© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   51/97  12. Dezember 1997

 
 
Kunst und Politik: Alfred Hrdlicka über das Begriffspaar "Rechts" und "Links"
"Castro hat große Verdienste"
von Brigitte Sob

Herr Professor Hrdlicka, Sie haben einmal die Meinung geäußert, daß es unverantwortlich sei, an zwei Kunsthochschulen in Wien junge Menschen auszubilden, die dann keinerlei beruflichen Chancen haben.

HRDLICKA: Eine der Startmöglichkeiten in meiner Studienzeit war das im roten Wien geschaffene Gesetz für Kunst am Bau. Es waren die ersten Arbeiten, die ich dadurch machen konnte und wodurch ich eine gewisse Selbstfinanzierung erreichte. Natürlich ist der sogenannte "Freie Kunstmarkt" das eigentliche Betätigungsfeld, aber die Chance muß für alle Absolventen der Kunsthochschulen vorhanden sein, daß sie einmal einen Auftrag von der Stadt Wien bekommen. Die Stadt Wien hat ein Kulturbudget von zwei Milliarden Schilling, für Kunst am Bau sind ein paar hunderttausend Schilling übriggeblieben. Das ist verantwortungslos.

Heißt das, daß Sie die staatliche und kommunale Unterstützung von Künstlern fordern?

HRDLICKA: Es geht nicht darum, zu glauben, daß Künstler vom Staat oder von der Stadt ausgehalten werden müssen. Aber junge Menschen zehn Semester auszubilden und dann zu sagen, die Absolventen der Kunsthochschulen sollen halt unterrichten, ist lächerlich. Für die Ausbildung hat man viel über – wie schön ist es doch, junge Menschen zur Kunst zu führen, aber wenn diese dann so extrem werden, daß sie selber Kunst machen wollen, sagt man ihnen: Bleib zu Haus mit deinem Zeug, das interessiert uns nicht.

Wie sehen Sie das Verhältnis von Kunst und Politik oder gibt es eine "linke" bzw. "rechte" Kunst? Was heißt für Sie "links"?

HRDLICKA: Natürlich gibt es so etwas wie "Rechts" und "Links", das steht außer Zweifel. Ob diese Begriffe auf bestimmte Personen zutreffen und wie präzis sie sind, ist eine andere Frage. Ich war bis 1956 Mitglied der Kommunistischen Partei. Ich setze mich aber auch mit christlicher Kunst auseinander. Ob das Christentum rechts oder links ist, kann man schwer sagen. Ich bin ein überzeugter Atheist, was mir fast leid tut. Es wäre auch für mich schön, wenn ich an das ewige Leben und das Paradies glauben könnte, aber für mich ist das einfach Quatsch. Ich habe Aufsätze geschrieben, warum ich Marxist bin. Da Marx zum linken Lager gezählt wird und ich mich zum Marxismus bekannt habe, bin ich halt ein Linker. Dennoch kann diese Schubladeneinteilung manchmal völlig lächerlich werden. Ich bin deswegen noch kein Rechter, weil ich für die Vielfältigkeit der Menschen bin. Ich bin schon der Ansicht, daß es Rassen gibt. Ich bin gegen Rassendiskriminierung, aber wenn ich sage, daß es Rassen gibt, ist das keine Diskriminierung, sondern einfach die Zurkenntnisnahme von Fakten. Ich mag nicht, wenn immer wieder versucht wird, links zu überholen und einen rechts abzudrängen.

Es gibt Theorien, nach welchen mit der Wende 1989 auch alle Ideologien zusammengebrochen sind. Würden Sie das auch so sehen?

HRDLICKA: Nein. Daß es keine Ideologien mehr gibt, ist ein ausgesprochener Unsinn. Ich bin eher der Meinung, wir leben in einer Hochsaison der Ideologien. Man braucht doch nur zu schauen, was sich in der Welt tut. Die orthodoxen Juden bestimmen mittlerweile das Leben in Israel. Von den Auseinandersetzungen im Islam wollen wir gar nicht erst sprechen.

Welche Rolle kommt in diesem Zusammenhang der Kunst zu?

HRDLICKA: Ideologie hat immer Kunst bestimmt. Kunst und Kultur leben von einer bestimmten Weltanschauung. Wir sprechen doch auch von christlicher Kunst. Daß Kunst gesinnungslos sein kann, halte ich für völligen Unsinn. Ich habe mich sogar soweit vorgewagt, dafür einzutreten, daß die Nazi-Kunst in die Museen gehört, damit habe ich mir natürlich nicht gerade Freunde geschaffen. Ich habe gesagt, daß die Nazi-Kunst noch allemal Kunst ist, nicht, weil ich ein Anhänger der Nazi-Kunst bin, sondern weil ich es für einen Schwachsinn halte, die Sachen in den Keller zu schieben und sie zu dämonisieren. Denn man kann die Geschichte nicht ausradieren.

Sie haben gesagt, Sie lehnen Verallgemeinerungen in bezug auf das, was Kunst ist, ab. Welche Qualitätskriterien sehen Sie in der Beurteilung von moderner Kunst?

HRDLICKA: Es gibt Kriterien, aber keine, die für alles bestimmend sind. Natürlich muß Kunst erlernbar sein, es muß vermittelt werden, daß gewisse Kriterien erfüllt werden müssen. Das hat nicht nur mit Handwerk zu tun, sondern auch mit der Vorstellungskraft. Darum wende ich mich auch gegen rein dekorative Kunst, denn diese hat fast keine Kriterien: Da kann man sagen, das gefällt mir oder das gefällt mir nicht. Für mich sind alle Leute, die den ganzen Tag nur Quadrate malen, lächerlich. Im Burgtheater laufen ja auch nicht Würfel herum, sondern Menschen gehen über die Bühne. Die Kunst wird von Menschen für Menschen gemacht, und der Mensch ist der Hauptträger der Kunst und der Inhalt der Kunst. Bei der Darstellung von Menschen gibt es natürlich Kriterien.

