© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    02/00 07. Januar 2000


Dunkler Ehrenmann
von René Sotier

"Es ist eine ewige Erfahrung, daß jeder Mensch, der Macht in Händen hat, geneigt ist, sie zu mißbrauchen. Er geht so weit, bis er Schranken findet", überlieferte Montesquieu mit seinem "Geist der Gesetze". Solcherlei Schranken scheint der frühere Bundeskanzler Kohl gegenwärtig durch die Staatsanwaltschaft Bonn aufgezeigt zu bekommen. Deren Strafverfolger eröffneten ein Ermittlungsverfahren gegen den ehemaligen CDU-Vorsitzenden. Nichts Minderes als ein "konkreter Anfangsverdacht" hinsichtlich des Straftatbestandes der Untreue wurde bejaht – eine durchaus gewichtige Beschuldigung. Der Inbegriff des "System Kohl" selbst hüllt sich beharrlich in Schweigen. Sein gegebenes Wort stuft der Staatsmann unbeirrbar höher ein als geltendes Recht!

Der Parteivorsitzende Schäuble, der Parteivize Wulff und die Generalsekretärin Merkel rätseln derweil immer noch, wie man sich am besten verhalten solle. Der Umstand dieses zögernden Abwartens vermag allenfalls weiteres Mißtrauen hervorzurufen. Ergibt sich der modus vivendi nicht aus dem Geschehenen klar und unzweideutig von selbst? Es wurde offenkundig gegen das Parteiengesetz verstoßen, die eigene Partei nach staatsanwaltschaftlicher Einschätzung finanziell geschädigt; das Recht persönlichem Gutdünken und vereinsinternem Machtkalkül unverhohlen subordiniert - der Amtseid gebrochen.

Wer vom Bürger Gesetzestreue einzufordern gedenkt, sollte sich zunächst selbst an die, größtenteils mit eigener Mitwirkung erlassenen, Gesetze gebunden fühlen. Die Bindung jedweder staatlicher Gewalt an Recht und Gesetz ist staatstragendes Verfassungsprinzip, wie auch das Gebot der Transparenz politischen Handelns. Jeder Kassenwart eines Kleingärtnervereiens hätte mit der sofortigen Amtsenthebung und einer strafrechtlichen Verurteilung zu rechnen, täte er es der "Ikone" Kohl gleich. Für staatsrepräsentierende, für Wohl und Wehe der gesamten Nation verantwortliche Vorbilder kann schwerlich ein gröberer Maßstab gelten.

Amtsenthebung, sofortiger Mandatsverzicht sowie eine rigorose strafrechtliche Aufklärung sollten nichts weiter als bloße Selbstverständlichkeiten darstellen. Eben dies – und kein Jota weniger – hätten genannte Spitzenfunktionäre der CDU zu fordern, wollen sie nicht auch noch den kläglichen Rest an Vertrauen verspielen und die vorherrschende parteipolitische Praxis dem Spott preisgeben. Opportunistisches Zaudern, offenkundige Führungsschwäche und konkludente Nachsichtigkeit gegenüber Gesetzesbrüchen sind keine Wahlempfehlung. Der bürgerliche Wähler kann daher nur eines fordern: Ein Ende augiastischer Stall-"Hygiene"!


 
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