© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   51/97  12. Dezember 1997

 
 
SPD-Parteitag: Gerhard Schröder ist ins Hintertreffen geraten
Der Zwang zum Frohsinn
von Hans-Georg Münster

Es gebe beim Parteitag in Hannover zwei Gewinner, prahlte der SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine in seiner Schlußrede: die SPD und die Bundesrepublik Deutschland. Daß die SPD gewonnen hat, kann man dem Saarländer getrost abnehmen. Selten war ein Parteikonvent der Etablierten zu beobachten gewesen, auf dem der Chef so mit eiserner Faust wirbelte, Harmonie erzwang und erfolgreich Frohsinn verordnen konnte.

Die 525 Delegierten freuten sich gerne auf das Kommando, denn es gibt viel zu verlieren bzw. zu gewinnen: Landtagsmandate und Regierungsposten in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt und schließlich die Bundestagssitze. Wer in Bonn regieren darf, das wissen die Sozis nur zu gut, kann auch heute noch aus dem Vollen schöpfen und viel in die eigenen Taschen leiten. Die angesichts des Niedergangs der bürgerlichen Kohl-Regierung besser gewordenen Aussichten auf einen Machtwechsel schweißen zusammen. 15 Jahre Opposition reichen. Es sollen keine zwei Jahrzehnte werden. Es bleibt natürlich die nicht ganz unwichtige Frage, ob Lafontaine oder sein niedersächsischer Rivale Gerhard Schröder die Sozialdemokraten in den Bundestagswahlkampf führen werden.

Auf dem Hannoverschen Parteitag fiel auf, daß dieses brennende Thema zwar unter den Journalisten, aber nicht von den Rednern im Plenum debattiert wurde. Tonbandartig zitierten die SPD-Stars und Sternchen die von der Führung verordneten Standpunkte, zum Beispiel die neue SPD-Leuchtfigur aus Bayern, Renate Schmidt: "Wir werden unmittelbar nach den niedersächsischen Wahlen über den Kanzlerkandidaten entscheiden. Wir brauchen beide, Lafontaine und Schröder. Einer von beiden wird auf dem Tandem vorne sitzen. Und der andere wird kräftig mit dazu beitragen, daß wir die Wahl gewinnen. Jetzt ist es zuerst einmal notwendig, daß Schröder in Niedersachsen ein tolles Ergebnis bekommt."

Die Parteitagsregie des Oskar Lafontaine hatte napoleonische Züge. Wer es zu sagen gewagt hätte, er sei für diesen oder jenen Kanzlerkandidaten hätte auch gleich das Ende seiner politischen Karriere bekanntgeben können. Eigenartig, daß niemand aufstand und diese Form politischer Korrektheit zu kritisieren wagte. Kein Wort von denen, die sich der Freiheit des Geistes und des Wortes verpflichtet fühlen. Wo war eigentlich Peter Glotz? Einen anderen, den das System Lafontaine anödet, sah man andernorts: Bundestagsvizepräsident Hans-Ulrich Klose lustwandelte lieber über den Christkindlmarkt der Bonner Bayern-Vertretung, statt in Hannover dem eigenwilligen Saarländer zujubeln zu müssen.

Lafontaines Regie wirkte bis in die Medien hinein. Schröder sei in Hannover der Rücken gestärkt worden, erkannten neben dem medialen Leitdienst dpa etliche Korrespondenten. Frei nach dem alten Propaganda-Grundsatz, daß Wahrheit bekanntlich das ist, was das Volk liest und glaubt, kann Schröder nach Abschluß des Kongresses tatsächlich zufrieden sein. Fast überall wurde geschrieben, der Niedersachse sei gestärkt worden.

Auf dem Parteitag war es anders. Schröder kam bei der Wahl der Beisitzer für den erweiterten Vorstand auf den für einen potentiellen Kanzlerkandidaten hundserbärmlichen siebten Platz. Wäre das Rennen um die Kanzlerkandidatur wirklich noch offen, hätte er mit Abstand vor der führenden Brandenburgerin Regine Hildebrandt liegen müssen und nicht mit weitem Abstand dahinter.

Lafontaine dagegen fuhr bei seiner Wiederwahl ein 93-Prozent-Spitzenergebnis ein. Während die inhaltsleere und mit Allgemeinplätzen angereicherte Rede des SPD-Chefs mit vier Minuten Beifall bedacht wurde, kam Schröder mit seinen nüchternen Bemerkungen nicht einmal auf zwei Minuten Zustimmung. Um Lafontaine zuzujubeln standen alle auf, bei Schröder blieben ganze Blöcke sitzen. Prozentual war Schröders Ergebnis so schlecht, daß er nicht einmal Theo Waigels schwache 85 Prozent vom CSU-Parteitag erreichte. Wenn das Ergebnis für Waigel ein Dämpfer war, dann sind Schröders knapp 75 Prozent eine ziemlich große Schlappe. Da hilft auch der trostvolle Einwand nicht, Schröder sei vor zwei Jahren auf dem Mannheimer SPD-Parteitag im ersten Wahlgang sogar durchgefallen. Denn in Mannheim war die Situation anders: Schröder hatte den damaligen SPD-Chef Rudolf Scharping in aller Öffentlichkeit so runtergemacht, daß er schon den Ruf des potentiellen Königsmörders bekam. Doch auch Brutus wurde nicht Cäsar; das Rennen machte in Mannheim dann Lafontaine.

Ein weiteres Märchen, das aus der Messehalle in Hannover gezielt den Weg in die Medien und damit die deutschen Wohnzimmer fand, widerlegte der Bundestagsabgeordnete Detlev von Larcher, dem man dafür dankbar sein muß. So hatte es geheißen, alle Forderungen des linken Parteiflügels nach teuren Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen seien abgelehnt worden. Damit sollte zweierlei vermittelt werden: Lafontaine hat alles und alle im Griff, und Schröder wurde nicht blamiert.

Larcher, Sprecher des linken Frankfurter Kreises in der SPD, teilte nach dem Parteitag mit, tatsächlich finde sich im Initiativantrag 44 ein milliardenschweres Beschäftigungsprogramm. Gefordert würden umfangreiche staatliche Ausgabenprogramme. "Mit diesen Zukunftsinvestitionen können mehrere 100.000 Arbeitsplätze geschaffen werden", heißt es in dem Beschluß. Ein weiteres Arbeitsbeschaffungsprogramm für den ökologischen Strukturwandel müsse bereits in der Startphase mit mindestens zehn Milliarden Mark ausgestattet werden, beschloß der Parteitag.

Wenn die sozialdemokratischen Tendenzen anhalten, gewinnt die Bundesrepublik zwar nicht, aber sie könnte weiterbonnern. Lebemann Lafontaine hat weniger Chancen auf einen Sieg gegen Helmut Kohl als der beim breiten Publikum beliebte Schröder. Mit Kohl würde der Niedergang der rheinischen Republik noch ein paar Jährchen anhalten.


 
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