© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    02/00 07. Januar 2000


Staatsbürgerschaft: Über dreieinhalb Millionen Ausländer können eingebürgert werden
Bald gibt’s ein paar Millionen mehr
Jörg Fischer

Zu den einschneidensten Änderungen zu Beginn des neuen Jahres gehört langfristig gesehen zweifellos das am 1. Januar 2000 in Kraft getretene neue Staatsangehörigkeitsrecht, das "fundamentale Veränderungen des Staatsverständnisses und im Ergebnis des Staatsvolkes mit sich bringen wird", wie der bayerische Innenminister Günter Beckstein erklärte.

Diese folgenreiche Gesetzesnovelle wurde von FAZ über taz bis zum Neuen Deutschland unisono als Errungenschaft gefeiert: In allen Tageszeitungen lächelte den Lesern die 50jährige Iranerin Bejaht Moaali entgegen, sie ist die erste eingebürgerte Deutsche nach neuem Recht. Die schleswig-holsteinsche Landesregierung gab sich auch wirklich Mühe, medienwirksam eine "Musterbiografie" zu finden, und jeder kann jetzt guten Gewissens sagen: Ja, solche neuen Deutschen braucht das Land!

Sie ist eine selbstbewußte Frauenrechtlerin, im Iran geboren, hat in Teheran als Rechtsanwältin gearbeitet, ist 1989 als politisch Verfolgte nach Deutschland gekommen und wurde 1994 als asylberechtigt anerkannt. Sie spricht gut deutsch, war nicht straffällig und ist nicht arbeitslos, sondern inzwischen Mitarbeiterin einer Rechtsanwaltskanzlei und vereidigte Dolmetscherin beim Landgericht Kiel sowie Geschäftsfüherin des Folteropferzentrums "Refugio". Bislang wurde die Mutter zweier Söhne vom Iran jedoch nicht aus ihrer Staatsangehörigkeit entlassen. Erst durch das neue Gesetz erhielt sie Anspruch auf Einbürgerung und besitzt nun nach ihrem Treuebekenntnis zum Grundgesetz einen Doppelpaß.

"Mit der Wahl von Behjat Moaali wollten wir ein politisches Zeichen setzen", gibt Norbert Scharbach, Leiter der Ausländerabteilung im Kieler Innenministerium, zu: "Frau Moaali steht fast symbolhaft für die Integration." Umringt von Fernsehkameras und Fotografen sagte sie in Anwesenheit des Innenstaatssekretärs Hartmut Wegener mit einem Glas Sekt in der Hand: "Ich fühle mich jetzt gleichberechtigt behandelt." Anderen Ausländern riet sie, sich ebenfalls einbürgern zu lassen, denn "dann fühlt man sich als richtiger Bürger".

Allerdings war die Freude von Staatssekretär Wegener nicht ganz ungetrübt, denn das Verfahren bleibe kompliziert und der Spielraum der Länder bei der Interpretation des neuen Rechts sei groß.

Was den Kieler Beamten stört, das wollen einige unionsregierte Bundesländer nutzen, um das 500-Mark-Gesetz – soviel kostet den Ausländer der Verwaltungsakt – restriktiver handhaben zu können.

Hierüber gibt es nun Streit zwischen dem Bund, den SPD- und den Unionsregierten Ländern. Dreh- und Angelpunkt ist die "Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Staatsangehörigkeitsrecht" (StAR-VwV), der im Februar der Bundesrat zustimmen muß.

Bislang gibt es zum Gesetz nur "vorläufige Anwendungshinweise" des Bundesinnenministeriums. Kritik kommt vor allem aus Bayern: "Jetzt ist die Tendenz erkennbar, die Anforderungen an die Einbürgerungsbewerber herabzusetzen, den Grundsatz der Vermeidung von Mehrstaatigkeit aufzuweichen und neue Spielräume für Verwaltungsentscheidungen in dieser Richtung zu eröffnen." Der bayrische Innenminister wirft der Bundesregierung sogar Wortbruch vor und entdeckte dem "Gesetz widersprechende, also rechtswidrige Regelungen". Deshalb werden die 96 bayerischen Einbürgerungsbehörden bis zu einer bundesweiten Regelung eigene Verwaltungsvorschriften bekommen.

Völlig frei sind die einzelnen Länder in der Überprüfung der Verfassungstreue der Antragsteller. Eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz wird es nur in Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Sachsen und Thüringen geben.

Das CDU-geführte Hessen verzichtet darauf, hat aber nach Aussage des Pressesprechers des Innenministeriums, Bußer, auch eigene "Anwendungshinweise" erstellt, die über 100 Seiten umfassen. Hessen will bei der Mehrstaatlichkeit keine Aufweichung zulassen und wird bei Überprüfung der Deutschkenntnisse "keine Sonderrabatte" geben.

Die SPD-Länder wollen sich an die Vorgabe des Bundes halten. Danach werden beispielsweise bezüglich der deutschen Sprachkenntnisse nur geringe Anforderungen gestellt: "Der Antragsteller muß in der Lage sein, einen deutschen Text (z.B. einen kurzen Zeitungsartikel) zu lesen und zu erläutern." Weiter heißt es: "Ein Diktat ist nicht erforderlich." Auch eine "Regelanfrage an die Verfassungsschutzbehörde" ist ausdrücklich nicht vorgesehen.

In einem sind sich trotz des Streits alle Bundestagsparteien einig: Die Hinwendung vom Abstammungsrecht zum Geburtsrecht ist außer Kritik. Ab sofort ist es nicht mehr nötig, daß Eltern die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Hat ein Elternteil seit mindestens acht Jahren seinen "gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland", sind die Kinder automatisch Deutsche, egal ob die Eltern die Sprache beherrschen, arbeitslos oder sozialhilfebedürftig sind. Das gilt sogar zehn Jahre rückwirkend.

Doch nicht alle Einbürgerungsberechtigte sind Akademiker und sprachbegabt wie Frau Moaali. Großzügig ist daher das Gesetz auch bei der Einbürgerung von Arbeitslosen; lediglich der Bezug von Sozial- oder Arbeitslosenhilfe kann unter Umständen ein Versagensgrund sein.

Ohne die Zustimung der SPD-FDP-Koalition in Rheinland-Pfalz wäre das Gesetz nicht durch den Bundesrat gekommen, doch bei dem Thema schweigt die sich als Anwalt der Wirtschaft verstehende liberale Pünktchenpartei: Mit über 18 Prozent ist 1998 die Arbeitslosenquote unter Ausländern fast doppelt so hoch gewesen wie die der Deutschen. Unter den Türken, der weitaus größten Ausländergruppe, beträgt sie über 22 Prozent. Dreiviertel der arbeitslosen Ausländer sind ohne Berufsausbildung. Trotzdem stellt Arbeitslosigkeit kein Hindernis für Einbürgerung dar.

Auch die regionale Verteilung der Ausländer ist extrem unterschiedlich: Thüringen hatte 1998 mit nur 1,3 Prozent den niedrigsten Ausländeranteil aller Bundesländer, auch im Integrationsmusterland Schleswig-Holstein sind es nur 5,2 Prozent. Hessen hat mit fast 14 Prozent die höchste Quote aller Flächenländer und zugleich die Stadt mit den meisten Ausländern: In Frankfurt/Main hat zur Zeit noch fast jeder Dritte keinen deutschen Paß.

Dreiviertel der Ausländer kommen aus Nicht-EU-Staaten, deren Integration auch nach Ansicht der Bundesregierung besonders schwierig ist. Seit Mitte der 90er Jahre nehmen immer weniger dieser Menschen eine Berufsausbildung auf, was ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt nicht verbessert.

Klassische Einwanderungsländer wählen ihre Neubürger nach Bedarf aus. Die Qualifikationen von Frau Moaali sind im heutigen Deutschland zweifellos gefragt, für sie hätte es des neuen Rechts also nicht bedurft.


 
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