© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/00 04. Februar 2000

 
Vergessene Schriftsteller (X): Gertrud von le Fort
Liebe, Schuld und Gnade
Manfred Müller

Irmgard Keun, Ulla Hahn, Gabriele Wohmann, Christa Wolf, Elfriede Jelinek – solche Namen fallen jungen, literarisch gebildeten Deutschen ein, wenn man sie nach deutscher Frauenliteratur fragt, nicht aber der Name Gertrud von le Fort. Nach den Verwerfungen, die als Folge der Kulturrevolution von 1968 in der literarischen Landschaft zu verzeichnen sind, ist dies nicht verwunderlich: Menschenbild und Wertorientierung dieser Autorin passen nicht zum heutigen Zeitgeist.

Gertrud Freiin von le Fort wurde 1876 in Minden als Tochter eines preußischen Obersten geboren. Ihr Geschlecht stammt von protestantischen Glaubensflüchtlingen aus Piemont und Savoyen ab, die im 16. Jahrhundert nach Genf kamen. Angehörige dieser Familie dienten dem französischen König und dem russischen Zaren in hohen Positionen; der deutsche Zweig der Familie ist seit dem 18. Jahrhundert auf mecklenburgischen Gütern nachweisbar. Zu einer Zeit, als Frauen im Hochschulstudium noch ganz selten anzutreffen waren, begann Gertrud von le Fort im Alter von 32 Jahren ein Studium mit philosophisch-theologischen, kunst- und kirchengeschichtlichen Schwerpunkten.

Im Ersten Weltkrieg, in dem sie zeitweise als Rot-Kreuz-Schwester Dienst tat, wurde sie von der vaterländischen Begeisterung mitgerissen: "Deutschland hat in diesem Krieg nicht nur die gerechte Sache, sondern es ist auch das geistig und sittlich wertvollere Vok gegenüber seinen Gegnern" (Brief 8.8.1914). Niederlage und Novemberrevolution, Nachkriegswirren und Verlust des mecklenburgischen Familiengutes trafen sie schwer. Neuen Halt fand die Schülerin des protestantischen Religionsphilosophen E. Troeltsch in der römisch-katholischen Weltkirche. 1926 trat sie zum katholischen Glauben über – eine Entscheidung, die in einer langen inneren Entwicklung herangereift war. Noch vor der Konversion veröffentlichte sie ihre "Hymnen an die Kirche" (1924), ein Dokument ihres dichterischen Könnens und ihrer Nähe zum Katholizismus.

Diese Konversion verstand le Fort nicht als einen Bruch mit der protestantischen Tradition ihrer Familie: "Der Konvertit stellt die lebendige Vereinigung der getrennten Liebe dar; er ist gleichsam die Brücke, die zwei Ufer berührt und verbindet." Die Konversion hatte kein Nachlassen ihrer künstlerischen Kräfte zur Folge, sondern brachte sie zur vollen Entfaltung. Le Fort wurde zu einer führenden Vertreterin des Renouveau catholique in der deutschen Literatur. Ihr großes Thema wurde die erbarmende, sich opfernde, heilende, den Tod überwindende Liebe, insbesondere das Erbarmen mit den Unglücklichen, Verirrten, Gescheiterten. In ihren Romanen, Erzählungen, Novellen und Legenden schuf sie großartige Frauengestalten, dies aber nicht mit einer Tendenz zum Frömmlerischen und Kitschigen, sondern aus der Kenntnis der ganzen Fragwürdigkeit und Abgründigkeit des Menschen.

Autobiographisch getönt ist der Doppelroman "Das Schweißtuch der Veronika". Band 1 "Der römische Brunnen" (1928), in den viel von der deutschen Rom- und Italienbegeisterung eingegangen ist. Er erzählt die Konversionsgeschichte des deutschen Mädchens Veronika, das in Rom unter den Einflüssen des antik-heidnischen, des christlichen und es modern-neuheidnischen Geistes heranwächst. Der zweite Band, "Der Kranz der Engel" (1946), behandelt die qualvolle Liebe zwischen Veronika und dem jungen Dichter Enzio, dessen neuheidnisch-völkischer Nationalismus sich unter dem Eindruck des ersten Weltkrieges weiter radikalisiert hat. Ihr Seelenheil aufs Spiel setzend, alles der Gnade Gottes anvertrauend, geht Veronika mit Enzio die Liebesverbindung ein. Da die Autorin stark mit symbolischen Bezügen arbeitet, darf man dies auch als einen Hinweis darauf verstehen, daß für le Fort im Nachkriegsdeutschland eine innere Aussöhnung der Deutschen nur im Zeichen der Liebe möglich zu sein schien.

Schon vor Anbruch des Dritten Reiches zeichnete sich ab, daß le Fort mit dem NS-Regime kaum Übereinstimmung finden würde. 1929 empörte sie sich über den Kampfruf "Juda verrecke!", sie wollte nun mit dem legendenhaften Buch "Der Papst aus dem Ghetto" (1930) versuchen, "den Juden ein gutes Wort zu sagen". Ihr bekanntestes Werk, die Novelle "Die Letzte am Schafott" (1931), in der Französischen Revolution spielend, konnte als Absage an alle totalitären Ideologien und Bewegungen gelesen werden. Diese Novelle wurde Vorlage für ein Filmdrehbuch von Bernanos und eine Oper von Poulenc, nicht zuletzt wegen des zentralen Motivs der Todesangst (und ihrer Überwindung).

Die tiefe Liebe der Dichterin zu Deutschland kam in den "Hymnen an Deutschland" (1932) zum Ausdruck, an denen sie seit 1919 gearbeitet hatte. Le Fort war fasziniert von der Idee des mittelalterlichen Reiches; sie sah nun – unter Verkennung der Zeittendenzen – eine Verwirklichungsmöglichkeit für eine christliche Friedensordnung, getragen vom "Herzvolk des Erdteils", den Deutschen.

Gertrud von le Fort emigrierte nicht, sie wollte ausharren bei ihres Volkes "Schuld und Qual". Kein Zufluchtsort, keine Annehmlichkeit hätte sie über die Not ihres Volkes hinwegtrösten können: "Mir bräche doch in Scherben / Des vollen Bechers Prunkgerät: / Ich müßte dennoch, dennoch sterben, / Wenn Deutschland untergeht!"

Zerrissenheit, Elend, Leid stellte sie in dem Roman "Die Magdeburgische Hochzeit" (1938) dar: der Untergang Magdeburgs als Folge der konfessionell-politischen Spaltung Deutschlands im 30jährigen Krieg. Das brennende Magdeburg, fast eine prophetische Vorausschau auf den Untergang deutscher Städte im Bombensturm des Zweiten Weltkrieges.

Für diese und andere dichterischen Veröffentlichungen im Dritten Reich wählte le Fort die historische Einkleidung: "Ich habe das Historische nie als eine Flucht aus der eigenen Zeit empfunden, sondern als einen Abstand, von dem aus man die eigene Zeit schärfer erkennt." 1942 weigerte sie sich, ein Gedicht auf den Geburtstag des Führers zu schreiben. 1943 verfaßte sie eine besonders brisante historische Novelle: "Die Consolata". Hier behandelte sie das furchtbare Ende eines mittelalterlichen oberitalienischen Tyrannen, wobei sie Profan- und Heilsgeschichte zu parallelisieren versuchte. Das Manuskript der 1947 erschienenen Novelle vertraute sie einem Bekannten zur sicheren Aufbewahrung an. Sie wußte, daß sie von den NS-Machthabern nur geduldet wurde; bereits 1934 war sie wegen ihres Essaybandes "Die ewige Frau" von nationalsozialistischen Rezensenten übel attackiert worden.

Nach 1945 versagte le Fort sich einer klischeehaften, antideutschen Vergangenheitsbewältigung. Exemplarisch hierfür ist die Erzählung "Das fremde Kind" (1961). Ein SS-Mann aus Idealismus und Patriotismus, den Ausweg aus Dekadenz und Kulturverfall suchend, wird schuldig, weil er zu den Greueltaten seiner Kameraden schweigt und so in das Mordgeschehen verstrickt wird.

Mit der Teilung Deutschlands fand sich die Dichterin nie ab, wie ein Gedicht über die Berliner Mauer zeigt: "Es braucht keinen einzigen Hammerschlag,-/Mein Herz bricht hindurch, so oft es mag!" 1954 stellte le Fort sich in der Erzählung "am Tor des Himmels" der Konfrontation von Gottesglauben und moderner Naturwissenschaft; die Motivähnlichkeit zu Brechts Galilei-Drama fällt auf.

Gertrud von le Fort strahlte eine vergeistigte Mütterlichkeit aus. Sie starb 1971 hochbetagt in Oberstdorf. Ihre Werke wurden in 15 Sprachen übersetzt; die Autorin erhielt zahlreiche Preise und Auszeichnungen, wenngleich ihr der Nobelpreis versagt blieb (1949: Vorschlag Hermann Hesses). Die wissenschaftliche Beschäftigung mit ihrem Opus hat sich stärker ins Ausland verlagert. Als Rückwirkung sind aber Versuche deutscher Freunde der modernen christlichen Literatur zu verzeichnen, die das Werk der Dichterin wieder stärker ins Bewußtsein der literarischen Öffentlichkeit rücken möchten. In der heutigen Sinnkrise unserer Nation sollte dabei der Hinweis der Dichterin auf "die beiden großen, letztverpflichtenden Güter der Menschen, Religion und Vaterland", Beachtung finden.

 

In der Reihe "Vergessene Schriftsteller" erschienen bisher Beiträge von Baal Müller über Ernst Bertram (JF 7/99),Rudolf Borchardt (17/99) und Ludwig Klages (27/99), von Magdalena Gmehling über Ernst Wiechert (10/99), von Ulli Baumgarten über Edwin Erich Dwinger (23/99) sowie von Werner Olles über Elisabeth Langgässer (42/99), Werner Bergengruen (45/99), Reinhold Schneider (1/00) und Hans Henny Jahnn (100).


 
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