© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    02/00 07. Januar 2000


Oper: Emmerich Kálmáns "Csárdásfürstin" in Dresden
"Habt euch lieb!"
Konrad Pfinke

Das erste Buh fällt nach 20 Minuten. Es wird noch schlimmer kommmen: während des zweiten Akts wollen scheinbar einige Zuschauer mit ihrem geistlosen Getöse den Abbruch der Vorstellung erzwingen. Erstaunlich, denkt der Laie, da· auch heute noch ein scheinbar triviales Stück wie "Die Csardasfürstin" derartige Reaktionen zu provozieren vermag.

Teile des Dresdner Opernpublikums, die der außergewöhnlichen Aufführung an der Semper-Oper beiwohnten, hatten offenkundig das Übliche erwartet: eine dramatisierte Konfettiparade, ein paar Schlager, einen Rausschmeißer für das Jahr 1999. Dann aber kam es anders: die Böller, die am Abend inmitten der genial zusammenbrechenden Bühnenarchitektur Johannes Leickers zündeten, kündeten nicht den Silvesterabend an. Die Bomben und pfeifenden Granaten waren ein Abgesang auf dieses Jahrhundert, das im Jahre 1914 begann und immer noch nicht beendet ist.

Man hätte sich auch gewundert, wenn der Regisseur Peter Konwitschny, der im Moment für das intelligenteste Operntheater steht, das prachtvolle Werk Kálmans nicht so ernst genommen hätte, wie es die in einer Endzeit spielende Operette doch verlangt. Hinweise auf die zusammenkrachende Welt, auf den Überlebenswillen inmitten eines selbstzerstörerischen Reiches enthält das 1915 uraufgeführte Stück ja genug: "Mag die ganze Welt versinken, hab‘ ich dich" – Peter Konwitschny hat erkannt, daß man über solche Sätze nicht hinweginszenieren darf. Daß die Botschaft am Abend nur bedingt ankommt, liegt nicht an seiner tief berührenden Regiekunst. Es liegt an der Provokation des zu Ende gedachten Stoffs, der im Tingel-Tangel beginnt und im Schützengraben endet. Zynischer und perverser als mit einer kopflosen Soldatenleiche einen apokalyptischen Walzer zu tanzen ist schließlich immer noch die Wirklichkeit selbst, die mit derartigen Szenen ins Satirische gezogen wird.

Die wütenden Proteste blieben nicht aus: lustig und blöd ist so eine Szene natürlich nicht, doch sind die Weltkriege dieses Jahrhunderts, während derer man fröhlich den Champagner schlürft, nicht der Triumph des solcherart karikierten Zynismus? Konwitschny aber holt die Operette in die Wirklichkeit zurück, indem er ihre Protagonisten ernst nimmt, indem er sie schlicht und einfach – liebt. Da ist plötzlich nichts mehr lächerlich: nicht der Lebemann, der authentische Gefühle bekommt, nicht das nur scheinbar den Bühnenkonventionen gehorchende Paar, das sich drei Akte lang zanken muß, um schlußendlich zu kopulieren.

Und also bricht das morsche Vergnügungsimperium zusammen, das schwülstige Makart-Milieu, in der Chansonetten wie Silva Varescu zu Göttinnen auf Zeit avancieren konnten. Dafür beharrt Konwitschny mit ungebrochenem Optimismus darauf, daß inmitten der Scheußlichkeiten – die, und auch das macht ihn zu einem Sonderfall der modernen Opernregie, niemals gegen die Musik inszeniert werden – der Wille zur Liebe blüht. Seine Botschaft, die am Ende inmitten der Trümmerlandschaft seltsam und anrührend verhalten von den vier "Helden" der Irrungen und Wirrungen angestimmt wird, ist so einfach wie richtig. Man kann ihm und dieser noblen Rehabilitation einer lange geschändeten und verspotteten Operettenästhetik nicht widersprechen: "Tausend kleine Engel singen, habt euch lieb!" Man kann darüber lächeln, aber Konwitschny hat darüber nachgedacht: "Ist das nun Kitsch? Sentimental? Kann man das heute noch ertragen? Ich glaube ja. Wenn es einem nicht mehr der liebe Gott sagt oder die Mutter, dann sagen es eben tausend Engelchen. Darauf kommt es ja nicht an. Es kommt doch darauf an, daß es wahr ist. Man sollte manchmal einfach Schluß machen mit dem Frust und sich lieb haben. Darum geht es, glaube ich."

Das Ensemble vertritt die These mit aller Energie, allen voran Sabine Brohm als "Teufelsweib" Silva Varescu. Daß der Abend gelingt, ist im Wesentlichen auch ihr zu verdanken: einer wunderbar ansprechenden Stimme, einer glänzenden Höhe, einem leidenschaftlichen Ausdruck, der schauspielerisch seine Entsprechung findet. Klaus Florian Vogts Stimme mangelt hingegen, so operettenweich sie auch ist, leider ein wenig die Tiefe, aber auch er zeigt einen Edwin Roland von und zu Lippert Weylersheim, der dem Klischee entrinnen konnte. Daneben ein gut aufgelegter Chris Merrit als Kompagnon Graf Boni und Konrad Rupf als Feri bacsi, eine hinreißende Studie über das Verhältnis von Vergnügen und Verzweiflung: "Spiel Zigeuner" ist eben mehr als ein sentimentaler Schlager, denn er besitzt eine brennende Lebenserfahrung, die man spielen kann; nennen wir sie einfach: die Erfahrung der Heimatlosigkeit. Die Sächsische Staatskapelle spielt daher unter Stefan Soltesz so elegant und so melancholisch, daß man meint, sie habe noch unter Kalman Imre gedient.

Konwitschnys Botschaft aber kam am Ende nicht bei allen Zuschauern an. Cancan-Mädels mit Prothesen, ein schnarrender Kammerdiener im Stile Adolf Hitlers, Bomben und Granaten, dazwischen Männer im grauen Rock, aber auch ein sehnsüchtiger Walzer an der Front, der fast schwerelos die Realität wegträumen will – das reicht offensichtlich nicht, um den simplen Imperativ "Habt euch lieb" allen sogenannten Operettenfreunden ins Herz dringen zu lassen. Daß Konwitschny ihn ernst nimmt – auch dafür muß man ihm dankbar sein.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen