© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    52/97 u. 01/98  19. Dezember / 26. Dezember 1997

 
 
Bundeswehr: Ehemaliger MAD-Chef Komossa kritisiert die politischen Antworten auf die Medien-Kampagne
Ein drohendes Klima der Bespitzelung
von Gerd H. Komossa

Die Debatte um den deutschen Soldaten und die Bundeswehr, die aufgrund von einigen Vorkommnissen der letzten Jahre initiiert wurde, hat am 12. Dezember mit der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses durch den Deutschen Bundestag eine neue Dimension erhalten. Der Verteidigungsausschuß, dem 39 Mitglieder des Bundestages angehören und in dem auch die Grünen mit drei und die SED-Nachfolgepartei PDS mit zwei Abgeordneten vertreten sind und die Regierungsparteien nur eine Stimme Mehrheit haben, wird sich – wie 1968 im Spionagefall Lutze/Wiegel – wieder als Untersuchungsausschuß konstituieren und "die zahlreichen rechtsextremistischen Vorfälle bei den Streitkräften in den vergangenen Monaten" aufklären. Auslösendes Moment war – neben den bekannten auf Übungsplätzen und in Mannschaftstuben gefertigten Brutalo-Videos – der Fall Roeder an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg-Blankenese.

Die Sympathie für die Bundeswehr war nach dem Oder-Einsatz gewachsen

Die Welle der Sympathie, die den Soldaten der Bundeswehr nach ihrem selbstlosen Einsatz an der Oder in diesem Sommer und seit nunmehr vielen Monaten in Bosnien entgegenschlug, war für viele in unserem Lande unangenehm. Wo Aktionen gegen den deutschen Soldaten, gegen das Eiserne Kreuz als Symbol für Opfermut und Tapferkeit – u.a. in der Reemtsma/Heer-Wanderausstellung – Soldaten konterkariert wurden durch ein gewachsenes Ansehen des Soldaten in der Bevölkerung, kamen solche Ereignisse wie die Videos, hier und da ein Nazi-Symbol und der Roeder-Vortrag wie gerufen oder bestellt. Hinsichtlich der Videos wäre zu prüfen, welchen Wert Aufnahmen haben, die ein Soldat gemacht hat, der sich selbst darstellte und das Ergebnis einer Fernsehanstalt zur Verfügung stellte. Man wird solche Fälle nur juristisch klären können. Und doch kommt als erste Reaktion der Ruf nach Säuberung der Bundeswehr.

Wer ist Manfred Roeder? Hat dies jeder bis zu diesem Eklat an der Führungsakademie gewußt? Wußte der einladende Akademiechef gar, wen er da zu einem Vortrag gebeten hatte? Die letzte Frage wird geklärt werden können. Es könnte möglich sein, daß Roeders Aktivitäten in Zusammenarbeit mit den Russen im nördlichen Ostpreußen in der Akademie interessierten, ohne zu wissen, wie Roeder politisch einzuordnen ist. Wer die Führungsakademie der Bundeswehr kennt, kann sich rechtsextremes Gedankengut unter dem Akademiemotto "Der Geist besiegt die Materie" wirklich nicht vorstellen. An der Führungsakademie, wie in der Bundeswehr, ist die demokratische Grundeinstellung der Soldaten, wie die der meisten zivilen Mitarbeiter, nicht in Zweifel zu ziehen. Unter den zivilen Wissenschaftlern wird man eher links- denn rechtslastige Überzeugungen finden seit den Tagen, als unter wohlwollender Akzeptanz des damaligen Verteidigungsminsters Helmut Schmidt ein Consilium der militärischen Führung zur Seite gestellt wurde, das diese zu kontrollieren suchte und in dem linkes Gedankengut vehement vertreten wurde. Nein, die Führungsakademie war nie ein Hort der "Ultra-Rechten".

Wer immer Roeder zu dem Vortragsabend empfohlen oder eingeladen hatte, hat es mit Sicherheit nicht getan, um einem Rechtsextremisten ein Forum zu bieten. Es geschah entweder aus Unkenntnis der Person, aus Naivität oder aus Dummheit. Die Frage gar, warum der Militärische Abschirmdienst (MAD) nicht gewarnt habe, offenbart, wie wenig Aufgaben und Befugnisse des Dienstes bekannt sind. Der MAD erfährt in aller Regel nicht, wer an der Akademie einen Gastvortrag hält. Auch das ist eine von vielen negativen Folgen der Fesseln, die den Sicherheitsbehörden mit Datenschutzgesetz und Einschränkungen bei der Zusammenarbeit auferlegt wurden.

Verteidigungsminister Volker Rühe hat gehandelt. Nach jedem Vorfall sehr rasch. Vielleicht etwas zu forsch? Hoffentlich führt das Bemühen um Überprüfung der Soldaten auf mögliche politische Rechtslastigkeit nicht zu einem System der Bespitzelung. Der Geist von Mielke und Wolf läßt grüßen! Bisher waren die Kasernen frei von jeglicher Art einer Bespitzelung oder politischen Bewußtseinskontrolle, obwohl es hier und da schon einmal Ansätze gab. Soldaten diskutieren bereits – nicht nur in den Mannschaftsstuben – ob nicht zu erwarten ist, daß bei wachsendem Mißtrauen gegeneinander die Kameradschaft Schaden nimmt. Auch die Bundeswehr muß mit rechten und linken Aktivitäten leben. Die Vorfälle sind eher Aufforderung, den Bundeswehrsoldaten aus jeder Politisierung herauszunehmen und die Bundeswehr nicht zu einer Plattform extremer Gedanken werden zu lassen. Autoren des ultralinken "Darmstädter Signals" werden als Stabsoffiziere befördert, Soldaten, die außer Dienst sich betont national orientiert zeigen, werden nun observiert und diszipliniert.

Es gibt keinen Zweifel, daß die Mehrheit des Volkes politische Radikalität ablehnt wie jede Art von Totalitarismus. Es sollte nicht übersehen werden, daß es Ansätze eines neuen Totalitarismus gibt, der bis in den Deutschen Bundestag hineinreicht. Dieser schleichende Totalitarismus, zu dem der Absolutheitsanspruch gewisser Parteien und Politiker mit Sitz und Stimme im Bundestag gehören, ist eine Gefahr, die noch nicht erkannt wird. Der Boden ist bereitet für einen neuen Totalitarismus, bei dem die Verleugnung der eigenen Nation zum Grundprinzip gehört. In welchem Land Europas wäre es möglich, daß die Vizepräsidentin des Parlaments die eigene Nationalhymne verächtlich macht? Antje Vollmer erklärte in einem Interview, daß "die Nationalhymne für sie nicht singbar" sei. Das heißt doch im Klartext, daß dieser hochdotierten Präsidentin die Worte Einigkeit und Recht und Freiheit nicht über die Lippen kommen. Ob das wohl in Großbritannien, Frankreich oder Russland und Polen vergleichbar möglich wäre?

Die politische Führung muß ihrer Fürsorgepflicht für den Soldaten nachkommen.

Die Forderungen sind gestellt nach Überprüfung der Soldaten, ihrer politischen Aktivität oder Gesinnung, nach Säuberung der Kasernen und der Entfernung des Eisernen Kreuzes als Symbol des deutschen Soldaten, zu denen die berüchtigte Reemtsma/Heer-Ausstellung den Startschuß gab. Wer dieses Eiserne Kreuz diffamiert und den Soldaten, der unter ihm gekämpft und in vielen Ländern Europas seine letzte Ruhestätte gefunden hat, schädigt nicht nur das Ansehen der Gefallenen, sondem verletzt die Würde ihrer Hinterbliebenen. Die Dummheit darf nicht noch einmal Orgien in Deutschland feiern. Daher dürfen die Vorfälle in der Bundeswehr das Ansehen des deutschen Soldaten nicht beschädigen. Allerdings ist hier die politische wie auch militärische Führung aufgefordert, den Soldaten in der Fürsorge des Staates zu halten und nun nicht zum Abschuß freizugeben.

Politische Bildung ist – auch bei Soldaten – zu begrüßen. Doch leider ist bisher politische Bildung, wo sie institutionalisiert ist, in den meisten Bundesländern, vielleicht von Bayern und Baden-Württemberg abgesehen, den Ansprüchen nicht gerecht geworden.


 
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