© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    02/00 07. Januar 2000


Entschädigung: Arnold Tölg über vergessene Zwangsarbeiter nach Ende des Zweiten Weltkrieges
"Da klafft eine Gerechtigkeitslücke"
Jörg Fischer

Herr Tölg, ehemalige Zwangsarbeiter des Nazi-Regimes erhalten eine Entschädigung von insgesamt zehn Milliarden Mark aus Deutschland. Darauf haben sich die Verhandlungsführer Mitte Dezember des vergangenen Jahres geeinigt. Von deutschen Zwangsarbeitern nach dem Zweiten Weltkriege – darüber spricht man wenig...

Tölg: Genau das ist eben die deutsche und internationale Heuchelei. Wenn man über Zwangsarbeiterentschädigung spricht, müßte man auch deutlich machen, daß gerade die Länder, die am massivsten Forderungen gegen uns richten, genügend Dreck am Stecken haben, weil Sie Hunderttausende deutscher Zwangsarbeiter in zahllosen Lager hatten. Ich denke an die ehemalige Sowjetunion, an Polen, Tschechien oder Jugoslawien, um nur mal einige zu nennen. Und für mich ist das Schlimmste an der ganzen Geschiche, daß deutsche Generationen mit Forderungen überzogen werden, die überhaupt keine Verantwortung tragen. Es sind inzwischen mehrere Generationen nach Kriegsende vergangen, und nach meiner Beurteilung ist längst alles verjährt beziehungsweise entschädigt. Ich darf nur aus meiner Familie sagen, daß auf dem Hof meiner Großeltern ein polnisches Ehepaar lebt, daß wir besucht haben. Sehr nette Leute, die auch gut deutsch sprechen, die sich in Deutschland als Zwangsarbeiter kennengelernt haben. Sie bekamen einen ganzen Bauernhof. Wenn das keine Entschädigung ist, weiß ich auch nicht, was hier noch entschädigt werden soll. Außerdem, wenn wir den völlig unbeschädigten Besitz der Sudetendeutschen von 1945 nehmen: es ist den Tschechen alles unbeschädigt in die Hand gefallen. Die haben sich in komplette Häuser gesetzt und das sind ja alles Entschädigungsleistungen gigantischer Art, hunderte Milliarden, die in keiner Weise erwähnt werden. Und deswegen gibt es nach meiner Beurteilung hier eine Entwicklung, die überhaupt kein Recht schafft, denn in Deutschland werden die Opfer oder die Kinder der Opfer erneut zur Kasse gebeten, vorallem durch Steuerzahlungen. Da klafft doch eine riesige Gerechtigkeitslücke.

Zwangsarbeiter gab es nicht nur im Osten. Auch das heutige EU-Mitgliedsland Frankreich hat Deutsche als Zwangsarbeiter beschäftigt. Haben Sie sich auch mit diesem Thema beschäftigt?

Tölg: Nein, also da habe ich keinen Einblick. Ich befasse mich mehr oder weniger nur mit dem, was im Osten passiert ist. Aber Sie haben natürlich vollkommen recht. Die Franzosen und andere Siegermächte haben deutsche Kriegsgefangene und Bevölkerungsteile auch als Zwangsarbeiter herangezogen und das jahrelang nach dem Krieg, was ja auch widerrechtlich war.

Bleiben wir also im Osten. Außer den Deutschen und Österreichern wurden auch andere ehemals verbündete Volksgruppen nach 1945 als Zwangsarbeiter verschleppt, ausgebeutet oder gar umgebracht. Ich denke da nur an die Ungarn, die Rumänen, die Balten oder Ukrainer. Gibt es da vom BdV oder im Bereich Zwangsarbeiterentschädigung Kontakte von Ihnen zu diesen Volksgruppen?

Tölg: Ja. Zu Ungarn hat es ja Kontakte gegeben. Die waren ja in der früheren Zeit genauso Opfer wie die Deutschen. Die Ungarn waren auch Opfer in Teilen von Gebieten, die heute zu Jugoslawien oder zur Slowakei gehören. Mit Ungarn gibt es überhaupt keine Probleme, weil sie auch selber bereit waren, zumindest symbolisch, für die Schäden, die durch die Vertreibung entstanden sind, einzustehen. Aber andere Länder, wie Jugoslawien oder Tschechien sind ja überhaupt nicht bereit, sich hier zu bewegen.

