© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/00 04. Februar 2000

 
Parteien: Der Aufstieg der österreichischen Freiheitlichen ist eine demokratische Revolte
Die Angst vor Haider
Dieter Stein

Sonntag abend sollte der österreichische Politiker Jörg Haider in der Fernsehsendung "Christiansen" im Sender ARD auftreten. Als weitere Gäste waren Michel Friedman (CDU), Otto Schily (SPD), Guido Westerwelle (FDP), Alois Glück (CSU) und Daniel Cohn-Bendit (Grüne) angekündigt. Im Laufe des Sonntags verließ die eloquente Moderatorin und ehemalige Tagesthemen-Sprecherin Sabine Christiansen unter Druck der Mut.

Michel Friedman hatte seine Teilnahme wegen Haider zurückgezogen, Otto Schily gnädigerweise auch. Statt nun einfach mutigere Politiker einzuladen, lud sie den Chef der FPÖ wieder aus. Ein unglaubliches Armutszeugnis und eine Bankrotterklärung von unabhängigem Journalismus. Stattdessen wurde der Boykotteur Michel Friedman wieder zur Sendung zugelassen, der Christiansen faktisch erpreßt hatte, Haider auszuladen – eine billige Bestätigung der einfachsten antisemitischen Vorurteile. Friedman diktiert, wer in einer Talkshow teilnehmen kann und wer nicht – das ist die Quintessenz.

Es ist Hysterie, mit der – beispielsweise seitens der EU – auf die Ereignisse in Österreich reagiert wird. Die Aufregung über eine Regierungsbeteiligung der FPÖ ist abwegig, weil sie für jeden aufmerksamen Beobachter der innenpolitischen Situation in Österreich schon seit Jahren absehbar war. Das Unverständnis der Österreicher über außenpolitische Reaktionen auf die FPÖ-ÖVP-Koalition ist damit auch zu erklären. Das Thema "Popanz Haider" ist schon seit längerem in der Alpenrepublik erledigt. Nun überfallen die europäischen Schlafmützen in aller Arroganz und Ignoranz den Nachbarn und EU-Partner und und wärmen uralte, abgedroschene Vorurteile gegen Haider auf.

Es hätte den verschlafenen Außenpolitikern der übrigen europäischen Staaten schon etwas früher auffallen können, daß sich seit Anfang der neunziger Jahre eine Verschiebung im österreichischen Parteiensystem abgezeichnet hat. Die ursprünglich starken Volksparteien SPÖ und ÖVP haben kontinuierlich Stimmen an die FPÖ abgegeben. Jetzt ist die FPÖ nach aktuellen Umfragen sogar schon die stärkste Partei – jeder Angriff und Erpressungsversuch aus dem Ausland verstärkt die Zustimmung zu Haider.

In Berlin wird von Politikern und Medien ein "Überschwappen" des Haider-Effekts auf Deutschland und andere europäische Staaten als furchtbare Gefahr an die Wand gemalt. Um das Horrorszenario schockierend zu machen, wird Haider als Rechtsextremist, als Verharmloser des Holocaust, als Neofaschist tituliert – was er nicht ist. Haider ist ein talentierter Populist im besten Sinne des Wortes, ein Demokrat, der enttäuschte Bürger sammelt und ihnen eine neue politische Plattform bietet. Und das sehr erfolgreich.

Es ist weniger die angebliche "Gefahr von rechts", die der politischen Klasse in Deutschland Sorgen macht. Es ist schlicht die Sorge, daß angestammte Erbhöfe streitig gemacht werden könnten. Haider hat auch Stimmen gesammelt mit seinem Plädoyer für die nationale Präferenz und den Einwanderungsstopp. Aber eben nicht nur. Vor allem hat Haider von Wahl zu Wahl gesiegt, weil er das Proporzsystem, die Übermacht der Parteien angegriffen hat, die das Volksvermögen mit einer immer weiter steigenden Staatsquote auffrißt. Haider hat einen grunddemokartischen, ja liberalen Vorstoß gegen Filz, "Packelei", Klüngel-System und Korruption geschafft. Und deshalb fürchten sich in Europa und vor allem in Deutschland alte Parteien vor einem Übergreifen des Haider-Effektes.

Der Aufstieg des Jörg Haider macht Bürgern in Europa Mut. Er macht den Bürgern Mut, die von der scheinbaren Undurchlässigkeit der Parteiensysteme enttäuscht sind und sich von der Demokratie abzuwenden drohen. Hohe Wahlenthaltung ist auch durch die Repräsentationsschwäche der bestehenden Parteien begründet. Und wenn sich alte Parteien nicht zur Erneuerung entschließen können, dann muß es alternative Bewegungen geben, die dem Bürgerwillen zum Durchbruch verhelfen. Dagegen haben die Parteien in Deutschland hohe Hürden aufgerichtet: Fünf-Prozent-Klausel, Parteinähe vieler Zeitungen, Proporz in den elektronischen Medien.

Alle zittern vor Haider. Sie fürchten, daß die demokratische Revolte die Alpen überspringen könnte und das deutsche Parteiensystem durcheinander-bringt. Dies wäre wohl nicht das Schlechteste.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen