© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    04/00 21. Januar 2000

 
Energiepolitik: Immer mehr Ökostrom-Anbieter drängen auf den deutschen Markt
"Die Kündigung übernehmen wir"
Gerhard Quast

Mit der Liberalisierung des Strommarktes purzeln nicht nur die Preise. Der Kunde hat nun auch die Qual der Wahl, sich entscheiden zu müssen, ob er seinem bisherigen Stromanbieter die Treue hält, zu einem scheinbar billigeren Atomstrom-Lieferanten wechselt oder lieber ein paar Umweltmark dazulegt und dadurch möglicherweise erneuerbaren Energien zum Durchbruch verhilft.

Zwar könnte durch den Preiskampf und die Werbekampagnen der Eindruck entstehen, die große Schlacht um die Verbraucher hätte bereits begonnen, tatsächlich verhält sich der Stromkunde bisher eher konservativ und bleibt in vielen Fällen seinen örtlichen Stadtwerken verbunden. Die Angst, am Ende ohne Strom dazustehen, weil der Stromanbieter im fernen Schwarzwald plötzlich nicht mehr liefern kann, ist zwar unbegründet, nichtsdestotrotz aber weit verbreitet. Auch die Vorstellung, daß aus dem gleichen Stromnetz allein durch Anbieterwechsel nun "Ökostrom" geliefert wird, scheint zu abstrakt.

Dabei machen es viele Anbieter ihren Kunden so einfach wie nur denkbar: "Sagen Sie uns, daß sie interessiert sind. Sie bekommen dann das Bestellformular für Ihren Ökostrom. Sie tragen die Daten ein und unterschreiben, fertig. Alles andere machen wir, einschließlich der Kündigung bei Ihrem bisherigen Versorger", so der Service der bundesweit vertretenen Öko-Ladenkette "Spinnrad", die vor wenigen Wochen in das Stromgeschäft eingestiegen ist.

Noch liegen zwar keine repräsentativen Angaben über die Zahl der Umsteiger vor – die Energie-Aktiengesellschaft Mitteldeutschland (EAM) spricht von einer Zahl im Promillebereich –, die deutschen Stromanbieter rechnen aber auf Grund der Entwicklung im europäischen Ausland langfristig mit einer größeren Bereitschaft zum Wechsel. Entsprechend boomt auch in Deutschland die Zahl der Ökostrom-Lieferanten. Allein im vergangenen Jahr hat die Zahl der Anbieter von 11 auf 52 zugenommen, so das Solarstrom-Magazin Photon, Tendenz: "rapide steigend".

Dabei sind zwei Typen von regionalen und überregionalen Anbietern zu unterscheiden: Zum einen etablierte Energieversorger, wie etwa EnBW, die einen Umwelt-Tarif anbieten und dafür einen Aufpreis im Vergleich zum Standardangebot verlangen, der bei Strom aus Wind- und Wasserkraft acht Pfennig pro Kilowattstunde und bei Strom aus Solaranlagen sogar 1,60 Mark beträgt, zum anderen von den Energiekonzernen unabhängige Pioniere, wie die Ökostrom-Handels AG, die ausschließlich Wind-, Wasser- und Solarenergie und Strom aus Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) anbieten.

Mit "glücklichem Strom" in eine glückliche Zukunft

Auch die Bezeichnungen treiben inzwischen seltsame Blüten: In vielen Fällen firmiert der Ökostrom bzw. der Umwelt-Tarif schlicht als "Ökostrom". Einige Anbieter machen gleich den Namen ihres Unternehmens zum Namen des Angebots, und so heißt der Ökostrom dort "Lichtblick", "NaturEnergie", "Grüner Strom" oder "Naturstrom". Andere Stromversorger titulieren ihren Umwelt-Tarif entsprechend der Energiequelle: Bei der Berliner Bewag läuft dieser Tarif unter der Bezeichnung "SolarStrom", beim Bayernwerk als "Aquapower". Auch die Farbe spielt seit der flächendeckenden Anzeigen-Kampagne ("Also ich glaube, Strom ist gelb") von Yello Strom – einem Billiganbieter, der vor allem auf Atomstrom setzt – immer wieder eine Rolle. Nicht "grün", nicht "gelb" und auch nicht "blau", sondern "weiß" ist Ökostrom für die RWE Energie AG Iserlohn.

Und für den mit Abstand emotionalsten Namen hat sich der Ulmer Stromversorger SWU Energie entschieden: Dort können umweltbewußte Verbraucher "glücklichen Strom" beziehen.

Was unter der Bezeichung "Ökostrom" zu verstehen ist

Doch "Ökostrom" ist nicht gleich "Ökostrom". Die Kriterien dafür, welcher Strom dieses Etikett verdient, sind nicht ganz unumstritten. "Strom aus regenerativen Energiequellen wie Wasser- und Windkraftwerken und Solaranlagen" ist die wohl geläufigste Definition. Danach hören die Gemeinsamkeiten meist schon auf. Deshalb sollte für umweltbewußte Verbraucher bei der Entscheidung zwischen dem hundertprozentigen Strom aus Wasserkraft, wie ihn das Bayernwerk ("Aquapower") anbietet, und dem Angebot der Lichtblick GmbH für Strom aus erneuerbaren Energien, nicht der Preis alleiniges Kriterium sein. Denn gerade viele der etablierten Energieversorger sehen in ihrem Ökostrom-Angebot lediglich eine clevere Möglichkeit, ihren ohnehin in ihrem Versorgungsgebiet vorhandenen Strom aus erneuerbaren Energien mit einem profitablen Preisaufschlag zu verkaufen – ohne zusätzliche Anstrengungen für eine alternative Energieversorgung unternehmen zu müssen. Das belegen aktuelle Zahlen: 1998 haben die deutschen Stromversorger 25 Milliarden Kilowattstunden Strom aus erneuerbaren Energien selbst produziert oder von Dritten gekauft. Anfang September 1999 waren davon für das Jahr 2000 aber nur 0,09 Milliarden Kilowattstunden bei den Ökostrom-Anbietern bestellt worden. "Bleibt also noch genügend Luft, die Nachfrage zu stillen, ohne auch nur eine einzige Solar-, Windkraft- oder Wasserkraftanlage zusätzlich installieren zu müssen. Es sei denn, die Abnehmer bestehen auf Strom aus neu gebauten Anlagen", so Photon-Chefredakteurin Anne Kreutzmann.

Um die wichtigsten Unterscheidungen transparent machen zu können, haben sich deshalb gleich mehrere Verbände darangemacht, mit einem Gütesiegel den entstandenen Ökostrom-Dschungel für den Verbraucher zu lichten. Schon jetzt sind einige Umweltzeichen im Angebot, weitere in Planung, denn auch das Zertifizieren verspricht ein lukratives Geschäft zu werden. Doch mit der sich abzeichnenden Flut an Gütesiegeln wächst auch wieder die Unsicherheit.

Bereits fünf Unternehmen wurden von den im Verband der Technischen Überwachungsvereine zusammengeschlossenen TÜV-Gesellschaften zertifiziert, einige weitere stehen bereits in der Warteschlange und werben damit, das TÜV-Zertifikat zu erhalten. Dieser Optimismus ist auch durchaus angebracht, denn der TÜV prüft lediglich, ob "die Kunden bekommen, was das Unternehmen verspricht", zitiert Photon einen Sprecher des TÜV Rheinland. Im Klartext: Wenn ein Unternehmen sich zu einer Lieferung von Strom aus einer Photovoltaik-Anlage verpflichtet, überprüft der TÜV, ob die gelieferte Strommenge mit der produzierten übereinstimmt. Versprechen der Unternehmen, daß die Mehreinnahmen für den Bau neuer Anlagen aufgewandt werden, prüft der TÜV erst zu einem viel späteren Zeitpunkt. Verbindliche Kriterien für die TÜV-Gesellschaften gibt es aber nicht, lediglich eine Vergaberichtlinie. Darin wird festgelegt, welcher Strom als "erneuerbar" zu gelten hat, nämlich Solar- und Windenergie sowie Deponiegas, nicht aber Strom aus Kraft-Wärme-Kopplung, wenn die Anlagen mit fossilen Energiequellen betrieben werden. Über die prozentuale Zusammensetzung des Strommix gibt es keine Vorgaben.