Vom Witikobund gibt es einen Aufruf an ehemalige sudetendeutsche Zwangsarbeiter in der damaligen Tschechoslowakei, sich mittels eines Erfassungsbogens zu melden, um ihre geleistete Zwangsarbeit dokumentieren zu können. Sie sind Vertriebener aus Schlesien. Gibt es solche Aktionen auch von anderen Landmannschaften?

Tölg: Nein, davon weiß ich bislang nichts. Aber es gibt ja bereits riesige Dokumentationen. Es ist ja mehr oder weniger schon alles bekannt: über die unzähligen Lager in Polen, in Tschechien, in Jugoslawien und über die Zahlen und die Bevölkerungsverluste, die dabei entstanden sind. Es ist weitgehend dokumentiert. Ich weiß nicht, ob man durch Fragebogenaktionen heutzutage noch neue Erkenntnisse gewinnen kann. Ich vermute, daß die meisten tot sind. Sie haben ja gewaltige gesundheitliche Schäden davongetragen, bis sie entlassen wurden. Die Überlebenden – ein Drittel bis zur Hälfte ist in den Lagern ums Leben gekommen – das waren ja menschliche Wracks. Ich glaube, daß da nur noch ein Bruchteil lebt.

Zum Thema Zwangsarbeiter soll es eine Kontroverse zwischen Ihnen und dem CDU-Vorsitzenden Wolfgang Schäuble gegeben ...

Tölg: Nein. Kontroverse ist falsch. Ich habe Herrn Schäuble einen Brief geschrieben undvorgeschlagen, daß die CDU/CSU sich in dieser Frage deutlicher artikuliert und Stellung nimmt. Er hat mir einen vierseitigen Brief geschrieben. Ich sehe eben in dieser Behandlung einen riesen Fehler. Wir lassen uns immer das Handeln von den ausländischen Medien mehr oder weniger vorschreiben, die die Kampagnen lostreten. Es wird niemals dagegen gehalten und deutlich gemacht, wie viele Deutsche Zwangsarbeit geleistet haben, welche gigantischen Wiedergutmachungs-Zahlungen geleistet wurden, wie viele Stiftungen errichtet wurden, um auch Zwangsarbeitern zu helfen. Das wird ja alles mehr oder weniger unterschlagen. Und welche gigantischen Vermögensverluste durch die Vertreibung der Deutschen, diese ethnischen Säuberungen, da entstanden sind, das wird nirgends aufgelistet. In einer internationalen Pressekampagne könnte man dagegen halten: Deutschland hat sich als einziges Land in der Welt für Verbrechen nicht nur entschuldigt oder diese bedauert, sondern neben der Aburteilung der Schuldigen auch gigantische Wiedergutmachungen geleistet. Das ist ja einmalig in der Weltgeschichte. Davon wird viel zu wenig Gebrauch gemacht. Und auch an die Abtrennung der ostdeutschen Provinzen, an die Vertreibung der Deutschen wird bei dem Thema kaum erinnert. Während in Nürnberg von den Siegern die deutschen Kriegsverbrecher zurecht verurteilt wurden, haben die gleichen Länder bezüglich Zwangsarbeitern ähnliche Verbrechen begangen wie Hitler-Deutschland. Dies wollte ich unserem Fraktionsvorsitzenden deutlich machen. Ich habe früher auch Helmut Kohl geschrieben, daß die Bundesrepublik dies doch international deutlich machen sollte, denn in zahllosen Presseartikeln wird mit keinem Wort erwähnt, was Deutschland geleistet hat. Dr. Schäuble hat mir eigentlich sehr positiv geantwortet und die Leistung, die Deutschland erbracht hat, weitgehend aufgelistet und die rechtlichen Grundlagen dargestellt und auch deutlich gemacht, daß man der jetzigen Bundesregierung den Vorwurf nicht ersparen kann, eine bestimmte Erwartungshaltung bei ausländischen Zwangsarbeitern oder deren Anwälten geweckt zu haben, denn die Bundesregierung, die SPD und das Bündnis 90/Die Grünen haben in der Koalitionsvereinbarung ohne Not die Entschädigung für weitere Opfergruppen in Aussicht gestellt – es war ja auch Teil der Koalitionsvereinbarung. Der Herr Innenminister Schily hat übrigens in Berlin Ende Mai vergangenen Jahres erklärt, die Linke habe all das, was in Deutschland nach Kriegsende passiert ist, mehr oder weniger weggedrückt. Doch dies sind ja alles herrliche Worte. In der Praxis – siehe Bundespräsident Rau – passiert nichts.

