© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    03/00 14. Januar 2000

 
Staatsbürgerschaftsrecht: Abgeordneter will türkisches Grundgesetz
Scheitern an der Realität
Alexander Schmidt

Obwohl mit Beginn des Jahres das neue Staatsbürgerschaftsrecht gilt und der Vergabe von Pässen an in Deutschland lebende Ausländer kein Hindernis mehr entgegensteht, bestehen in der praktischen Umsetzung noch große Probleme. Die anfängliche Diskussion um ein Diktat als Nachweis deutscher Sprachkenntnisse wurde von Ausländerämtern wegen des hohen Aufwands schnell wieder verworfen. Zwischenzeitlich wurde diskutiert, das korrekte Wiedergeben eines Zeitungsartikels mit der Vergabe des Passes zu verbinden. Tatsächlich einigte man sich jetzt darauf, durch einen mündlichen Sprachtest die Frage der Einbürgerung zu entscheiden.

Der Bundestagsabgeordnete der Grünen und Vorsitzende der Deutsch-Türkischen Parlamentariergruppe, Cem Özdemir, hat jetzt einen Weg gefunden, der das Problem aus entgegengesetzter Richtung lösen soll. Mit einer türkischen Übersetzung des Grundgesetzes will Özdemir konkreten deutschen Sprachkenntnissen vorgreifen. In der Pressemitteilung heißt es, daß neben türkischen Kindern auch Angehörige der ersten Generation als auch viele Eltern der künftigen Doppelstaatler den deutschen Paß erhalten sollten. Allerdings reichten deren Sprachkenntnisse oftmals nur "für den Alltagsgebrauch". Das Lesen von Gesetzestexten fiele ihnen wie vielen Muttersprachlern schwer. Deshalb fordert der grüne Abgeordnete von der Bundeszentrale für politische Bildung eine zweisprachige Ausgabe des deutschen Grundgesetzes für die fast 2,3 Millionen Türken in Deutschland. Darin enthalten sein sollten auch "praxisnahe Erläuterungen, um den Menschen türkischer Herkunft die Möglichkeit zu eröffnen, sich mit unserer Verfassungsordnung vertraut zu machen".

Tatsächlich existieren bereits von dem Bonner Institut "Inter nationes" Übersetzungen des Grundgesetzes in englischer, italienischer und portugiesischer Sprache. Eine türkische Fassung ist aber weder dort noch bei der Bundeszentrale für politische Bildung erhältlich. Aus integrationspolitischer Sicht ist der Vorschlag ohnehin fraglich, den deutschen Paß an Ausländer zu vergeben, ohne sich über deren Integration sicher zu sein.

"Wenn jemand eingebürgert werden will, reicht keine Kenntnis des Grundgesetzes auf türkisch", heißt es im bayrischen Innenministerium. Der Vorschlag sei zwar für in Deutschland lebende Ausländer gut, die sich mit dem Grundgesetz vertraut machen wollten, aber nicht für die, die eingebürgert werden sollten. Auf der einen Seite bestehe eine große Schwierigkeit, Gesetze zu verstehen, die in einer anderen als der Muttersprache formuliert seien. "Aber die Integration läuft schließlich über die Sprache", so ein Sprecher des Innenministeriums im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT. Nur wer deutsch als Sprache beherrsche könne auch integriert werden.

Bülent Arslan, Mitglied im deutsch-türkischen Forum der Union und Mitglied im Landesvorstand der nordrheinwestfälischen CDU, befürwortet den Mittelweg. "Natürlich kann das keine Dauerlösung sein, nicht für Jugendliche, die bereits hier zur Schule gegangen sind", so Arslan im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT. Wenn es aber der Integration diene, dürfe eine Übersetzung kein Problem sein. In seinen Überlegungen geht er die Frage pragmatisch an: "Wir müssen die Gegebenheiten hinnehmen und überlegen, wo wir hin wollen, und dann handeln." Da könne man als Überganglösung auch eine türkische Übersetzung des Grundgesetzes hinnehmen.

Dennoch bleibt ein Punkt offen: dient der gutgemeinte Vorschlag wirklich der gewünschten Integration? Glücklicherweise muß die Frage faktisch nicht mehr gestellt werden. Die Bundeszentrale für politische Bildung ist in ihren Mitteln so knapp bemessen, daß für eine Übersetzung des Grundgesetzes in eine weitere Sprache keine Mark mehr zur Verfügung steht. Daß dieser Zustand in nächster Zeit so bleiben wird, dafür hat die Bundesregierung gesorgt. Der Haushalt der Bundeszentrale wurde um knapp 40 Prozent gekürzt.


 
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