© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    52/97 u. 01/98  19. Dezember / 26. Dezember 1997

 
 
Südostasien: Erste Opfer der Globalisierung
Tiger vorm Bankrott
von Arne Schimmer

In den vergangenen Jahren galten die ostasiatischen Tigerstaaten Hongkong, Singapur, Südkorea, Malaysia, Indonesien und Thailand mit teilweise zweistelligen Zuwachsraten beim Bruttosozialprodukt und in die Höhe schießenden Aktienkursen als Musterbeispiele des asiatischen Kapitalismus und als Hauptnutznießer des Globalisierungsprozesses. Viele sahen in ihnen ein nacheifernswertes Modell für die träge und inflexibel gewordenen Wohlfahrtsstaaten Europas. Dieses Bild wurde in den vergangenen Monaten auf eine für die betroffenen Länder brutale Art und Weise korrigiert: Der südkoreanische Won hat seit Mitte Oktober 50 Prozent an Wert verloren, die indonesische Rupie seit Juli mehr als 45 Prozent und rund 43 Prozent sind es beim thailändischen Baht, mit dessen Absturz ebenfalls im Juli die Krise begonnen hatte.

Die Lage an den Aktienmärkten ist ähnlich desolat: die börsennotierten Unternehmen Südkoreas, Malaysias und Indonesiens verloren seit Juli im Durchschnitt 50 Prozent ihres Wertes, auf den Philippinen, in Hongkong und Thailand 30 Prozent. Für Südkorea hat sich die Finanzkrise längst zu einer nationalen Katastrophe ausgewachsen, denn die elftgrößte Industrienation der Welt steht hart am Rande des Staatsbankrotts und damit vor einem ökonomischen und sozialen Fall ins Bodenlose. Noch Anfang voriger Woche schien die Krise überwunden, als der Internationale Währungsfonds (IWF) dem Land unter einer Reihe von Auflagen 57 Milliarden Dollar gewährt hatte und am Tag danach die Börse mit einem Plus von über sieben Prozent die größte Steigerung erlebte, die in Seoul jemals an einem Tag notiert worden war. Doch als ein internes Papier des IWF bekannt wurde, in dem die kurzfristige Auslandsverschuldung des Landes auf bis zu 100 Milliarden Dollar geschätzt wurde, ging der Aktiensteigflug nahtlos in einen dramatischen Kurssturz über.

Zum Schutz der Banken vor Sparern mußte die Regierung Bereitschaftspolizei einsetzen, und Unternehmen tauschten panikartig Won in US-Dollar, um ihre Auslandsschulden bezahlen zu können. Mitte letzter Woche waren fünf südkoreanische Banken bankrott. Und der Liquiditätsengpass gewinnt bedrohlich an Schärfe, da noch in diesem Jahr 20 Milliarden US-Dollar Auslandsschulden fällig sind, während von den IWF-Mitteln erst 5 Milliarden US-Dollar geflossen und die südkoreanischen Devisenreserven auf 6 Milliarden US-Dollar zusammengeschmolzen sind.

So ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis in Südkorea die Arbeitslosenzahlen explodieren werden – und das in einem Land, in dem die Arbeitslosenversicherung nur bis zu drei Monate nach Eintritt der Erwerbslosigkeit eine finanzielle Unterstützung zahlt. Soziale Unruhen scheinen programmiert, und die Abgesandten des IWF erscheinen vielen Koreanern eher als neue Kolonialherren denn als Finanzfeuerwehr in der Not.

Der Fall Südkorea zeigt in aller Deutlichkeit die Gefahren des Globalisierungsprozesses, der mitnichten mit Wohlfahrtsgewinnen für alle verbunden ist. Vielemehr stellen die nomadisierenden Kapitalströme ein Damoklesschwert dar, das von heute auf morgen auch über denjenigen Länder schweben kann, die gestern noch von von diesen Strömen profitierten. Dabei ist die Rolle des IWF als weltumspannender finanzieller "Globocop" durchaus fragwürdig. So betonte der Harvard-Ökonom Jeffrey Sachs, daß neben der mangelnden Bankenaufsicht und der Überinvestition im Immobiliensektor die Krise vor allem dadurch ausgelöst wurde, daß "ausländische Investoren ihr Geld den Koreanern regelrecht aufgedrängt haben". Dieselben Investoren könnten sich darauf verlassen, daß sie ihre Rendite mit Geldern des IWF – also mit Steuergeldern – einstreichen. Eine weitere Dimension erhält der Fall Südkoreas dadurch, daß der größte Gläubiger des Landes das ebenfalls im finanziellen Sektor angeschlagene Japan ist. Sollte der wankende Gigant ins Straucheln geraten, könnte eine neue Weltwirtschaftskrise die unausweichliche Folge sein.


 
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