© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    52/97 u. 01/98  19. Dezember / 26. Dezember 1997

 
 
Kolumne
Emotionen
von Heinrich Lummer

Zwei ideologische Richtungen haben unser Jahrhundert geprägt. Der Kommunismus/Sozialismus auf der einen, der Nationalsozialismus/Faschismus auf der anderen Seite. Diese Ideologien haben nicht nur Vorstellungen für die Veränderung und Gestaltung der Welt geliefert. Sie haben vor allem auch die emotionalen Tiefen des Menschen angesprochen. Sie pflegten Symbole, und sie pflegten den Gesang.

Die Demokratie nimmt sich da ausgesprochen nüchtern, rational und trocken aus. Sie vernachlässigt emotionale Werte. Kurz gesagt: Die Demokratie hat keine Lieder. Der Mensch aber braucht diese Welt der Lieder. Die Sozialisten können am Ende ihrer Veranstaltungen und nach dem Genuß einiger Biere immer noch die Internationale singen, sich an die Hand nehmen und mit Gesang zur Freiheit und Sonne streben. Den Liberalen und Konservativen bleibt nur das Deutschlandlied. Hier liegt der Grund, weshalb in entsprechender Stimmung, wenn das Bedürfnis nach gemeinsamen Gesang steigt, alte Lieder hervorgekramt werden. Die "Alten Kameraden" hört man dann, man läßt die Panzer wieder in Afrika rollen, erinnert sich an Lettow-Vorbeck, und dann und wann fährt man auch gegen England. Natürlich ist das alles problematisch. Und wenn die Reichskriegsflagge – aber schön ist sie doch – dazu kommt, mögen manche schon den Geist von gestern spüren. Dies aber von vornherein als "rechtsextremistisch" – sprich: verfassungsfeindlich – einzuordnen, ist der Versuch, mit Kanonen auf Spatzen zu schießen. Natürlich muß man auch hier den Anfängen wehren. Aber bitte nicht das Kind mit dem Bade ausschütten! Wenn einer also partout nicht dem Bund dienen will, geht er in die Kneipe, singt ein paar entsprechende Lieder, läßt sich fotografieren, und schon braucht er nicht die Uniform anzuziehen. Ich dächte, für den wäre es besser, länger zu dienen.

Und wenn ein Soldat wegen seiner Uniform verprügelt wird, dann soll er sie künftig in der Öffentlichkeit nicht mehr tragen. Ich dächte, es wäre besser, sie würde öfter und von allen getragen. Mein Eindruck ist, daß in unserer Demokratie und nicht zuletzt in der Bundeswehr die emotionalen Werte zu kurz kommen. Traditionspflege, Symbolik, Liedgut spielen hier eine wichtige Rolle. Wenn jemand bereit sein soll oder gar ist, fürs Vaterland zu sterben, dann wird es in erster Linie nicht daran liegen, daß ihm das der Verstand gebietet. Es wird in erster Linie immer so etwas sein wie die Liebe zu seinem Land. Jene Vorfälle also sollten nicht nur schnelle Antworten erfahren, sondern auch gründliche Fragen aufwerfen.


 
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