© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    03/00 14. Januar 2000


Machtwechsel: Ende der Tudjman-Ära beendet stillschweigenden Wirtschaftsboykott der EU
Kroatien steht eine Wende bevor
Carl Gustaf Ströhm

Der "Erdrutschsieg" der bisherigen Opposition bei den Wahlen in Kroatien und die Wahlniederlage der bislang alleinregierenden "Kroatischen Demokratischen Union" (HDZ) ist in den meisten westlichen Medien als großer Sieg der Demokratie über das angeblich "diktatorische" Tudjman-Regime dargestellt und gefeiert worden. Weniger als einen Monat nach dem Tode des Staatsgründers und Präsidenten Franjo Tudjman scheint sich also in Kroatien nicht nur ein Regierungs-, sondern auch ein Richtungswechsel zu vollziehen.

Erst bei näherer Betrachtung stellt sich heraus, daß die Dinge nicht ganz so einfach sind. Zunächst bleibt festzuhalten, daß nicht eine Partei mit einem bestimmten Programm gegen die HDZ gesiegt hat, sondern ein Wahlbündnis aus mehreren, sehr heterogenen politischen Richtungen. In einer überaus seltsamen Bettgenossenschaft haben sich Sozialliberale und istrianische Autonomisten (denen manVerbindungen nach und Neigungen für Italien nachsagt), Exponenten der konservativ-nationalen Bauernpartei und gewandelte Kommunisten, die sich jetzt als Sozialdemokraten bezeichnen, auf einen gemeinsamen Nenner geeinigt: den Tudjman-Anhängern die Macht zu entreißen.

Dieses buntscheckige Gesellschaft erhielt von Anfang an teils verdeckte, teils aber auch ganz offene Unterstützung aus den USA und der EU sowie auch von einzelnen westeuropäischen Staaten. So haben sich amerikanische und westeuropäische Stiftungen massiv in den Wahlkampf eingemischt und der Opposition Belehrungen erteilt, wie man zu argumentieren habe.

Die neue Mehrheit im Parlament ist heterogen

Eine wichtige Rolle spielten die von der angeblichen Tudjman-Diktatur im Wesentlichen nicht angetasteten früheren kommunistischen und halbkommunistischen Intellektuellen, die weite Teile des öffentlichen Lebens beherrschten und für die Verstärkung einer Negativ-Stimmung nach innen wie nach außen sorgten. Sie waren es, die im Westen die Parole verbreiteten, unter Tudjman lebe Kroatien in einer schlimmeren Diktatur als zu Zeiten Titos und der KP-Herrschaft.

Noch in seinen letzten Lebensjahren hatte Franjo Tudjman, der seit drei Jahren gegen ein schweres Krebsleiden ankämpfte, auf zwei grundlegende Tatsachen hingewiesen: Erstens, daß in Kroatien etwa zwanzig Prozent der Bevölkerung dem gestürzten KP-Regime und dem titoistischen Jugoslawien nachtrauern, weil sie mit dem Ende des Kommunismus ihre Privilegien und ihre Macht verloren. Diese Schicht – vergleichbar etwa mit den Stammwählern der PDS in Deutschland – verhielt sich in den ersten Jahren nach der kroatischen Staatsgründung und vor allem während des kroatischen Verteidigungskrieges mäuschenstill. Mit dem Ende des Krieges 1995 meldete sie sich immer schärfer und fordernder in der Öffentlichkeit zurück.

Zweitens hat Tudjman in seiner letzten großen politischen Rede offen gesagt, daß es im Westen starke Kräfte gebe, die dem kroatischen Staat deshalb nichts Gutes wünschten, weil Kroatien nicht nur das System von Jalta, sondern auch das System von Versailles (also die nach dem Ersten Weltkrieg in den Pariser Vorortverträgen festgelegte Ordnung) zerstört habe. Daher herrschte in großen Teilen der westeuropäischen, vor allem britischen und französischen öffentlichen Meinung von Anfang an ein starker Vorbehalt gegen Kroatien. Man erinnere sich an das Wort des seinerzeitigen französischen Außenministers Dumas, der gesagt hat, eine diplomatische Anerkennung Kroatiens (und Sloweniens) komme nicht in Frage, weil sonst "Deutschland und Österreich nachträglich den Ersten Weltkrieg gewonnen hätten".

Ein weiteres Element trat hinzu: Das titoistische Jugoslawien mit seinem von Moskau unabhängigen Kommunismus, seiner "sozialistischen Arbeiterselbstverwaltung" und seinem "dritten Weg" der Blockfreiheit war jahrelang ein Paradepferd und Lieblingsspielzeug der deutschen Linken. Auf den Kongressen des "Bundes der Kommunisten Jugoslawiens" waren westliche Sozialdemokraten, darunter auch die SPD, mit prominent besetzten Gastdeligationen vertreten Es ist kennzeichnend, daß die westeuropäische Linke, die gegenüber dem sich 1990 für unabhängig erklärten Kroatien ständig auf Einhaltung der Menschenrechte pochte, zu Titos Zeiten und auch danach keinen Finger für die damals zahlreichen politischen Häftlinge und Dissidenten rührte.

Kroatien zerstörte System von Versailles und Jalta

Schließlich aber kam auch noch ein politisch-psychologischer Faktor hinzu: Franjo Tudjman, der eckige, unbeugsame, unbequeme Präsident hatte einst als kommunistischer Partisan und jüngster Tito-General begonnen und war bereits Mitte der sechziger Jahre in Konflikt mit der Partei geraten. Er mauserte sich vom Marxisten zu einem Nationaldemokraten. Anfang 1991 sagte er auf einem Empfang der Bayrischen Staatsregierung in München, er betrachte die CSU und Franz Josef Strauss als Vorbilder. Diese Schwenkung von extrem links nach Mitte rechts trug ihm die tiefe Abneigung westlicher Linkskreise ein.

Tudjman erwies sich als sehr unbequemer Gesprächspartner des Westens, weil er seinen eigenen Kopf hatte. Gegen dringende Ermahnungen westlicher Politiker und Diplomaten nahm Tudjman die Rückeroberung des von der serbisch-jugoslawischen Armee eroberten Gebietes in die eigenen Hände. Die aus dem Boden gestampfte kroatische Armee besiegte – mit diskreter Unterstützung des Pentagons – die Jugoslawische Volksarmee und die serbischen Milizen und ermöglicht damit das Dayton-Abkommen, welches Bosnien einen – wenn auch wackeligen – Frieden brachte.

Die Reaktion der EU war charakteristisch: Weil Kroatien sein eigenes Staatsgebiet befreit hatte, strich Brüssel sämtliche Hilfsprogramme, darunter das Phare-Programm für finanzielle und technische Zusammenarbeit mit der EU, das man selbst so fragilen Staaten wie Moldawien gewährte. Kroatien wurde einem stillschweigenden wirtschaftlichen Boykott und Embargo unterworfen. Die Folge war eine schleichende Wirtschaftskrise, der Bankrott zahlloser Betriebe, wachsende Arbeitslosenzahlen und ein dramatisch sinkender Lebensstandard.

Gewiß sind von kroatischer Seite auch schwere Fehler begangen worden. Im Zuge der Privatisierung gab es Korruption und Günstlingswirtschaft sowie massive Bereicherung einzelner auf Kosten der Gemeinschaft. Aber das waren keine "typisch kroatischen" Erscheinungen – sie grassierten (und grassieren bis heute) in allen post-kommunistischen Staaten.

Der Unterschied lag nur darin, daß die anderen Staaten westliche Hilfsprogramme erhielten, während das vom Krieg schwer gezeichnete Kroatien ganz auf sich allein gestellt blieb. Mit dem Schwinden der äußeren Gefahr, die das Volk zusammengeschweißt hatte, wuchs die soziale Unzufriedenheit. Mit der fortschreitenden tödlichen Krankheit Tudjmans schwand auch die integrierende Kraft dieses Mannes, den man in seiner Persönlichkeit am ehesten mit Konrad Adenauer oder Charles de Gaulle vergleichen könnte.

Unter dem angeblichen Diktator Tudjman genossen die Kroaten – und auch die nichtkroatischen Minderheiten, inclusive der Serben, von denen allein 50.000 allein in der Hauptstadt Zagreb völlig unangefochten leben – Freiheiten wie noch nie zuvor in der Geschichte.

Nur so ist zu erklären, daß das Oppositionsbündnis auf Anhieb so erfolgreich war. Allerdings – die Wähler haben nicht so sehr für die Opposition als vielmehr für den Wechsel gestimmt. Auch hier gibt es gewisse Parallelen zur letzten Bundestagswahl. Ob das heterogene Links-Rechts-Bündnis mit dem früheren KP-Politbüromitglied Ivica Racan an der Spitze dem Lande Stabilität bringen wird, bleibt abzuwarten.

Bei der bevorstehende Präsidentschaftswahl sind die beiden aussichtsreichsten Kandidaten der Chef der Sozialliberalen, Drazen Budisa – ehemals politischer Häftling – und der bisherige Außenminister Mate Granic von der HDZ. Dabei fällt die Entscheidung, ob es in Kroatien eine Machtteilung nach französischem Vorbild – Cohabitation – geben wird. Auch deshalb dürften der kroatischen Politik unruhige Jahre bevorstehen.

 

Carl Gustaf Ströhm war langjähriger Osteuropakorrespondent der Berliner Tageszeitung "Die Welt" und lebt in Zagreb/Kroatien.


 
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