© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    52/97 u. 01/98  19. Dezember / 26. Dezember 1997

 
 
Tödlicher Spagat
von Kai Guleikoff

Deutschland ist Vizeweltmeister der Exportnationen. Die Erfolge deutscher Unternehmen bringen 1997 den Handelsüberschuß zum ersten Male nach der Vereinigung von Mittel- und Westdeutschland wieder über 100 Milliarden DM. Die durchschnittliche Auslastung der Industrie in Westdeutschland betrug zur Jahresmitte 85,5 Prozent, in Mitteldeutschland 81 Prozent. In der Relation die besten Ergebnisse seit 1990. Automobile, Maschinen, elektrotechnische Erzeugnisse sowie Nahrungs- und Genußmittel erfreuen sich einer konstanten bis steigenden Auslandsnachfrage. Ursächlich für diesen erfreulichen Trend sind die jahrelangen Rationalisierungsmaßnahmen in den Unternehmen. Die relative Höherbewertung des US-Dollars begünstigte diesen Prozeß außerordentlich. Innenpolitisch haben die deutschen Unternehmen gute wirtschaftliche Rahmenbedingungen eingeräumt bekommen, wie maßvolle Lohnabschlüsse, niedrige Zinsen, stabile Preise in Primärbereichen und für den Export wichtige günstige Wechselkurse. Leider läßt die große Steuerreform auf sich warten. Deshalb wird "nur" von einer "Erwärmung" des Konjunkturklimas gesprochen. Für das Jahr 1997 wird mit einem Anstieg des Bruttoinlandproduktes um 2,5 Prozent gerechnet, für das kommende Jahr wird eine Erhöhung auf 3 Prozent erwartet.

Aus den Erfahrungen der nationalen Wirtschaftsgeschichte und der Volkswirtschaftslehre müßte nun der Export die Binnennachfrage deutlich beleben. Leider ist diese "Initialzündung" bisher ausgeblieben. Im Gegenteil, der Spagat zwischen Auslands- und Inlandsnachfrage wird immer größer. Das stagnierende bis leicht rückläufige Weihnachtsgeschäft 1997 bestätigt diese Tatsache. Die immer größer werdende Anzahl von Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern verringert spürbar die Kaufkraft der Deutschen. Nichtexportierende Unternehmen müssen sich personell verkleinern und die Zahl der Konkurse steigt in dramatische Höhen. Allein mit der anstehenden Steuerreform ist diese Fehlentwicklung nicht zu beseitigen. Der Staat ist aufgerufen, den arbeitskräfteintensiven Mittelstand vor weiterem Verfall zu bewaren. Betriebsschließungen führen direkt und indirekt zu immer mehr Steuerausfällen und damit zu einem weiteren Anwachsen der Staatsverschuldung. Die Politik muß in derartigen Krisenzeiten ihr Primat vor der Wirtschaft betonen. Bei einer Schieflage der Märkte fällt mehr und mehr der Mechanismus der Selbstregulierung aus. Es darf nicht sein, daß Gewinne im Ausland versteuert werden, ganze Produktionslinien aus Deutschland ausgelagert werden und die Banken sich immer mehr verselbstständigen und bald jeder staatlichen Kontrolle entzogen sind. Jeder deutsche Staatsbürger hat die Pflicht, zum Erhalt des Staates beizutragen, unabhängig von seiner sozialen Stellung. An erster Stelle steht die Herbeiführung bzw. der Erhalt des sozialen Friedens im Lande durch die Gewährleistung eines stabilen Arbeitsmarktes und damit der persönlichen Existenzsicherung des Bürgers. Der Staat hat Rahmenbedingungen zu setzen und deren Einhaltung zu kontrollieren. In der Außenwirtschaft


 
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