© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    02/00 07. Januar 2000


Slowenien: Den Beweis für die EU-Reife muß Laibach erst noch erbringen
Die Unrechtsgesetze sind noch gültig
Andreas Mölzer

Im jüngsten österreichischen Nationalratswahlkampf vernahm man auch aus Laibach von Seiten unserer südlichen Nachbarn Besorgnis: Sollten die Freiheitlichen des Jörg Haider allzu stark abschneiden, fürchte man um die Unterstützung Österreichs für den slowenischen Weg in die Europäische Union. Nun war die Haider-FPÖ zweifellos jene politische Kraft in Österreich, die sich in den vergangenen Jahren am vehementesten dafür aussprach, daß Slowenien vor einem EU-Beitritt einige konkrete Bedingungen erfüllen müsse – die Anerkennung der deutschsprachigen Altösterreicher als Minderheit, die Aufhebung der AVNOJ-Beschlüsse und die Schließung des Atomkraftwerks Krsko. Verschwiegen wurde allerdings von slowenischer Seite, daß genau diese Forderungen auch vom Kärntner Landtag, und zwar von allen drei in diesem vertretenen Parteien, noch unter der Ägide des ÖVP-Landeshauptmannes einstimmig beschlossen wurde.

Dementsprechend argumentierte Laibach während des vergangenen Wahlkampfs auch in erster Linie mit Kärnten: Die Verschlechterung der bilateralen Beziehungen zwischen Österreich und Slowenien sei seit der Amtsübernahme Jörg Haiders als Kärntner Landeshauptmann "besorgniserregend". So wortwörtlich Franco Juri, Staatssekretär im Laibacher Außenamt. Man müsse zwar zwischen Landes- und Bundespolitik unterscheiden - mit der österreichischen Bundesregierung verbinde Slowenien ein traditionell gutes Verhältnis – aber die Beziehungen seien nun abgekühlt.

Bekanntlich ist ja das österreichisch-slowenische Kulturabkommen weiter denn je davon entfernt, ratifiziert zu werden. Dabei hängst es zweifellos an der Frage der Anerkennung der Altösterreicher. Zweifellos dürfte es den Regierenden in Laibach völlig klar sein, daß insbesondere die AVNOJ-Beschlüsse, mittels welcher die Vertreibung, Entrechtung und Ausmordung der Jugoslawiendeutschen "legalisiert" wurden, eine der hauptsächlichen Hürden auf dem Weg Sloweniens in die Europäische Union darstellen. Dennoch will besagter Staatssekretär Juri diese Frage nicht weiter diskutiert wissen: "Das ist eine Angelegenheit für Historiker", meinte er salopp, wohl wissend, daß diese Unrechtsdekrete nach wie vor geltendes Recht in Slowenien sind.

Die Minderheitenpolitik ist ein zentrales Kriterium

Nachdem das europäische Parlament vor wenigen Monaten in Hinblick auf die zu den AVNOJ-Beschlüssen parallel zu interpretierenden Benes-Dekrete deren Aufhebung als Voraussetzung für die tschechische EU-Annäherung verlangt hatte, wird man sich aber gewiß auch in Laibach dieser Frage nicht länger verweigern können. Neben wirtschaftlichen und demokratiepolitischen Erfordernissen ist nämlich die Behandlung der ethnischen Minderheiten und die damit zusammenhängende Aufarbeitung der blutigen Geschichte des abgelaufenen Jahrhunderts eines der zentralen Kriterien für die EU-Reife. Ein Kriterium, das man auch mit dem stereotypen Hinweis auf den "bösen Populisten" Jörg Haider auf Dauer nicht wird umgehen können.

Insgesamt gilt die slowenische Minderheitengesetzgebung, die allerdings nur Italiener und Ungarn betrifft, europaweit durchaus als vorbildlich. Beide Minderheiten sind klein und bedeuten in der realen Politik keinerlei Gefahr, weshalb Laibach nach seiner Staatswerdung auch glaubte, entsprechend großzügig vorgehen zu können. Die slowenische Verfassung widmet der "autochthonen italienischen und ungarischen Volksgruppe" und deren Rechten einen ausführlichen Artikel. "Autochthon" heißt, daß die beiden Minderheiten seit Jahrhunderten in ihren Regionen ansässig sind. Die Magyaren im Nordosten entlang der Grenze zu Ungarn und die Italiener am slowenischen Küstenstreifen in Istrien. Zahlenmäßig sind die beiden Volksgruppen winzig. 3000 bis 5000 ethnische Italiener und 10.000 bis 12.000 Ungarn, heißt es. Naturgemäß sind die Angaben, die die Minderheiten selbst geben, andere, nämlich höher als jene, die die Zentralbehörde in Laibach hören läßt. Dies verhält sich bei den deutschen Altösterreichern genauso. Während die Laibacher Regierung ursprünglich behauptete, es gäbe überhaupt keine Deutschen mehr im Lande – im Grunde ein Eingeständnis eines gewaltigen Genozids – behaupteten die neuerrichteten Vereine der deutschen Altösterreicher, es gäbe mehrere Tausend, wenn nicht gar zig-Tausend, worauf jene Angaben deuten ließen, die bei der letzten Volkszählung 1991 jede Auskunft der Nationalität verweigerten. Vor wenigen Jahren nun haben eine wissenschaftliche Erhebung des Grazer Historikers Stefan Karner und eine parallel dazu laufende in Slowenien ergeben, daß es zumindest an die 2000 deutsche Altösterreicher gebe, zweifellos eine Minimalzahl, welche auf Grund der Bekenntnisfurcht, die nach wie vor bei den Deutschen in Slowenien herrscht, in der Folge wohl allmählich nach oben zu revidieren sein muß. Insgesamt jedenfalls ist erwiesen, daß die minimal gerechnet 2.000 Deutschen qualitativ von den 3.000 bis 5.000 ethnischen Italienern kaum zu unterscheiden sind. Überdies heißt es in der slowenischen Verfassung ja, daß Volksgruppen ohne Ansehen ihrer Zahl Rechte besäßen.

In Hinblick auf Ungarn und Italiener läßt sich allerdings sagen, daß die Behandlung ethnischer Minderheiten in Slowenien gut ist. Der Gebrauch der Muttersprache im Erziehungswesen ist garantiert, ebenso im Verkehr mit den Behörden sowie in der Rechtsprechung. Tatsächlich sind Grund- und Mittelschulen im Siedlungsgebiet der Magyaren zweisprachig, während die italienischen Kinder in Istrien ihre eigenen Schulen besuchen. Italienisch und Ungarisch gelten in den Minderheitengebieten neben dem Slowenischen als gleichwertige Amtssprache. Ortsnamen und Aufschriften sind hier zweisprachig. Überdies gestattet die slowenische Verfassung den Minderheiten auch, ihre jeweiligen nationalen Symbole zu gebrauchen.

Dieser an sich erfreuliche Befund wird aber obsolet angesichts der Behandlung der deutschen Altösterreicher. Zum einen ist die Laibacher Regierung in keiner Weise bereit, die AVNOJ-Beschlüsse zu revidieren. Franco Juri, Staatssekretär im Außenamt, meint, die deutschsprachige Minderheit in Slowenien wäre ohnedies respektiert und unterstützt, man müsse daher in der Verfassung nichts ändern. Daß die Altösterreicher allerdings keinerlei parallel zu Italienern und Ungarn zu interpretierende Anerkennung ihres Status als Volksgruppe haben, verschweigt der Politiker. Daß es auf Grund der AVNOJ-Dekrete auch keinerlei Möglichkeit gibt, die nach dem Kriege beschlagnahmten Vermögen – sogar von solchen Deutschen, die mit den Slowenen gemeinsame Sache machten – rückgängig zu machen, ist ebenso klar.

Noch immer schwingt Laibach die Faschismuskeule

Diese Doppelbödigkeit der slowenischen Minderheitenpolitik liegt zweifellos in der Geschichte begründet: Zum einen waren die Deutschen, insbesondere in der Untersteiermark, aber auch in der Gottschee, und nicht zuletzt in der Hauptstadt Laibach zahlenmäßig wesentlich bedeutender als dies die ungarische und italienische Minderheit in ihren Gebieten jemals waren. Zum anderen wird auch in Laibach nach wie vor in schönster Titopartisanen-Tradition die Faschismuskeule geschwungen, wenn es darum geht, gegen die Deutschen Emotionen zu entfachen.

Drei Vereinigungen der Sloweniendeutschen existieren zur Zeit: Der in Marburg ansässige Verein "Freiheitsbrücke", der Gottscheer "Altsiedlerverein" und der Verein "Peter Koslar". Während die untersteirische um den Marburger Rechtsanwalt Ludvig Kolnik in erster Linie die Verfassungsfrage, also die Anerkennung der Deutschen als Volksgruppe, und die Frage der Vermögensrestitution thematisiert, begnügen sich die Gottscheer damit, ein Vereinsleben auf bescheidenem Niveau in Gang zu setzen. Die Laibacher Vereinigung hat es auf Grund der besonderen Bedingungen in der Großstadt besonders schwer und vermag kaum Aktivitäten in Gang zu setzen. Naturgemäß ist die Marburger Gruppe den Laibacher Behörden am suspektesten. Am ehesten mit Unterstützung rechnen können die Gottscheer. Diese kommt vorläufig allerdings in erster Linie aus Österreich, wo das Land Kärnten auf Grund der historischen Verbindung – die Gottscheer stammen ursprünglich ja aus Oberkärnten – gemeinsam mit dem Außenamt gegenwärtig ein Kulturhaus errichtet. Das auf die lange Bank geschobene slowenisch-österreichische Kulturabkommen, in dem zwar von einer "ethnischen deutschen Gemeinschaft" die Rede ist, keineswegs aber von einer Volksgruppe, wird das Problem, wenn es je in Kraft tritt, auch nicht lösen. Am ehesten könnte es der Druck der Europäischen Union sein, der zu Ergebnissen führt. Wenn aus Brüssel ähnlich wie in Richtung Prag signalisiert wird, daß historische Hypotheken wie die AVNOJ-Beschlüsse außer Kraft treten müßten, und daß eine großzügige Minderheitenpolitik nicht nur für Ungarn und Italiener gelten könne, sondern auch für die Deutschen, besteht am ehesten die Chance, daß sich an der Laibacher Haltung etwas ändert. Solange der Druck aber nur aus Kärnten kommt, wenn auch mit den Stimmen aller politischen Parteien, hat es Laibach leicht, darüber hinweg zu gehen. Man erklärt, daß die souveräne Republik nicht mit Klagenfurt, sondern natürlich nur mit der Bundesregierung in Wien verhandelt, und diese ist in Bezug auf die von Kärnten geforderten Vorbehalte überaus zurückhaltend. Zwar haben österreichische Außenpolitiker, aber auch österreichische Umweltschützer, mehrmals die Forderung nach der Schließung Krskos als ein gesamtösterreichisches Anliegen gestellt, in der Frage der Altösterreicher aber gibt es zwar das eine oder andere Wort hinter den Kulissen, eine wirkliche massive Forderung Österreichs an Slowenien aber nicht.

In Hinblick auf die Vertreibung der Deutschen aus Ost- und Südosteuropa im Zuge des Endes des Zweiten Weltkrieges wurde gesagt, diese betreffenden Nationen hätten sich somit selbst aus Europa vertrieben. Wenn heute im Zuge der EU-Osterweiterung die Staaten zwischen Baltikum und Balkan schrittweise wieder näher an Europa heranrücken, und an der europäischen Integration teilhaben wollen, müssen sie zumindest jene Unrechtsgesetze außer Kraft setzen, auf denen diese Vertreibung basierte.

Die Benes-Dekrete und die AVNOJ-Beschlüsse widersprechen ganz einfach dem grundsätzlichsten demokratischen Rechtsempfinden. Allein die Behauptung, sie seien ohnedies obsolet, und man müsse die Verfassungen nicht ändern, ist zu wenig. Auch in Prag und in Laibach selbst gilt es, sie als Unrechtsgesetze zu klassifizieren und ganz bewußt außer Kraft zu setzen. Natürlich hat man in der Folge danach auch die rechtsstaatlich gebotene Wiedergutmachung zu leisten. Nur so ist eine Rückkehr Prags, insbesondere aber auch Laibachs nach Europa möglich.


 
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