© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/00 04. Februar 2000


Österreich: Wiens langjähriger sozialdemokratischer Bürgermeister Helmut Zilk über Jörg Haider und die FPÖ
"Bedürfnis nach einem Wechsel kam auf"
Jörg Fischer

Herr Dr. Zilk, Hermann-Josef Arentz von den CDU-Sozialausschüssen fordert die ÖVP auf, dem "Mummenschantz ein Ende zu bereiten", denn eine "anständige christlich-demokratische und konservative Partei darf mit den rechten Schmuddelkindern um Haider nichts zu tun haben". Für den tschechischen Ministerpräsidenten Zeman ist Haider ein "gemeinsamer Feind der Tschechen und Israelis. Finden Sie diese Reaktionen noch angemessen?

Zilk: In solchen Zeiten muß man Äußerungen wie diese zur Kenntnis nehmen, und es ist nicht meine Angelegenheit, die Querelen zwischen CDU und ÖVP zu kommentieren. Kritik ist etwas Erlaubtes, Sinnvolles und Gutes – ob sie immer stimmt ist eine andere Frage. Ich weis nicht, worauf sich diese Aufregung bezieht, aber man sollte von den Tatsachen ausgehen: Wir, Österreich, sind ein demokratischer Staat und das ist nie bestritten worden. Wir haben demokratische und freie Wahlen, und diese Wahlen bringen Ergebnisse. Wir müssen mit den Ergebnissen so leben, wie man in anderen Ländern auch leben muß – das ist das Entscheidende. Dann muß man darüber nachdenken, welchen Weg kann man damit gehen. Aber mit solchen Begriffen wie Schmuddelkinder, damit möchte ich mich einfach nicht auseinandersetzen, mit diktatorischen Vorwürfen nicht und auch nicht mit dem Herrn Zeman – das ist nicht meine Sache. Das sollen der Herr Haider und der Herr Schüssel machen.

Sie sind kein Freund Haiders. Was kann man an Haider zu Recht kritisieren, was halten Sie für abwegig?

Zilk: Ich glaube zurecht kann man kritisieren, daß er in seiner politischen Entwicklung in den letzten 30 Jahren durch seine sehr opportunistische, sehr demagogische, oft wenig berechenbare Art der politischen Auseinandersetzung, durch seine politischen Äußerungen und politischen Grundsätze sehr negativen und befremdlichen Einfluß ausgeübt hat. Auf der anderen Seite muß man anerkennen – wie bei anderen Leuten auch – das er lernfähig ist und dazugelernt hat. Er hat vor zwanzig oder dreißig Jahren den einen oder anderen Ausspruch getan, den man wirklich kritisieren muß – aber er hat die Konsequnzen gezogen und daraus gelernt. Aber ich bin nicht der Anwalt von Herrn Haider. Er ist ein begabter politischer Mensch, der offenbar in der Lage war, oppositionelle Stimmem aus allen Lagern zu sammeln und es ist notwendig, sich damit auseinanderzusetzen. Das hätte man schon früher tun sollen; man hat den Fehler gemacht, ihn auszugrenzen. Man dachte, damit sei das Problem gelöst.

Mit einer möglichen ÖVP-FPÖ-Koalition endet eine 30jährige Periode sozialistischer Kanzler in Österreich. Ist die Zeit für einen Wechsel nicht überfällig gewesen? Die Folgen zu langer Regierungsperioden einer Partei sehen wir ja derzeit in Deutschland – Stichwort CDU- und SPD-Affären...

Zilk: Nein, es ist für mich als Sozialdemokraten trauig und schade, daß diese Zeit jetzt zuende gegangen ist. Man kann auch davon ausgehen, daß es solche Affären, wie in der CDU, bei uns nicht gegeben hat. Aber grundsätzlich ist es schon so, daß es von Zeit zu Zeit bei den Menschen das Bedürfnis nach einem Wechsel gibt. Es sammeln sich die Ungereimtheiten, es addieren sich die Unzufriedenheiten über Wahlversprechen, die nicht gehalten wurden, über Mißbräuche von Partei- und Proporzwirtschaft. Daraus entwickelt sich ein Gesamtbild, daß viele Menschen in oppositionelle Kanäle hineintreibt. Sieht man vom Phänomen Haider einmal ab, ist es im Grunde nichts anders als nach 16 Jahren Kohl in Deutschland, als das Bedürfnis nach einem Wechsel aufkam. Und das ist vielleicht auch hier in Österreich spürbar geworden.

Welche Wirkungen erzeugen die Angriffe aus dem Ausland unter den Österreichern? Droht eine "Jetzt-erst-recht"-Stimmung? Nutzen diese Angriffe sogar Jörg Haider, wenn man ihn zum Buhmann stempelt und die Österreicher als demokratisch minderbemittelt darstellt, die Nachhilfeunterricht aus dem Ausland brauchen?

Zilk: Die Frage ist schwer zu beantworten, denn ich bin ja kein Meinungsforscher und kann daher keine treffende Antwort geben. Aber wenn ich so die Grundstimmung der Österreicher betrachte, dann nützt das natürlich dem Herrn Haider. Es dient einer Gegenentwicklung wenig und stärkt ihn sogar, weil viele Österreicher denken: " Das ist ja sicherlich eine inneröstereichischen Angelegenheit". Eine so agressive Einflußnahme aus dem Ausland bewirkt bestimmt das Gegenteil von dem, was bewirkt werden soll. Wir haben das ja seinerzeit mit dem Bundespräsidenten Herrn Waldheim erlebt. Man könnte aber auch einmal darstellen, was in Deutschland zum Thema Rassismus geschieht. Es gibt kaum ein Gebiet in Mitteleuropa, wo in den letzten Jahren so viele Häuser angezündet, so viele Ausländer gejagt oder gar getötet wurden wie in der Bundesrepublik Deutschland. Oder denken Sie an die Friedhofschändungen. Das hat es alles in Österreich nicht gegeben, bei uns hat kein Haus gebrannt, bei uns wurde niemand gejagt oder gar umgebracht! Und trotzdem macht sich das Ausland Sorge über den Rassismus in Österreich. Denken Sie mal an die vielen rassistischen Vorfälle in England, in Südfrankreich, an den Nazismus in Schweden. Gerade die Schweden , die uns kritisieren, haben selber genug zu tun. Der Herr Schüssel wird sicherlich keine Regierungspolitik machen, die nicht alle ehernen Grundsätze der Flüchtlingspolitik, der Menschenrechte und der internationalen und Europapolitik einhält. Da wird sich an den Grundsätzen gar nichts ändern.

Sie selbst sind 1993 durch die Briefbombe eines rechtsextremen Gewalttäters schwer verletzt worden. Kann man die Freiheitlichen ernsthaft mit Extremisten, ja sogar mit Gewalt in Verbindung bringen?

Zilk: Das ist absolut abwegig. Der Mann, der diese Briefbombe gebaut hat ist inzwischen verurteilt worden und verbüßt eine lebenslange Haft in einer geschlossenen Anstalt für psychisch Erkrankte. Ich habe immer gesagt, der gehört zum Psychiater und nicht vor Gericht. Der Mann ist natürlich ein fanatischer Rassist, aus irgendeiner persönlichen Sache heraus. Aber die Ironie dabei ist: Er stammt aus einer honorigen sozialdemokratischen Familie bei Graz. Seine Eltern waren beide Funktionäre der SPÖ, er hatte nie was zu tun mit dem Haider. Das es aus so einer Geisteshaltung kommt, mag schon sein, aber Rassismus gibt es auf der ganzen Welt, in den USA, in Frankreich und in England. Oder irre ich mich da?

Ja, selbst in Israel gibt es extremistische Gewalttäter...

Zilk: Die Aufregung der Israelis verstehe ich – aber nicht ganz. Man spricht immer von "rechtspopulistisch", aber wenn der LIKUD-Block des Herrn Nethanjahu – der die Friedenspolitik von Perez beendet hat – nicht auch ein rechtspopulistischer Block war, dann weiß ich auch nicht mehr, was ein Rechtspopulist ist.

Keiner spricht bislang über die zu erwartenden Politikinhalte. Was erwarten Sie inhaltlich und personell von einer ÖVP-FPÖ-Koalition? Hat die FPÖ ministrable Kandidaten?

Zilk: Das ist eine sehr richtige Frage. Erstens erwarte ich, daß der Herr Haider das tut, was er angekündigt hat, daß er weder Bundeskanzler noch Minister in der neuen Regierung wird, sondern bleibt was er ist: Landeshauptmann von Kärnten – das entspricht ihrem Ministerpräsidenten eines Bundeslandes. Er wurde dort mit großer Mehrheit gewält. Zweitens erwarte ich, daß es doch einige kluge Köpfe geben wird, speziell in der ÖVP. Bei der FPÖ ist die Personaldecke dünner, das wird sicherlich schwieriger werden, für eine Partei, die nur von der Opposition lebt. Die hat natürlich Probleme, daß umzusetzen, was sie kritisiert hat, die hat Schwierigkeiten, es besser zu machen. Es ist zu hoffen, daß sich solche Leute finden werden. Wahrscheinlich wird die FPÖ erstmals eine Frau als Vizekanzler nominieren, aber ich kann dazu wenig sagen, ich kenne diese Leute nicht.

