© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    02/00 07. Januar 2000


CD: Pop
Aus dem Nachlaß
Holger Stürenburg

Man mag von der posthumen Vermarktung des Anfang 1998 verstorbenen Falco halten, was man will, aber die kürzlich veröffentlichte CD "Verdammt, wir leben noch" straft alle Menschen lügen, die behaupten, Falco sei nach seiner Hitphase 1985/86 musikalisch nichts mehr eingefallen. Die Hälfte der zehn aus Archiven ausgegrabenen Lieder stammt aus den Jahren 1987/88, als sich Falcos erfolgreiche Karriere dem Ende entgegen neigte. Damals wurde er vom holländischen Popduo Bolland & Bolland bzw. von den Münchner Nachtlebenexperten Mende/de Rouge produziert. Beide Teams komponierten für ihren Schützling mal bombastische, mal sanft-klirrende, mal auch aggressiv-angreifende Pop-Rock-Melodien, zu denen der geschniegelte Österreicher seine unnachahmlichen Reime auf deutsch, englisch, wienerisch fand und die er bei dem einen oder anderen Lied sogar mit arabischen oder lateinischen Phrasen angereichert hatte.

Wieso ansprechende Falco-Hymnen wie "Fascinating Man", "Posion" oder "We live for the Night" nicht den Weg auf sein letztes einigermaßen erfolgreiches Album "Wiener Blut" (veröffentlicht im Oktober 1988) gefunden haben, bleibt ein Rätsel. Alle diese Mende/de Rouge- bzw. Bolland & Bolland-Kompositionen zeigen Falco, wie er damals lebte: Kühle Arroganz, Yuppietum, Blasiertheit – aber immer ein knappes Stück jenseits der Grenze zur (Selbst-)Parodie.

Aber auch die zweite Hälfte der Lieder von "Verdammt, wir leben noch", die zwischen 1995 und 1997 geschrieben, aufgenommen und produziert wurden, sind größtenteils weitaus gelungener als alles das, was Falco auf seinem Album "Out of the Dark" (veröffentlicht kurz nach seinem Tod im Frühjahr 1998) präsentierte – bzw. was die cleveren Produzenten nach seinem Ableben in nur wenigen Tagen zusammenstellten und zur Veröffentlichung freigaben.

So ist das 1995 aufgenommene Titellied dieser CD ein schneller, heftiger Kracher in bester Falco-Tradition, präsentiert "Die Königin von Eschnapur" kühlen Rap, läßt "Ecce Machina" sogar erstmals Jazzklänge ertönen, und setzt "Europa" mit seiner hinterfragenden Haltung zum EU-Beitritt Österreichs im Jahre 1994 ein kleines Zeitgeist-Denkmal des "Kunstproduktes der 80er Jahre" (Selbsteinschätzung von Falco). Unnötig hingegen ist der x-te Remix von Falcos größtem Hit "Der Kommissar": Das an sich hervorragende Lied aus dem Frühjahr 1982 wurde in den vergangenen Jahren in an die 20 Neuabmischungen veröffentlicht – man kann es einfach nicht mehr hören. Die einstige Qualität der Parodie auf die Wiener Drogenszene ist einer Überkommerzialisierung gewichen. Heutzutage ist das Lied einfach Fehl am Platze.

Nach Falcos Tod erschienen neben dem Album "Out of the Dark", das auch ohne sein Ableben im Laufe des Jahres 1998 veröffentlicht worden wäre, zwei recht gelungene "Best-of"-Koppelungen ausschließlich in Österreich, eine madige, und eine recht ansprechende solche hierzulande, sowie eine Live-CD. Letztere klingt jedoch kaum besser als eine mittelprächtige Bootleg-Aufnahme.

Mit "Verdammt wir leben noch" haben jedoch die Nachlaßverwalter Falcos nicht nur dem Falco-Anhänger einen großen Gefallen getan, sondern auch ihrem früh verstorbenen Freund. Denn die hier veröffentlichten Lieder stehen den Hits zu seinen Lebzeiten in nichts nach.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen