© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/00 28. Januar 2000

 
Ralf Höller: Der Anfang, der ein Ende war. Die Revolution in Bayern 1918/19
Eine leninistisch inspirierte Kritik
Elvira Seidel

Mit diesem Taschenbuch über die Revolution in Bayern 1918/18 erinnert der Berliner Aufbau Verlag daran, daß trotz der preußischen Hegemonie im Deutschen Reich auch außerhalb Berlins wichtige Kapitel der neueren deutschen Geschichte geschrieben wurden. Der Sturz der Wittelsbach-Monarchie, die Machtübernahme durch Kurt Eisner, die kurze Periode der Räterepublik und ihre blutige Niederschlagung erschütterten ganz Deutschland und weite Teile Europas.

Von einer Millionen bayerischer Soldaten im Ersten Weltkrieg waren bis 1918 etwa 130.000 gefallen. Der Reallohn war seit Kriegsbeginn um 43 Prozent gesunken, die Versorgung mit Lebensmitteln katastrophal. Das agrarische Überschußland hatte hohe Abgabequoten für landwirtschaftliche Produkte zu erfüllen, was die Bauern mit Zorn gegen die Behörden in Berlin erfüllte. Die bayerische Armee war in die Reichsarmee eingegliedert worden, der fortschreitende Verlust bayerischer Eigenstaatlichkeit damit augenfällig. Die Autorität König Ludwig III. schwand dahin. Die allumfassende Krise schlug in eine revolutionäre Situation um.

Die zehn übersichtlich gegliederten Kapitel des Buches folgen der Chronologie der Ereignisse. Am 7. November 1918 besetzten Aufständische die Münchner Kasernen, der König dankte ab und der Sozialdemokrat Kurt Eisner wurde zum Ministerpräsidenten ausgerufen. Seine Ermordung durch den Grafen von Arco-Valley am 21. Februar 1919 spitzte die politische Lage weiter zu. Nach einem Putsch wurde am 6. April 1919 eine "Räterepublik" ausgerufen, die von Schriftstellern und Anarchisten geführt wurde und teilweise karnevaleske Züge trug. Nur eine Woche später aber herrschte in München eine wirkliche "Diktatur des Proletariats" nach bolschewistischem Vorbild. Wohnraum wurde requiriert, Bargeld beschlagnahmt, tatsächliche oder vermeintliche Gegner füllten die Gefängnisse. Die Erschießung von zehn Geiseln – die meisten gehörten der reaktionären "Thule"-Gesellschaft an – im Luitpold-Gymnasium am 30. April markierte den Höhepunkt dieser radikalen Phase. Anfang Mai marschierten Reichswehr und Freikorpstruppen in München ein und bereiteten der Räterepublik ein Ende. Die Gewaltexzesse forderten mehrere hundert Tote.

Im Anschluß an jedes Kapitel stellt der Autor zehn relevante Persönlichkeiten dieser Tage in Einzelporträts vor, neben Eisner unter anderem Gustav Landauer, Eugen Leviné, Ernst Toller, die Sozialdemokraten Erhard Auer und Johannes Hoffmann – der von März 1919 bis März 1920 als bayerischer Ministerpräsident amtierte – sowie den späteren SA-Chef Ernst Röhm.

Ralf Höller, Jahrgang 1960 und freier Journalist in Bonn, hätte sich darauf beschränken sollen, eine nüchterne, exakte Darstellung der Ereignisse zu geben, sie um die Aufzeichnungen und Tagebuchnotizen prominenter Zeitzeugen zu ergänzen und die Forschungsliteratur – etwa Allan Mitchells Standardwerk "Revolution in Bayern 1918/19" (1965/67) – kurz zu sondieren. Anschließend hätte er versuchen können, einige neue Akzente in der Bewertung zu setzen. Dann wäre ihm ein womöglich rundum solides Handbuch gelungen!

Diese Erwartung erfüllt er nur teilweise. Daneben übt er sich einer penetranten, leninistisch inspirierten Kritik an der "politischen Mentalität der Deutschen". Bereits die Annotation auf dem Buchumschlag verkündet im Donnerton: "Anders als die Franzosen oder Russen können wir auf kein Ereignis zurückblicken, das die gesellschaftlichen Verhältnisse komplett umgekrempelt hätte." Das Jahr 1989 muß Höller glatt verschlafen haben! Davon abgesehen, mutet diese revolutionäre Heilserwartung naiv an. An ihr gemessen, kann der reale Geschichtsverlauf nur banal und enttäuschend sein, und diese Enttäuschung verführt den Autor zu einem – schon im Buchtitel anklingenden – Geschichtsdefätismus, wenn er mit Blick auf die Niederlage der Räterepublik behauptet: "Der Weg Deutschlands in die Diktatur war damit vorgezeichnet."

Zweifellos erwies sich die Niederschlagung als ein Experiment "zur regelrechten Erprobung und Sammlung paramilitärischer antidemokratischer Macht" (Karl Dietrich Bracher) und bedeutete insofern eine schwere Hypothek für die Weimarer Republik. Andererseits sind sich die Historiker einig, daß deshalb der Untergang der Weimarer Demokratie 14 Jahre später keineswegs zwingend war.

Die zwei oder drei tagespolemischen Spitzen gegen die CSU – geschenkt. Wer sich aber aufs geschichtsphilosophische hohe Roß setzt, sollte erst einmal hinsichtlich der Fakten sattelfest sein. Der Leiter der Politischen Polizei in München, Wilhelm Frick, heißt bei Höller "Flick". Reichspräsident von Hindenburg, obwohl erst seit 1925 im Amt, soll bereits 1924 den Eisner-Attentäter begnadigt haben, und Karl Liebknecht wird mit seinem Vater Wilhelm verwechselt. Thomas Mann hätte das Wort vom "Zivilisationsliteraten" als Synonym für "Vaterlandsverräter" verwendet – Höller weiß wenig über die Begrifflichkeit des Literaturnobelpreisträgers! Man könnte mit einer Aufzählung von Auslassungen, Verzerrungen, selektiven Wahrnehmungen fortfahren.

Höller kann nicht verstehen, weshalb die russische Revolution, deren Greuel in Deutschland früh bekannt waren, hier zum Schreckensbild wurde, und daß den Deutschen in ihrer Mehrheit angesichts lebensbedrohlicher innerer und äußerer Konflikte ein staatlicher Ordnungssrahmen wichtig erschien. Der Verweis auf den ewig deutschen Spießer ersetzt nicht die historisch angemessene Wertung!

 

Ralf Höller: Der Anfang, der ein Ende war. Die Revolution in Bayern 1918/19. Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin 1999, 276 S. mit zahlr. Abb., 16,90 Mark


 
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