Und inhaltlich, wird sich die Europapolitik ändern?

Zilk: Das halte ich für völlig ausgeschlossen. Das würde der jetzige Vizekanzler Schüssel in seinen eigenen Reihen nicht durchstehen. Die Politik in Fragen der Menschenrechte und Flüchtlingspolitik, Fragen der Nachbarschaftsbeziehungen und in Fragen Europas wird sich nicht ändern, die bleibt gleich. Die ÖVPler waren immer Protagonisten in Fragen Europas. Auch in Fragen der EU-Erweiterung ändert sich nichts, das hat Schüssel schon öffentlich klargestellt.

Es gibt inzwischen auch Entschädigungsforderungen für NS-Zwangsarbeiter an Österreich. Was ist da von Schwarz-Blau zu erwarten?

Zilk: Es wird da schwierige Verhandlungen geben, die Frage der Größenordnung ist strittig, auch in Deutschland haben sich die Verhandlungen über Monate hingezogen. Aber ich bin überzeugt davon, das es eine grundsätzliche Bereitschaft für Zahlungen gibt – trotz aller Polemik. Gerade der Dr. Haider weist hier alle Verdächtigungen zurück, indem er klar macht, daß er Krieg verabscheut und Kriegsfolgen beseitigt werden müssen. Er sagt, daß alles getan werden muß, um wiedergutzumachen, was geschehen ist. Ich habe da weniger Sorge, da würde er sich sein eigenes Lebenslicht ausblasen. Man wird einen Lösung wie in Deutschland anpeilen müssen.

Das deutsche Parteiensystem ist momentan in der Krise. Wird es einen deutschen Haider geben, oder ist das ein spezifisch österreichisches Phänomen?

Zilk: Nein, die deutsche Entwicklung war umgekehrt, weg von Mitte-Rechts – die bayrische CSU ist ja durchaus eine rechte Partei – hin zu einer linken Regierung. In Deutschland war die Abnutzung rechts, und die Linke kam zur Geltung. Ich halte das für ausgeschlossen. Die CDU-Affäre war ja eine gewaltige Stabilisierung des Kanzlers Schröder.

In Österreich sind solche Enthüllungen wie bei der CDU nicht zu erwarten?

Zilk: Ich hoffe nicht. Aber Kleinigkeiten und Probleme – Schnick-Schnack – wird es immer und überall geben, wo Demokratie ist. Wo gibt es ein Land, in dem nicht auch Problemfälle auftauchen. Aber die Größenordnung wie in Deutschland, die halte ich für Österreich für völlig ausgeschlossen.

Die politische Waage hat in Österreich nach rechts ausgeschlagen, könnte als Gegenreaktion eine Art österreichische PDS entstehen?

Zilk: Nein, das halte ich für sehr unwahrscheinlich. Wir haben hier die Grünen, die stehen weit links von der SPÖ – aber auch entfernt von kommunistischen Ideen. Die KPÖ hat seit 20 Jahren landesweit nur wenige Zehntelprozent erreicht, eine österreichische PDS ist also ausgeschlossen.

 

Dr. Helmut Zilk wurde 1927 in Wien als Sohn eines Zeitungsangestellten geboren. Nach Schul- und Flakhelferzeit war er bis 1951 als Volksschullehrer tätig. Anschließend Lehrer am Pädagogischen Institut der Stadt Wien, von 1956 bis 1966 dort Professor für Pädagogik. 1950 trat er der SPÖ bei. 1955 wurde er freier Mitarbeiter des ORF, von 1967 bis 1974 schließlich Programmdirektor des ORF. 1974 bis 1979 war er Redakteur der Neuen Kronenzeitung, bis 1983 Kulturstadtrat in Wien. Danach Bundesminister, war er bis 1994 zehn Jahre Bürgermeister und Landeshauptmann von Wien. Als Pensionist ist er gegenwärtig im Aufsichtsrat einer Versicherung, im Verwaltungsrat einer Einkaufskette und Ombudsmann bei der Neuen Kronenzeitung.

Auszeichnungen: Ehrenbürger von Preßburg, Prag und Wien, österreichische und ausländische Auszeichnungen und Orden, 1999 Wilhelm-Högner-Preis.


weitere Interview-Partner der JF


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen