© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    02/00 07. Januar 2000


Kroatien und wir
von Peter Lattas

Ihres Patriarchen Franjo Tudjman waren die Kroaten kaum minder überdrüssig geworden als die Deutschen ihres Dauerkanzlers Kohl. Also wählten sie, wenige Wochen nachdem sie dem verstorbenen Staatsgründer die letzte Ehre erwiesen hatten, seine Partei HDZ, die das ganze Land mit einem lähmenden Filz von Korruption und Vetternwirtschaft überzogen hatte, mit Pauken und Trompeten ab. Mit diesem Wahlsieg ist für Kroatien auch die Nachkriegszeit, von der HDZ aus machttechnischen wie sentimentalen Gründen propagandistisch um einige Jahre verlängert, endgültig vorbei. Im neuen Sabor sitzen elf von 55 angetretenen Parteien, die sich zumeist in Wahlbündnissen zusammengeschlossen hatten. Die Koalition aus Sozialisten und Sozialliberalen wird den Ton angeben. Zusammen mit einem Viererbündnis kleinerer Parteien wird der neue sozialistische Ministerpräsident Racan voraussichtlich über eine Zweidrittelmehrheit verfügen. Zur demokratischen Normalität gehört in Kroatien aber auch, daß ein Bündnis aus zwei Rechtsparteien, der Staatsrechtspartei und den christlichen Demokraten, Abgeordnete entsenden wird.

Leicht wird der Machtwechsel trotz der klaren Entscheidung nicht werden. Auf das mühselige Bündnisschmieden in der Opposition folgt für die Sieger jetzt das Zusammenraufen in der Regierungskoalition. Die allzu lange alleinherrschende HDZ und ihre Funktionäre werden zudem nicht gerne aus der Macht scheiden. Das "System Tudjman" samt seinen aufgedeckten und noch aufzudeckenden Skandalen wird ähnlich dem "System Kohl" die abgewählte Regierungspartei wie das ganze Volk noch lange beschäftigen. Das Wahlprogramm der Sieger – Überwindung der wirtschaftlichen, sozialen und moralischen Krise – ist leichter verkündet als verwirklicht.

Wichtigste Aufgabe wird die Beendigung der internationalen Isolation Kroatiens sein. Diese allein Tudjman anzulasten wäre ungerecht angesichts der willkürlichen Ausgrenzung durch die EU wie auch die US-amerikanische Außenpolitik. Kroatiens neue Mitte-Links-Regierung wird ungeachtet der Vorschußlorbeeren aus dem Westen viel Geduld und Selbstbewußtsein brauchen, um die dort festgefressenen Vorurteile zu überwinden. Es ist mehr als skurril, die Türkei mit ihrer Kurdenverfolgung oder die Tschechei mit ihren fortgeltenden Benesch-Dekreten zu EU-Kandidaten zu machen und Kroatien wegen angeblicher Mängel beim Minderheitenschutz draußen zu lassen. Deutschland würde seinen Interessen und der Stabilität der Region besser dienen, wenn es wieder zum Fürsprecher dieses mitteleuropäischen Landes würde, statt an fragwürdigen Kosovo-Abenteuern teilzunehmen.


 
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