© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    02/00 07. Januar 2000


Rußland: Putin steht unter enormem Erfolgsdruck
Remedur im Kreml
Michael Wiesberg

Hat mit dem Ende der Ära Jelzin im Kreml tatsächlich das große Aufräumen eingesetzt? Der äußere Anschein spricht zumindest dafür. Wenige Tage nach dem Machtwechsel in Rußland hat Interimspräsident Wladimir Putin die Tochter seines Amtsvorgängers Boris Jelzin, Tatjana Djatschenko, als Beraterin im Kreml entlassen. Außerdem wurden drei stellvertretende Administrationsleiter sowie Jelzins Sprecher Dimitri Jakuschkin aus ihren Ämtern entlassen.

Insbesondere der Abgang der 39jährigen Jelzin-Tochter Djatschenko muß als Zeichen an die russische Bevölkerung gewertet werden. Tatjana Djatschenko war seit 1996 Beraterin ihres Vaters und soll einen großen Einfluß im Kreml gehabt haben. Inwieweit sie die Entscheidungen ihres Vaters mitbestimmt hat, darüber kann freilich nur gemutmaßt werden. Djatschenko steht allerdings seit geraumer Zeit im Zwielicht. Seit Sommer letzten Jahres wollen die Korruptionsvorwürfe gegen die Jelzin-Tochter nicht verstummen. Daß Putin sein Amt mit derartigen Vorwürfen nicht belasten will, ist nachvollziehbar. Diese könnten seiner derzeit breiten Popularität und seinen guten Aussichten für die Präsidentenwahl einen erheblichen Rückschlag bereiten.

Die Vorgänge um Tatjana Djatschenko leisten Spekulationen Vorschub, daß der am 31. Dezember 1999 zurückgetretene russische Präsident Boris Jelzin vor allem deshalb sein Amt vorzeitig aufgab, weil er sich von dem im August vergangenen Jahres zum Mininsterpräsidenten ernannten Wladimir Putin Schutz vor Strafverfolgung erhofft hat.

Putin heizte diese Spekulationen durch ein Dekret, das dem 68jährigen Jelzin neben der Immunität vor Strafverfolgung auch eine Altersvorsorge auf Lebenszeit, die Nutzung eines Landsitzes der Regierung, Leibwächter sowie Gesundheitsversorgung für ihn selbst und seine Familie gewährt, noch weiter an.

Kaum ist dieses Dekret erlassen, da machen erneut Vorwürfe die Runde, die Jelzin in Verbindung mit Geldwäschegeschäften bringen. So verbreitete zum Beispiel das US-Nachrichtenmagazin Newsweek, daß Jelzin auf Schweizer Bankkonten über ein Guthaben von mehr als 15 Millionen Dollar verfügen soll. Nach anderen Medienberichten sollen in der Schweiz von einer Baufirma ausgestellte Kreditkarten auf den Namen von Tatjana Djatschenko gefunden worden sein. Die Baufirma hatte lukrative Aufträge für die Kreml-Renovierung erhalten.

Alle diese Vorwürfe sind im Grunde nicht neu. Bereits im Frühjahr 1999 deckte Generalstaatsanwalt Juri Skuratow zahlreiche Korruptionsskandale auf, was diesen das Amt kostete. Entscheidenden Anteil an der Entlassung Skuratows, dem ein Besuch im Rotlichtmilieu zum Verhängnis wurde, hatte der sogenannte Finanzoligarch Boris Abramowitsch Beresowskij, dem Verbindungen zur Organisierten Kriminalität nachgesagt werden. Skuratow war so vermessen, gegen Beresowskij einen Haftbefehl zu erlassen.

Auf das Konto der Intrigen Beresowskijs geht auch die Entlassung von Premier Primakow, der Jelzin durch seine guten Verbindungen zur Opposition unbequem wurde. Beresowkijs Motive, auf die Entlassung Primakows zu drängen, dürften sich durch dessen Pläne, die Machenschaften der russischen Finanzoligarchen zu bekämpfen, erklären.

Nach Primakow bekleidete für ganze drei Monate Stepashin das Amt des Ministerpräsidenten. Dieser schaffte es nicht, sich gegen Anatoli Tschubaijs, Reformer und Vorsitzender eines russischen Energieriesens, und Beresowskij durchzusetzen. Ungeniert kungelten Beresowskij und Tschubaijs weiter um die Aufteilung der finanziellen und der Rohstoffreserven Rußlands.

Wohl auch deshalb folgte auf Stepashin Putin, der bis zu seinem Amtsantritt eher im Hintergrund wirkte. Auch Putin entstammt wie Jewgenij Primakow und Sergej Stepashin, die ihm als Premierminister vorausgingen, dem russischen Geheimdienstmilieu. Putin ist gelernter Jurist und arbeitete bis Anfang der neunziger Jahre in der Ersten Hauptabteilung des KGB. Nach seiner Rückkehr war er zunächst für Anatoli Sobtschak bei der Wahl der Bürgermeister der Stadt aktiv. Nach dessen Wahl bekleidete Putin wichtige Ämter in der Petersburger Stadtregierung. Als Sobtschak bei der Wiederwahl im Jahre 1995 scheiterte, übernahm Putin in Moskau einflußreiche Positionen in der Präsidentenadministration.

Inwieweit es Putin gelingen wird, die in Russland epidemisch verbreitete Organisierte Kriminalität, deren Tentakel bis in den Kreml hinein reichen, zurückzudrängen, darüber kann derzeit nur spekuliert werden.

Das Schattenregime der russischen Mafia ist inzwischen ein so mächtiger "Wirtschaftsfaktor" geworden, daß selbst die politischen Instrumente eines möglichen Präsidenten Putin nicht ausreichen könnten, in Rußland für eine Remedur der Verhältnisse zu sorgen. Will Putin allerdings glaubwürdig bleiben, wird auch er die Auseinandersetzung mit den Finanzoligarchen Rußlands suchen müssen, deren skrupelloser Bereicherungswille zu einer beispiellosen Ausplünderung des Landes geführt hat.


 
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