Was kritisieren Sie am Verhalten von Bundespräsident Johannes Rau?

Tölg: Der Bundespräsident Rau hat kürzlich nach Abschluß der Verhandlungen über die Zwangsarbeiterentschädigung eine Entschuldigung ausgesprochen und diese Entschädigungen begrüßt. Aber dies wäre auch eine einmalige Gelegenheit gewesen, deutlich zu machen und mit einigem Mut auch darzustellen gewesen, daß es über eine Million deutsche Zwangsarbeiter gegeben hat, daß davon Hunderttausende ums Leben gekommen sind, und daß auch die Länder, die heute Empfänger sind, Verantwortung für diese Verbrechen trugen. Dies ist einfach versäumt worden. Ich finde, der Bundespräsident ist der Präsident des ganzen deutschen Volkes und er sollte dann auch die Interessen aller Deutschen, auch der deutschen Zwangsarbeiter, entsprechend vertreten. Ich habe hierzu viele bittere Briefe bekommen. So schrieb mir eine Donauschwäbin, die ihre kleinen Geschwister und weitere 16 Angehörige im jugoslawischen Lager "Jarek" unter grausamsten Umständen verlor: "Leider sind wir Deutschen die Vergessenen. Unser Schicksal wird einfach totgeschwiegen."

Die neue Bundesregierung schränkt die Unterstützung der Arbeit der Vertriebenenverbände ein. Die Erlebnisgeneration stirbt aus, es leben immer weniger, die Flucht, Vertreibung und Zwangsarbeit ertragen mußten und davon Zeugnis ablegen können. Was ist von Ihrer Seite geplant, um die Erinnerung am Leben zu erhalten?

Tölg: Ich kann nur für Baden-Württemberg sprechen. Wir hatten kürzlich zwei intensive Gespräche mit Kultusministerin Annette Schavan und dem zuständigen Ministerialdirektor. Es ging um die Frage, wie erreichen wir, daß an allen Schulen und bei der Lehrerausbildung die Erinnerung an den deutschen Osten nicht untergeht. Die Lehrpläne müssen ergänzt werden, da diese oft erbärmlich wenig davon darstellen. Die Lehrer können praktisch nur als Wahlthema diesen Komplex aufgreifen. Diese große Katastrophe für Deutschland, der Verlust der Ost-Gebiete und die Vertreibung gehen in den Lehrplänen weitgehend unter. Auch die Schulbücher sagen darüber herzlich wenig aus. Wir wollen erreichen, daß die Namen der Städte und die geographischen Begriffe in Deutsch weiter lebendig bleiben. Kein anderes Land würde die eigenen Namen aufgeben, wie das bei uns passiert, wir können die polnischen Namen für Waldenburg oder Breslau doch überhaupt nicht richtig aussprechen. Dies alles muß passieren und da sind wir dran. Und was den Herrn Staatsminister Naumann angeht, der liegt genau auf der Linie des Sozialismus. Er will die Verstaatlichung unserer kulturellen Arbeit, ein Herausdrängen der Heimatvertriebenen, die in selbstloser Arbeit viele Dinge aufgebaut haben, wie die Museen und die Häuser der Heimat.

 

Arnold Tölg 1934 im schlesischen Königswalde/Grafschaft Glatz geboren, ist CDU-Landtagsabgeordneter in Baden-Württemberg und Landesvorsitzender des Bundes der Vertriebenen. Nach Volks- und Realschule in Königswalde und später in Braunschweig absolvierte er eine Großhandelslehre. Von 1964 bis 1967 studierte er an der Fachhochschule für Wirtschaft in Pforzheim. Beruflich war er als stellvertretender Kurdirektor in Bad Liebenzell (1967–1969), als Geschäftsführer im Pforzheimer Reise- und Verkehrsbüro (1969–1997), als Verkehrsdirektor in Pforzheim (1973–1981) und als Geschäftsführer der Fremdenverkehrs-Gemeinschaft Nörd-licher Schwarzwald (1975–1988) tätig. Seit 1958 CDU-Mitglied, gehört er dem Landtag seit Juli 1977 an, BdV-Landesvorsitzender ist er seit April 1999.


 
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