Auch Produzenten werden unter die Lupe genommen

Demgegenüber gibt es das vom Öko-Institut entwickelte Gütesiegel "Grünstrom" in zwei Produktklassen. Bei der A-Klasse muß der Strom zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien kommen und mindestens ein Prozent Solarstrom enthalten. Bei der B-Klasse sind die Anforderungen nicht ganz so streng. Der Strommix darf auch bis zu 50 Prozent Strom aus der umweltfreundlichen Kraft-Wärme-Kopplung enthalten. Für beide Gütesiegel besteht außerdem die Anforderung, daß mindestens ein Viertel des Stroms aus Anlagen stammen muß, die nach dem 31. Dezember 1997 in Betrieb gegangen sind. Eine Besonderheit ist außerdem, daß Mehrkosten aus dem Stromeinspeisungsgesetz nicht von der Allgemeinheit auf die freiwilligen Ökostrom-Kunden verlagert werden dürfen. Ökostrom, der bereits über das Stromeinspeisungsgesetz finanziert wurde, erhält vom Öko-Institut somit kein Gütesiegel. Gleiches gilt für Deponiegas als Energiequelle.

Etwas andere Kriterien hat der von Eurosolar initierte Verein "Grüner Strom Label". Das von den wichtigsten Umweltverbänden Deutschlands unterstützte Umweltzeichen unterzieht – im Gegensatz zum TÜV und dem Öko-Institut – nicht nur das Produkt, sondern auch das Unternehmen einer Prüfung. Will ein Stromanbieter mit diesem Siegel werben, darf er – aus Glaubwürdigkeitsgründen – selbst weder Kohle- und Atomstrom vertreiben noch mit einem solchen Unternehmen verflochten sein. Im Strommix unterscheidet sich das "Goldene Label" bzw. das "Silberne Label" nicht von den Anforderungen der A- bzw. B-Klasse des Öko-Instituts. Ein Unterschied gibt es bei der Berücksichtigung von Neuanlagen: Zwar darf der Strom aus bereits bestehenden Anlagen kommen, die Zubaurate muß jedoch mindestens zehn Prozent der im Vorjahr nachgefragten Kapazität betragen.

Diese viele tausend Mark teuren Zertifikate können sich allerdings kleine Ökostrom-Anbieter kaum leisten. Regionale Stromversorger, die keines dieser Umweltzeichen vorweisen können, müssen deshalb also noch lange nicht weniger anspruchsvollen Ökostrom anbieten.

Welche Ökostrom-Anbieter den Markt dominieren

Noch bis vor einigen Wochen bezeichnete sich die RWE Energie AG selbst als kundenstärkster Ökostrom-Versorger. Dies wurde ihr auf Antrag der NaturEnergie AG, einem Tochterunternehmen des Kraftwerks Laufenburg und der Kraftübertragungswerke Rheinfelden, vom Landgericht Freiburg untersagt. Das im Breisgau ansässige Unternehmen ( www.naturenergie.de ) bietet seit Jahreswechsel seinen vornehmlich aus Wasserkraft erzeugten Ökostrom bundesweit an und hat nach eigenen Angaben bereits über 142.000 Kunden. Neben diesem Marktführer in Sachen Ökostrom gibt es noch eine ganze Reihe weiterer Anbieter, die für einen Stromwechsel empfohlen werden können, etwa die Lichtblick AG ( www.lichtblick.de ), die Ökostrom Handels AG ( www.oeko-stromhandels-ag.de ) und Greenpeace energy ( www.greenpeace.de ). Wer sich seinen Tarif anhand des Jahresverbrauches selbst ausrechnen und einen Preisvergleich durchführen will, dem bietet der "Ökorechner" unter www.billig-strom.de/otarife.shtml ) unersetzliche Dienste.


 
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