© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    04/00 21. Januar 2000

 
Ausstellung: Werke des Malers Christian Rohlfs in Münster
Das Licht in den Dingen
Ralf Fritzsche

Mit seinem Spätwerk wird zur Zeit dem Künstler Christian Rohlfs, der fast 70 Jahre unermüdlich malte, im Westfälischen Landesmuseum für Kunst- und Kulturgeschichte in Münster gedacht.

Rohlfs wird als bedeutender Vertreter des deutschen Expressionismus angesehen, wobei diese Einordnung – betrachtet man seinen Lebensweg – etwas schwierig scheint. In seinem langen künstlerischen Schaffen durchlief er mehrere Phasen, wobei die in dieser Ausstellung gezeigten Bilder der Jahre 1920 bis 1938 seinen eigenen unabhängigen Stil, den er an seinem Lebensabend entwickelte, recht deutlich hervortreten lassen.

Rohlfs wurde am 22. Dezember 1849 als Bauernsohn in Niendorf in Schleswig-Holstein geboren. Mit 14 Jahren stürzte er von einem Baum und verletzte sich am Bein. Der behandelnde Arzt gab dem Jungen am Krankenbett gegen seine Langeweile Zeichenutensilien in die Hand, woraufhin seine künstlerische Begabung schnell zum Vorschein kam und seinen weiteren Lebensweg bestimmte. 1870 begann Rohlfs ein Kunststudium in Weimar. Zunächst ein Anhänger der realistischen Malerei, wandte er sich Ende der achtziger und in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts den französischen Impressionisten zu. 1901 übersiedelte er nach Hagen, wo er im Folkwang-Museum ein Atelier erhielt. Es folgten Einflüsse der französischen Neo-Impressionisten (Seurat, Signac), deren punktierende Maltechnik er zeitweise aufnahm, sowie von van Gogh, mit dem er sich ebenfalls künstlerisch auseinandersetzte.

1910 zog Rohlfs für zwei Jahre nach München. In dieser Zeit vollzog sich ein grundlegender stilistischer Wandel in seiner Kunst. Im Expressionismus versuchte er nun seine seelischen Erlebnisse so unmittelbar und so stark als nur möglich auszudrücken. Eine gemeinsame Ausstellung mit den späteren "Blaue-Reiter"-Künstlern im Jahre 1910 in Düsseldorf ist nur ein Beispiel hierfür. 1911 schreibt Rohlfs: "Ja, ich bin mit dem Naturalismus zu Ende und stilisiere, daß sich die Balken biegen." Auch in der Maltechnik löste sich Rohlfs zunehmend von der Ölfarbe und arbeitete schließlich in seinem Spätwerk nur noch mit wasserlöslicher Temperafarbe.

1919 heirate Rohlfs die wesentlich jüngere Helene Vogt. Die häufigen Reisen des Ehepaares bedeuteten für Rohlfs wieder eine neue Inspiration. 1927 begab sich er sich auf Anraten seines Arztes ins Schweizer Tessin nach Ascona. Fasziniert von dieser Landschaft, gelegen im "südlichen Licht" und umgeben von mediterraner Vegetation, wandelte sich noch einmal sein künstlerischer Stil, der dem Alterswerk von Rohlfs seine spezifische individuelle Atmosphäre vermittelte. 1937 wurde Rohlfs als "entarteter Künstler" aus der Preußischen Akademie der Künste ausgeschlossen. Er starb am 8. Januar 1938.

Unter den Motiven in der Münsteraner Ausstellung verdient der 1931 entstandene "Tatjana-Zyklus" besondere Beachtung. Tatjana Barbakoff, eine russische Tänzerin, machte in mehreren deutschen Großstädten der zwanziger Jahre von sich reden. Rohlfs lernte sie wahrscheinlich 1926 in Berlin kennen. Bald zählte sie zu den Freunden des Ehepaares und besuchte es regelmäßig in Ascona. Rohlfs, fasziniert von ihren Bewegungen in Kombination mit ihren selbstgestickten Kleidern, schuf 29 Bilder, sowohl zarte Kreidezeichnungen als auch farbige Blätter. Einige ihrer von Rohlfs dargestellten Tänze erinnern ein wenig an Plastiken von Ernst Barlach, was in den Zyklen "Am Pranger" und "Elegie" deutlich wird.

Andere Motive Rohlfs’ zeugen hauptsächlich von der Naturverbundenheit des Künstlers: Häuser und Häusergruppen im Tessin, Berge und Landschaften, Kirchen und Bäume, magisch anmutende Nachthimmel und vor allem Blumen. Letztere sind vielleicht deshalb ein sehr beliebtes Motiv bei Rohlfs, da er hier seine Farben voll entfalten konnte und sie durch ihr Wachsen, Aufblühen und Vergehen eine Entwicklung symbolisieren. "Entwicklung" oder "Entstehung" ist seit den zwanziger Jahren für den Stil von Rohlfs überhaupt ein Schlüsselwort, da seine Bilder erst durch das Zusammenwirken von Farben und Formen ihre Feinheit erhalten. Das Motiv scheint oft nicht in sich abgeschlossen, die Begrenzungen scheinen unklar, ein Gegenstand scheint zugleich zu entstehen und zu verschwinden, eben ein Akt der Entwicklung. Doch trotz sämtlicher Vereinfachungen und Auflösung der Form wird der zu behandelnde Gegenstand niemals aufgegeben.

Oft wirken die Motive wie Impressionen des Lichts, die mit ihrer farbigen Umwelt eins werden. Oder sie verschwimmen in Licht und Farbe ihrer Umwelt, ohne jemals ganz ihre Konturen zu verlieren. Ein spannungsreicher Widerspruch. Ralf Fritzsche

Die Ausstellung in Münster wird bis zum 13. Februar 2000 gezeigt. Der Eintritt kostet 10 Mark, ermäßigt 4 Mark. Ein Katalog ist für 48 Mark erhältlich.


 
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