© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/00 04. Februar 2000

 
Pankraz,
D. Linke und die Vorzüge der Kopftransplantation

Man hat es kommen sehen. Nach der Herztransplantation, der künstlichen Gebärmutter aus Gummi und den jüngsten Fortschritten der Gehirnforscher beim Entwickeln von allerlei "Neuroprothesen" mußte die Kopftransplantation fast mit Notwendigkeit ins Zentrum medizinisch-chirurgischer Begierden rücken. Und jetzt ist es offenbar soweit. Detlef B. Linke, einer unserer führenden Neurophysiologen, erklärt das einundzwanzigste Jahrhundert schlankweg zum "Jahrhundert der Kopftransplantation". Juristische Bedenken seien nicht vorhanden oder bereits ausgeräumt. Zitat Linke:

"Für die Angehörigen wird es wohl nicht ohne Bedeutung sein, wenn plötzlich ein anderer Kopf auf dem geliebten Körper sitzt. Aber angesichts der Tatsache, daß sich der Intimbereich des Menschen vom Genital aufs Geld verlagert, könnte dieses Geschehen im Zuge der allgemeinen Transformation des Menschen als konform angesehen werden."

Technisch, versichern uns die Neurologen, sei die Kopftransplantation kein Problem mehr. Zwar führe sie beim augenblicklichen Forschungsstand leider noch zu Querschnittslähmung, doch schon eröffne sich die Möglichkeit des Einpflanzens embryonaler Nervenzellen, die eine Verbindung zwischen Kopf und Körper wieder herstellen. "Damit wäre die Kopfverpflanzung eine Operation, die als Alternative zum Tod durchaus diskutabel ist" (Linke).

Fragt sich nur, wer hier vom Tod errettet werden soll, der Kopf oder der Körper. Chirurgen und Juristen gehen von dem therapeutischen Modellfall aus, daß ein Kopf einen neuen, gesunden Körper braucht, um überleben zu können, und daß man diesen Spenderkörper vom Kopf eines "Gehirntoten" abtrennt, um ihn dem Empfängerkopf anzuheften. Aber was ist, wenn der geliebte Körper inklusive Genitalien noch vor Gesundheit strotzt, hingegen der alte Kopf nicht mehr so recht will? Bin ich dann noch ich, wenn ich den neuen Kopf aufhabe?

Auch stellt sich das Problem, daß Spenderköpfe bzw. Spenderkörper immer extrem knapp sein werden. Prof. Linke schlägt deshalb vor, gesunde Köpfe gegebenenfalls auch auf Tierköper, z. B. Schweinekörper zu verpflanzen, um dem Tod zu entgehen. "Wenn die Verpflanzung von Menschenköpfen auf fremde Menschenleiber genauso gestattet ist wie die Einpflanzung von Tierorganen in den Menschen, dann kann prinzipiell auch nichts gegen die Aufpflanzung von Menschenköpfen auf Tierleiber – seien es Antilopen, Hirsche oder Elefanten – eingewendet werden ... aus physiologischer und immunologischer Sicht wäre der Schweinekörper der geeignetste Träger für menschliche Funktionen."

Pankraz (genauer: sein Kopf) würde zwar im Fall der Fälle lieber auf einen Pferdekörper aufgepflanzt werden, um fortan wie Chiron oder einer der anderen berühmten Kentauren des Altertums herumzulaufen, aber die Gefährten des Odysseus – man erinnere sich! – wurden von der Zauberin Kirke tatsächlich in Schweine verwandelt, und sie fühlten sich (wenigstens wenn man Lion Feuchtwanger und seiner interessanten Erzählung "Odysseus und die Schweine" von 1948 folgt) im Schweinekörper so wohl, so buchstäblich sauwohl, daß sie gar nicht mehr in Menschen zurückverwandelt werden wollten und entsetzt vor Odysseus Reißaus nahmen, sobald der mit dem heilenden Kraut Moly winkte.

Sie hatten noch die Intelligenz von Menschen, waren aber im übrigen schon zu echten Schweinen geworden. Als Odysseus eines von ihnen erwischte und mit dem Kraut Moly berührte, verwandelte es sich zwar in einen der Gefährten, Elpenor, zurück, fing jedoch gleich an, sich laut zu beklagen: "Warum quälst du uns, o Odysseus, warum willst du unseren Herzen immer neue Entschlüsse abringen? Süß war es doch, ein Schwein zu sein, sich in Sonne und Schlamm zu wälzen, des Fraßes zu genießen, zu grunzen und ledig zu sein des Zweifels ..."

Wahrscheinlich ist die Rede von der leibgeistigen Einheit jeder lebenden Kreatur und speziell des Menschen doch kein leerer Wahn. Wir sind mehr als unser Gehirn, und auch dieses Gehirn ist ja Körper, so daß unsere Identität voll aus der Körperlichkeit erwächst. Unser Ich ist, im Stil der neuen Neurologie gesprochen, "ein Set von Lebensdias", und dieser Set ist räumlich und zeitlich begrenzt, von einem bestimmten einmaligen Körper abhängig und durch dessen Konstitution und Geschichte geprägt.

Nach spätestens 130 Jahren, sagen die Altersforscher, kann unser Gehirn keine weiteren Dias mehr speichern und verarbeiten, ohne in Aufruhr und Verwirrung zu geraten. Der reine Stoffwechseltod mag dann noch durch allerlei medizinische Tricks hinausgezögert werden, aber der Tod der Identität ist definitiv; neue Dias könnten nur noch aufgenommen werden, indem man die alten löschte, alle bis dahin angesammelten Daten vernichtete. Ein vollkomen neues Individuum würde dann entstehen, das in keinem Belang mehr ich wäre, eine Unsterblichkeit ohne Sinn und Verstand.

Ob Kopftransplantation oder kompletter Datenaustausch mittels Medikamentenstoß – das Ich mündet hinnieden auf jeden Fall in Lethe, den Strom des Vergessens und Vergehens, oder es verwandelt sich in ein Schwein. Nicht einmal die von Detlef Linke konstatierte "Verlagerung des Intimbereichs von den Genitalien aufs Geld" kann daran etwas ändern.

Geld ist nämlich in keiner Hinsicht weniger schweinisch als Genitalien, es macht die Schweine nur abstrakter, weniger kommunikativ, verwandelt sie in bloße Freßmaschinen. Mag sein, "die Angehörigen" freuen sich, wenn ihnen nach erfolgter Kopfverpflanzung ein genitalienloser Geldautomat ins Haus tritt, eine Art Goldesel ohne Knüppel-aus-dem-Sack. Aber auch Goldesel sind nicht unsterblich, höchstens im Märchen, und die jetzt laut Detlef Linke anstehende "allgemeine Transformation des Menschen" ist leider kein Märchen.


 
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