Gibt es eine kulturelle Identität Europas?

HRDLICKA: Hier nähern sich manche Politiker einer allgemeinen Phraseologie an. Ich kann mir Festreden nicht anhören; ich höre mir nicht einmal die Neujahrsrede an, weil das ein bißchen wie heiße Luft ist. Die europäische Identität besteht darin, daß es eine europäische Kultur gibt – im Unterschied zur asiatischen. Sie ist unglaublich differenziert. Deshalb bin ich gegen den falschen Begriff der internationalen Kunst. Diese internationale Kunst, die sie auf Kunstmessen sehen, ist charakter- und sinnlos. Vor lauter "Arts" gibt es keine Kunst mehr, vor lauter Bäumen sieht der Mensch den Wald nicht mehr. Kunst muß sehr individuell sein, aber zugleich auch für die Öffentlichkeit da sein, das ist das Schwierige.

Wie stehen Sie jetzt zu Ihrer Mitgliedschaft bei der Kommunistischen Partei Österreichs? Im Jahr 1989 wurde der Kommunismus von der Geschichte selbst widerlegt. Er ist gescheitert.

HRDLICKA: Noch immer gibt es im bevölkerungsstärksten Staat der Welt, in China, ein kommunistisches Regime. Auch das kleine kommunistische Kuba hat eine gewisse Zähigkeit bewiesen. Fidel Castro hat sicher große Verdienste für dieses Land. Über den Kommunismus muß man folgendes sagen: Das sozialistische Modell wird zurückkehren wie das Amen im Gebet. Wir müssen nur an die Bevölkerungsexplosion denken. Natürlich wird man auch in Indien versuchen, ein kommunistisches Modell wieder zum Leben zu erwecken. Außerdem ist der Kommunismus nicht die Erfindung des Herrn Marx, es gibt ja auch den Ur-Kommunismus. Die Indianer waren wahrscheinlich die besten Kommunisten, sie haben kein Privateigentum angehäuft. Auch muß man sagen, daß Amerika machtpolitisch aus den Fugen gerät. Nehmen wir zum Beispiel den Golfkrieg: Natürlich ist er wegen Erdöl geführt worden, nicht weil die Amerikaner die Kuwaiter so lieben. Heute steht in der Zeitung, die Amerikaner wollen Kasachstan abraten, die Pipelines durch den Iran zu legen, die Amerikaner glauben, es geht sie alles was an.

War es nicht doch so, daß der Kommunismus mit seinem Experiment, den "Neuen Menschen" zu schaffen, kläglich versagt hat? In der ehemaligen Sowjetunion wurden nationale Eigenheiten der Völker brutal unterdrückt, nach der Wende sind aber gerade nationale Probleme explosionsartig wieder aufgebrochen.

HRDLICKA:Natürlich muß man sagen, daß der Zweite Weltkrieg durch einen starken Schuß Nationalismus gewonnen wurde und nicht durch die kommunistische Ideologie. Stalin hat es wunderbar verstanden, den Nationalismus anzuheizen. Der "Neue Mensch" wurde unmittelbar nach der Revolution in Rußland propagiert, bald ist man aber pragmatisch geworden. So kann es übrigens dem "Neuen Europa" auch gehen. Die Gefahr für Europa liegt vielleicht nicht darin, daß es nicht zustandekommt, sondern darin, daß es so etwas wird wie die Sowjetunion – ein Vielvölkerstaat. Es ist die Frage, ob nicht genau darin der Explosionsstoff liegt, daß alles wieder auseinandergeht. Es ist ja nicht so, daß in dem Moment, wo es den Euro gibt, das Problem Europa gelöst wäre. Es wird sich erst weisen, ob das vereinte Europa nicht genau so eine Illusion ist, wie die Sowjetunion eine war – und ebenso zerbrechen wird.

Aber die sogenannte "westliche Wertegemeinschaft" ist doch wohl ein Faktor, der nicht zu übersehen ist?

HRDLICKA: Nein, das glaube ich nicht. Es sollten am wenigsten diejenigen die Menschenrechte einmahnen, die ihre eigenen Interessen in den Vordergrund stellen. Clinton wollte am Höhepunkt des Wahlkampfes zeigen, daß er ein starker Präsident ist, darum hat er ein paar Raketen auf den Irak abfeuern lassen, wieviel Tote es dort gegeben hat, war ihm völlig egal. Auch im Zweiten Weltkrieg gab es einen Bombenterror, der militärisch wenig Sinn gehabt hat. Es gibt ja von mir ein Denkmal über den Hamburger Feuersturm. Das war eine Generalprobe für den Atomkrieg. Es wurde flächendeckend bombardiert, durch den unheimlichen Sog sind zigtausende Menschen verbrannt. Die fragwürdigste Sache ist in diesem Zusammenhang das Bombardement Dresdens. Es war ein völlig sinnloser Angriff ohne jeden militärischen Nutzen. Der Rachefeldzug steht außer Zweifel. Man war der Meinung: Ihr habt den Krieg angefangen, jetzt werdet ihr für alles büßen. Würde man das alles so genau nehmen, man käme in die Nähe von Kriegsverbrechen. Man hat die Bevölkerung mehr terrorisiert als die Nazis selber. Der Westen soll nicht so tun, als wäre er immer auf der Seite der Guten.


 
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