© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    03/00 14. Januar 2000

 
Bevölkerungspolitik: Zuwanderung kann Folgen des Geburtenrückgangs nicht stoppen
Kinder als Schicksal
Jörg Fischer

Deutschland braucht 500.000 Zuwanderer pro Jahr! Sogar 3,4 Millionen Einwanderer sind nötig, um die wachsende Zahl von Alten zu versorgen! Fast wie auf Bestellung von Rot-Grün wurden diese Thesen einer Bevölkerungsstudie der Vereinten Nationen (UNO) wenige Tage nach der Kampagne zum neuen Staatsangehörigkeitsrecht über alle Medien verbreitet.

Doch so einfältig wird das Thema in der Studie "Ersatzzuwanderung: Eine Lösung für zurückgehende und alternde Bevölkerung?" überhaupt nicht gesehen. Im Gegenteil, Joseph Chamie, Direktor der UNO-Bevölkerungsabteilung , betont ausdrücklich, daß die Studie keine Empfehlungen ausspricht, die Einwanderung anzukurbeln. Sie weise lediglich auf die Konsequenzen zurückgehender Geburtenraten in acht untersuchten Ländern – darunter Deutschland – hin: "Wenn sie keine Einwanderer haben, dann machen sie sich für eine geringere und ältere Bevölkerung bereit."

Einerseits wächst die Weltbevölkerung momentan jährlich um etwa 80 Millionen, andererseits verringert sich die Einwohnerzahl Deutschlands in den kommenden 50 Jahren von derzeit 82 auf 73 Millionen. Die Zahl der Älteren und der Rentener steigt, die Zahl der Jüngeren und damit die Zahl der Rentenbeitragszahler sinkt. All diese Zahlen sind bekannt und nicht neu. Doch die Studie empfiehlt nicht Einwanderung zur Lösung des Rentenproblems, sondern: "Das Rentenalter anheben, die Renten kürzen, die Zahlungen erhöhen oder das ganze System ändern".

Wird am bisherigen Rentensystem jedoch unverändert festgehalten, bietet sich Zuwanderung oberflächlich betrachtet als Ausweg an: Ständig neu hereinkommende Arbeitskräfte ersetzen ausscheidende Ältere. Doch der weitaus überwiegende Teil der Menschenaufnahme in Deutschland wird humanitär begründet. Die Ausbildung der Asylsuchenden spielt daher keine Rolle. Auch bei der nicht ausbleibenden Familienzusammenführung gelten keine ökonomischen Kriterien.

Hochtechnologie-Gesellschaften wie Deutschland haben jedoch immer weniger Bedarf an niedrigqualifizierten Arbeitnehmern. Ein Großteil der vier Millionen Arbeitslosen ist falsch oder gar nicht ausgebildet. Selbst wenn es genügend Arbeitsplätze für niedrige Qualifikationen gäbe, würde hier allerdings auch nur ein geringer Lohn – und damit Rentenbeitrag – erzielt.

Ist die FDP-Lösung "Qualifizierte Einwanderung" nach Bedarf diskutabel? Das hierzu nötige Immigrationsreservoir findet sich langfristig nur außerhalb Europas. Alle Europäer, wie auch Rußland, Japan oder Südkorea, stehen vor dem gleichen demographischen Problem. Bleibt also nur die Zuwanderung aus der "Dritten Welt". Hier ist das Bevölkerungswachstum mit bis zu 2,5 Prozent pro Jahr enorm, doch hochqualifizierte Spezialisten gerade von dort abzuwerben, wo sie gebraucht werden und ohnehin meist mit Entwicklungshilfe herangebildet wurden, zeugt nicht von Weitsicht. Diese als "brain-drain" bezeichnete neue Ausplünderung der armen Staaten wird daher von weitsichtigen Politiker dieser Länder auch scharf kritisiert.

Herwig Birg, Bevölkerungsexperte an der Universität Bielefeld warnte daher: "Über Generationen hinweg ist keine andere Lösung als die Erhöhung der Geburtenrate möglich ... Es gibt zwar nirgendwo in der Welt eine Knappheit an Menschen, aber wir brauchen qualifizierte Leute. Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger lösen das Problem nicht, sondern verschlimmern es. Und bekanntlich haben die Eingewanderten schlechtere Qualifikationen als die Einheimischen. Die Deutschen haben in Altersgruppe der 20- bis 25jährigen sechsmal so viele Studenten wie die Eingewanderten. Aber darüber wird ja nicht mal geredet, geschweige denn entschieden."

Die politischen und sozialen Folgen von Einwanderung werden hierzulande seit Jahren tabuisiert. Mit weltfremd-romantischen Schlagworten wie "Toleranz", "Weltoffenheit" oder "Multikulturelle Gesellschaft" werden Probleme verdrängt oder gar der falschen Erziehung der "Inländer" angelastet. Massive Zuwanderung zwecks Rentenabsicherung ist zwar originell, aber mit seriösen ökonomischen Argumenten nicht zu begründen. Stattdessen schweigt die politische Klasse zum eigentlichen Thema: wie die Deutschen schlicht ermutigt werden können, wieder mehr Kinder in die Welt zu setzen.


 
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