumte er ein, hätte man "einige Dinge" gegen Teile des Volkes unternommen, aber ohne den Kampf der Roten Khmer existierte heute kein Kambodscha mehr. "Mein Gewissen ist rein", äußerte Pol Pot in dem Interview."

Dann lenkte Nat Thayer das Gespräch auf Tuol Sleng. Tuol Sleng ist eine Schule in Phnom Penh, die unter den Roten Khmer als Folterzentrum genutzt wurde und die heute eine Gedenkstätte für den kambodschanischen Genozid ist, in der man bestialische Folterinstrumente und vor allem Tausende von Fotos "konterrevolutionärer Elemente" besichtigen kann. Auf diese grauenvolle Stätte angesprochen, meinte Pol Pot lakonisch, er habe vor 1979 nie davon gehört, und alles sei bloß ein Propagandatrick seiner Gegner.

Vermutlich werden die kümmerlichen Überreste des einst mächtigen kommunistischen Kampfverbandes, dem selbst die kriegserprobten Vietnamesen nicht beizukommen vermochten, Pol Pot nie an ein ordentliches Gericht überantworten. Zu eng sind die Kläger im Schauprozeß von Anlong Veng mit dem Beklagten verbunden. Doch letztlich gilt für Pol Pot wohl nichts anderes als für Stalin, Hitler oder Mao: Auch in seinem Falle vermag kein irdisches Gericht ein auch nur annähernd adäquates Urteil für die im Namen einer menschenverachtenden Ideologie begangenen Verbrechen zu fällen.


 
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