© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/00 04. Februar 2000

 
Kolumne
Maskenball
von Ulrich Schacht

Daß Politik immer auch eine Form von Maskenball ist, liegt in der Natur der Sache. Verstellen, Verkleiden, Verdecken von wirklichem Gesicht und Körper, um ein "wahres" ins Licht, das gescheut wird, zu rücken, ist der Sinn der Übung und des Vergnügens, bei dem die Beteiligten so ganz nebenbei auch einmal den Konkurrenten demaskieren können. Oder unter großem Gelächter allen die Schminke übers Kinn läuft, weil es zu heiß geworden ist im Saal.

Der politische Karneval im Saal Deutschland des gesamteuropäischen "Hotel Bruxelles" ist an diesem Punkt angekommen: Zwar lachen noch nicht alle Beteiligten über das jeweilige Ball-Gegenüber. Zwar wissen einige unter den geladenen Stars und Sternchen des Festes noch nicht genau, ob ihnen eben dieses Lachen, das schon im Hals sitzt und heraus will, doch besser dort stecken bleiben sollte, weil die Bürger "draußen im Lande" oder "vor der Tür" noch nicht alle wie ehrenwerte Hamburgische Handelskammer-Herren reagieren oder blöd begeisterte Bremische Neujahrsempfangs-Touristen. Doch im Prinzip schwillt hinter dem Sirenenalarm schon der Entwarnungston.

Im Prinzip arbeitet der heimliche Organisator des Festes – wer ist das eigentlich? – schon an der neuen Ballsaison, und die Pause dazwischen ist nur die Pause zum Waschen, dem sich nahtlos eine neue Kostümprobe anschließen wird. Aber was heißt das? Das heißt, daß zu diesem Spiel, dem im übrigen jegliche Substanz-Eleganz beispielsweise venezianischer Maskeraden fehlt, immer zwei gehören: Die einen, die es aufführen? und die anderen, die sich nicht wirklich davon verhöhnt fühlen. Nur so ist es zu erklaren, daß im politischen Ballsaal Deutschland ein Josef Fischer, der einst den anarchistischen Turnschuh-Vertreter auf den Politik-Brettern der Republik gab, nun den seriösen Außenminister des erweiterten Bundes mimen darf: mit Weste unterm konservativen Anzug, Sorgen-Face über Gott und die Welt und einem stockenden Sprachfluß vor den Kameras, der sogar noch den berüchtigten Genscher-Verzögerungstakt unterbietet. Jetzt entsetzt zu sein über die zu Boden gefallene Law-and-Order-Maske des einen oder das zerschlissene Grundgesetz-Kostüm des anderen, kommt zu spät.

Die Politiker, die ihre Masken noch tragen, ins Visier zu nehmen, darauf kommt es an. Die Trittins und von Plottnitz’, die Gysis und Ringsdorffs, sie muß man im Auge behalten, wenn einem Demokratie, Rechtsstaat und soziale Marktwirtschaft noch irgend etwas bedeuten.

 

Ulrich Schacht ist Schriftsteller und Dichter. Er lebt in Schweden.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen