© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/00 28. Januar 2000

 
 
Parteien: In der CDU ist eine kontroverse Diskussion über ihren Umgang mit der PDS entbrannt
Wie die Hure zur Moral im Bordell wird
Hans-Helmuth Knütter

Vor einigen Wochen, als die CDU noch keine anderen Sorgen hatte, startete der Vorstand einen Versuchsballon. Man redete verquast von einem Wandel in der PDS. Dort gebe es vernünftige Leute und überhaupt dürfe man sie nicht verteufeln, sondern solle sich inhaltlich mit ihr auseinandersetzten. Jubelgeschrei bei der PDS, Protestgebell aus der CDU. Schnell ruderte die CDU-Führung zurück. Aber wie steht es eigentlich mit dem "Verteufeln" und der inhaltlichen Auseinandersetzung?

Schon immer hatten die CDU und ihre Denkfabriken gute Analysen geliefert, auch über die PDS. Nur hat die eigene Parteiführung davon offenbar nichts zur Kenntnis genommen. Im Oktober 1999 hat die Konrad-Adenauer-Stiftung eine Untersuchung von Viola Neu: "Die PDS zehn Jahre nach dem Fall der Mauer" vorgelegt. Der knappe, nur acht Seiten umfassende Text, liefert interessante Informationen und erläutert Zusammenhänge. Danach hat die PDS seit der Bundestags-Wahl 1990, bei der sie mit 1,1 Prozent das schlechteste Ergebnis bisher erzielte, ihr Wählerpotential etwa verdoppelt. Während sie 1990 ihr ideologisches Stammwähler-Potential fast gänzlich ausgeschöpft habe, seien Wähler aus Sozialprotest und anti-westlichen Ressentiments zur PDS gestoßen. Diese Wählergruppe ist nach Darstellung von Viola Neu für andere Parteien nach wie vor mobilisierbar.

Interessant ist auch der Hinweis, die PDS habe bei Erst- und Jungwählern an Attraktivität eingebüßt. Das wird auf die Attraktivität rechtsextremer Parteien besonders auf junge Männer zurückgeführt.

Die PDS hat sich in Maßen, aber deutlich, auf Kosten anderer, etablierter Parteien stabilisiert. Bei der Bundestags-Wahl 1998 sind 130.000 Wähler von der CDU zur PDS abgewandert, die SPD habe 50.000, die Grünen 30.000 Wähler abgegeben. Der Gewinn von der CDU war also erheblich stärker. Die PDS habe auch von Zugewinnen aus dem Nichtwählerlager profitiert, was ein Hinweis auf ihre Attraktivität für Protestwähler sei.

Als Hauptgrund für die (relativen) PDS-Wahlerfolge gilt, daß es ihr gelungen sei, die von der SPD frei gewordene Lücke der sozialen Gerechtigkeit für sich zu nutzen. Ursprünglich galt die PDS als eine Interessenvertretung der Menschen in den neuen Ländern. Seit 1999 hat sie auch ein zweites Feld, nämlich das der sozialen Gerechtigkeit, angeblich glaubhaft hinzugewonnen.

Spagat zwischen System- Opposition und Koalition

Wie steht es nun mit der so kontrovers und diffus diskutierten Annäherung von CDU und PDS? Viola Neu kommt zu einem negativen Urteil: Die grundlegenden gesellschaftlichen Konzeptionen seien erheblich unterschiedlicher als zwischen anderen Parteien. Nicht zustimmen kann man der Verfasserin allerdings, wenn sie meint, die PDS werde aus einer Mischung aus "Wir-Gefühl" und Protest gewählt. Die CDU hingegen, weil sie die zukunftsfähigeren sachpolitischen Konzepte anbietet. Da ist wohl der Wunsch der Vater des CDU-frommen Gedankens. Die CDU wurde sicherlich aus Abneigung gegen die Mißerfolge der SPD-Bundesregierung gewählt, aus Enttäuschung über Rot-Grün. So lautet dann das Fazit, daß in der PDS, einer durchaus disziplinierten Partei, innerparteilicher Konsens herrsche, um die Wahlergebnisse nicht zu gefährden. Substantielle ideologische und systemfeindliche Äußerungen wurden zurückgestellt. Systemfeindliche Äußerungen schaden der PDS. Die Mitgliedschaft stehe aber nach wir vor für eine andere Gesellschafts-Konzeption, die eine ehrliche Vergangenheitsbewältigung verhindere.

Leider versäumt die Untersuchung von Viola Neu, auf die Frage einzugehen, welchen Zuwachs die PDS durch Enttäuschung über Rot-Grün erhalten hat. Vor allem Anhänger des ehemals fundamentalistischen Flügels der Grünen laufen zu ihr über. Aber auch Traditions-Sozialdemokraten, die auf ihre Weise die Bildung einer sozialistischen Einheitspartei vollziehen und persiflieren. Alles findet zweimal statt – einmal als Tragödie, einmal als Farce.

Die noch recht bescheidenen Erfolge der PDS beweisen, daß sie von einer Mehrheit in den neuen Bundesländern als eine normale demokratische Partei wahrgenommen wird. Demokratie und Kommunismus gelten nicht als fundamentaler Widerspruch, die Konzeption freiheitlicher demokratischer Verfassungsstaaten wird mit dem Kommunismus für vereinbar gehalten. Wenn wir diesen Gedanken von Viola Neu weiterdenken, müssen wir feststellen, daß diese Entwicklung von den Etablierten verschuldet wurde, vor allem von der SPD, mit Abstand aber auch von der CDU. Etwas mißmutig stellt Viola Neu fest, der bundesrepublikanische Verfassungskonsens, die PDS als linksradikale Partei letztlich genauso abzulehnen wie rechtsradikale Parteien, treffe schon seit langem nicht mehr den Nerv der Bürger in den neuen Ländern. Vielleicht hat dieser "bundesrepublikanische Verfassungskonsens" solch das Klima vergiftende Folgen.

Es wird seitens der Etablierten anders gehandelt als geredet. Wäre es nicht moralisch und um des Gemeinwohls willen besser, statt staatlicher Verrufserklärungen auch radikal-oppositionelle Aussagen zu tolerieren? Das heißt ja noch nicht, mit diesen Kräften zu kooperieren. Zwar drohen Verluste an Mandaten und schönen Posten. Aber das geistige Klima wäre weniger denunziantenhaft, verhetzt und von Mißtrauen vergiftet.

Sehr schön, wenn wirklich gegen Kriminelle, die aus politischen Gründen Gewalttaten begehen, planen oder wenigstens propagieren, gehandelt wird. Aber es wird nicht nur die Kriminalität bekämpft, sondern die Gesinnung beschnüffelt und kriminalisiert. Das heißt, etwas, was von Gesetztesverstößen weit entfernt ist, wird in den Ruch des Kriminellen gerückt – oft aus niederträchtigen, eigensüchtigen Motiven der etablierten Parteienoligarchie. Und hier liegt auch die Grenze der Versöhnung mit der PDS. Sie darf nur möglich sein bei eindeutiger und glaubhafter Distanzierung von politischer Kriminalität und Gewalttat.

Das ist bei der PDS nicht der Fall. Sie kooperiert mit gewalttätigen Anarchisten, die fälschlich "Autonome" genannt werden, mit Krawall machenden Antifaschisten, und sie hat kriminelle Kurden tatkräftig unterstützt. Sie bezeichnet sich als "system-oppositionell". Wenn in Mecklenburg-Vorpommern der PDS-Chef Holter gleichzeitig Minister ist und grundsätzlich system-oppositionell bleiben will, wenn er also System-Opposition in der demokratischen Koalition betreiben will, dann ist das so glaubhaft wie eine Hure, die erklärt, sie sei die Moral im Bordell.

Die PDS hat noch glaubhaft zu machen, daß sie Opposition ohne Gewalt und Gesetzesverletzungen betreiben will. Es interessiert nicht ihre Gesinnung, sondern die Methode ihres politischen Handelns.

Viola Neus Kurzanalyse läßt trotz ihrer Verdienste manchen Wunsch nach Aufklärung offen. Dennoch kann man der CDU-Führung zur aufmerksamen Lektüre nur dringend raten.

DGB-Funktionäre wurden zu Schildträgern der PDS

Noch viel mehr gilt das für eine ganz ausgezeichnete Veröffentlichung der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA) Thüringens: Peter Christian Segall, "‘Transmissionsriemen‘ der Post-Kommunisten? PDS-Arbeit gegen den Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB)", (CDA Thüringen, Erfurt, 30 Seiten).

Der Titel ist leicht irreführend. Denn die überaus verdienstvolle Schrift enthüllt nicht nur die Machenschaften der PDS gegen den DGB, sondern vor allem das unheilvolle Wirken einer linksextremen Gewerkschaftsbonzokratie. Wenn die PDS salonfähig geredet und bei ihren Aktionen Unterstützung in gesellschaftlich anerkannten und einflußreichen Großorganisationen erhält, dann ist das in erster Linie die Schuld von DGB-Funktionären. Die etablierten Parteien möchten sich offenbar nicht gerne mit dem einflußreichen DGB anlegen. Deshalb wird dessen zunehmende linksextreme Tendenz absichtlich verschwiegen. In Segalls Broschüre zeigt sich aber die Wahrheit in ihrer ganzen verfassungsfeindlichen Häßlichkeit. Hier wird weitaus mehr als "tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht verfassungsfeindlicher Tendenzen" geboten, es werden vielmehr Beweise vorgelegt. Würden die Verfassungsschutzämter ihrer Aufgabe gerecht – hier wäre ein lohnendes Betätigungsfeld.

Während noch Mitte der fünfziger Jahre Unvereinbarkeitsbeschlüsse des DGB zu den Kommunisten bestanden, kam es im Rahmen der "neuen Ostpolitik" ab 1969 zu einer Phase der "aktiven Tolerierung" kommunistischer Politik durch den DGB. Wahrscheinlich wird die Gauck-Behörde noch manche Aufklärung über die Rolle der Stasi bei diesem "Wandel durch Annäherung" liefern.

Allerdings gibt es innerhalb der Gewerkschaften Abstufungen. Eine ganz besonders üble Rolle spielt die IG Druck und Papier (seit 1989: IG-Medien). Die Mitglieder dieser Organisation haben einen unheilvollen Einfluß in Presse, Funk und Fernsehen. Wer deren Linkstendenz verabscheut, findet hier eine Antwort auf die Frage nach den Gründen. Verdienstvoll, daß Peter Christian Segall Roß und Reiter nennt, zum Beispiel Leonhard Mahlein, der von 1968 bis 1973 Vorsitzender dieser Gewerkschaft war. Segall schildert den Lebenslauf dieser Zierde der deutschen Gewerkschaftsbewegung: im Jahre 1921 geboren, wurde er Kommunist, wechselte aber 1951 von der KPD zur SPD, "freilich ohne jemals innerlich Sozialdemokrat geworden zu sein", wie Segall meint. Der Leser stutzt und fragt sich, woher der Autor den Genossen Mahlein "innerlich" kennt. Aber keine Sorge. Alles wird belegt: an seinen Werken kann man ihn erkennen: Er forderte die Einbeziehung der DKP in die Einheitsgewerkschaft, solidarisierte sich mit den polnischen Kommunisten gegen die Gewerkschaft "Solidarität", kooperierte mit dem FDGB. Die Pleite des ihm am Herzen liegenden "Real-Sozialismus" hat nicht mehr erlebt, er starb bereits 1985, aber seine Seilschaft blieb. Einer davon, Detlev Hensche, wurde Nachfolger in seinem Geiste. In einem Interview im Neuen Deutschland am 4. November 1997) bekannte er sich als PDS-Freund. Aber auch andere DGB-Gewerkschaften erwiesen sich als kommunistisch verseucht, so daß die PDS ohne Mühe auf ihrer "gewerkschaftspolitischen Konferenz" den Zuspruch von ÖTV-, HBV- und IG-Metall-Funktionären fand. Insbesondere die letztgenannte Gewerkschaft hat einen bezeichnenden Wandel durchlaufen. 1992 verweigerte die IG-Metall der PDS einen Gastauftritt auf ihrem Gewerkschaftstag, 1999 aber wurde Gysi dort bejubelt.

Segall stellt in seiner Broschüre noch viele andere Gewerkschaften und deren Funktionäre vor, die als Bündnispartner der PDS auftreten. Besondere Erwähnungen finden zwei Funktionäre der HBV in Thüringen, Bodo Ramelow und Angelo Lucifero, der unter dem Pseudonym "Malatesta" antifaschistische Hetze im prokommunistischen Sinne betreibt. Ramelow wäre gerne Minister in einem Kabinett von Richard Dewas (bis zu den Landtagswahlen SPD-Innenminister Thüringens) geworden. Dank der Wählerentscheidung ist uns dies erspart gebleiben. Doch die Linksextremisten in Thüringen und anderswo sind weiter am Werk. Die CDA, die diese überaus materialreiche und verdienstvolle Entlarvung veröffentlicht hat, muß sich fragen lassen, was denn die CDU und ihre Regierung gegen diese Unterwanderung unternimmt.

Der seltsame Umgang mit den eigenen Erkenntnissen

Offenbar scheut die CDU die Öffentlichkeit, denn man hat fast den Eindruck, die eigenen Schriften werden möglichst zurückgehalten. Die Untersuchung von Viola Neu wurde nur einem begrenzten Kreis von Funktionären zugesandt. Die Auflage ist minimal. Die CDA-Broschüre macht schon rein äußerlich einen seltsamen Eindruck: kein Impressum, keine Anschrift. Nur der Hinweis "CDA Thüringen" ziert den Umschlag, und der Interessent muß schon wissen, was das ist. Also ruft man zunächst bei der CDU-Pressestelle an. Fassungsloses Staunen. Dort hat man von dieser Veröffentlichung noch nie etwas gehört. Aber man bekommt wenigstens Anschrift und Telefonnummer der CDA-Bundesgeschäftsstelle in Königswinter. Dort staunt man noch mehr. "Diese Schrift kennen wir nicht und haben sie auch nicht". Ob es denn nicht angebracht wäre, daß Landesverbände ihrer Zentrale ein Belegexemplar zur Verfügung stellen? Ja, das sei wohl wahr. Aber es sei leider nicht so und man solle doch bei der CDA in Erfurt nachfragen. Das geschieht. Ein Anrufbeantworter teilt mit, die Geschäftsstelle sei bis auf weiteres geschlossen. Aber es gebe eine Telefonnummer für Notfälle. Na gut, rufen wir da an. Die Verbindung klappt. Die Frage nach der Broschüre löst Ratlosigkeit aus. Ja, man habe neulich aus der Geschäftstelle alles mögliche mitgenommen, aber noch nicht gelesen. Mal nachschauen! Ach ja, da ist sie ja, die gesuchte Schrift. Ob man denn davon fünf bis zehn Hefte haben könne? Na, man werde demnächst mal nachsuchen und sie zusenden. Und tatsächlich! Einige Tage später kommen wirklich fünf Exemplare. So kann man auch für die Verbreitung der eigenen Erkenntnisse sorgen. Kein Wunder, wenn die Parteiführung dann die Analysen nicht kennt.

Der Linksextremismus hat bisher tragende Säulen des Establishment infiziert. Die Erkenntnis der Gefahr ist vorhanden, die Bereitschaft zur Bekämpfung aber unterentwickelt.

 

Prof. Dr. Hans-Helmuth Knütter lehrt Politikwissenschaften an der Universität Bonn


 
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