© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/00 28. Januar 2000


Kolumne
Mißtrauen
von Hans-Helmuth Knütter

Die Bundesrepublik Deutschland ist eine Demokratie, und eine Demokratie ist ein System, das von mündigen Staatsbürgern bevölkert wird. "Demokratie", so will es die Legende, bedeutet "Volksherrschaft". Herrscht das Volk? Wirklich? Vielmehr herrscht eine seltsame Angst vor dem "mündigen Staatsbürger". Das Grundgesetz wurde von indirekt gewählten Abgeordneten beschlossen. Das Volk wurde nicht gefragt. Begründung: In der Weimarer Republik habe man mit Volksbefragungen schlechte Erfahrungen gemacht.

Volksabstimmungen (Plebiszite) können den Einfluß politischer Parteien durchaus wirksam begrenzen. Deshalb fürchten die Parteifunktionäre die direkte Demokratie wie der Teufel das Weihwasser, obwohl es in den meisten Bundesländern Volksbegehren und -entscheide gibt. Das "Volk" allerdings kann nur sehr begrenzt mitbestimmen. Ihm werden Personen und Möglichkeiten von den Parteien gefiltert vorgesetzt. Also gibt es gar keine Demokratie?

Korrekt ausgedrückt, müßte die etablierte Ordnung als "demokratisch legitimierte Funktionselitenherrschaft mit oligarchischer Tendenz" bezeichnet werden. "Funktionselite" heißt: Partei- und Verbandsfunktionäre, die sich in ihren Organisationen hochgearbeitet haben, also keine Geburtselite, haben entscheidenden Einfluß. Sie werden demokratisch legitimiert, denn sie müssen sich Wahlen stellen und können abgewählt werden.

Die Funktionäre sind unentbehrlich, weil angesichts der Kompliziertheit öffentlicher Angelegenheiten Fachleute gebraucht werden. Ist es doch eine Lebenslüge der Demokratie, der "mündige Bürger" könne alles beurteilen, sei sachverständig und handele vernünftig. Weil das nicht zutrifft, sind die Experten unverzichtbar, aber die Grenze zwischen Expertokratie und eigensüchtiger Partei-Bonzokratie verschwimmt.

Wie aber kann der Einfluß basisfremder Parteifunktionäre kontrolliert und begrenzt werden? Kontrolle durch die Medien ist unzulänglich. Denn auch den Wortführern in Presse, Funk und Fernsehen ist nicht zu trauen. Es bleibt die Stärkung des plebiszitären Elementes und ein kräftiges Mißtrauen gegenüber dem Parteien-Establishment.

Während man früher dem Staate nichts Böses zugetraut hat, gibt es heute nichts Böses, was man dem (Parteien-) Staate nicht zutraute. Und das mit gutem Grund. Deshalb braucht sich niemand für sein Mißtrauen gegen "die da oben" zu entschuldigen.

 

Prof. Dr. Hans-Helmuth Knütter lehrt Politikwissenschaft an der Universität Bonn.


 
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