© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/00 04. Februar 2000

 
Die Rückkehr der Siebziger: David Bowie - der Popstar aus dem Weltenraum
Ufos auf Plattentellern
Moritz Schwarz

Vergangenes kommt wieder in Mode. Besonders beliebt, weil besonders bunt, die siebziger Jahre mit Mode, Musik und Marotten. Erfolgreich läuft seit Sommer im US-TV gar die erste Retro-Soap: "Die wilden Siebziger". Die üppigste Rocaille, die diese Ära hervorbrachte, ist zweifellos der Glamrock, jene Orgie von Flitter, Glitter, Heiterkeit, deren Königin der Nacht David Bowie war und dessen Glamrock-Ikone Ziggy vor knapp dreißig Jahren das Flimmerlicht der Disco-Welt erblickte.

Als der Kleine David Jones, alias David Bowie 1947 in Southborough in der Grafschaft Kent zur Welt kam, war Oscar Wilde bereits seit fast fünfzig Jahren tot. Zeit für etwas Neues, muß sich der Mann im Mond gedacht haben, und schickte seine kleinen grünen Ufonauten los, um die Menschen der Erde mit einem neuen Pop-Erlöser zu beglücken. Vielleicht war es nicht tatsächlich so, aber wie ein russischer Dichter einmal sagte, was ist schon das trübe Licht der Wahrheit gegen die Glorie des Mythos'. Einigen wir uns darauf: Im nachhinein betrachtet, hätte es so sein können.

Bowie wuchs unauffällig und still in einer Kleinbürgerfamilie heran. Doch kaum erwachten in ihm die schlummernden Leidenschaften, Triebe und Selbstzweifel, brachen sie aus der gläsernen Umhüllung der Unschuld und schlugen in dem schüchternen und introvertierten Jungen ihre Arabesken. Nach außen schmächtig und zerbrechlich, wogte in seinem Inneren jedoch eine kindliche Psyche, überwältigt von der Übermacht komplexer, subtiler, narzistischer Leidenschaften. Im Gefühl der menschlichen Schwäche und Verletzlichkeit, flüchtete er sich in die wilden Träume seiner Wünsche: Besonders zu sein. Nicht stark und gefürchtet, sondern abgelöst und bewundert. So beschloß er, Übermensch, Superheld, Gott seiner Zeit zu werden, und das hieß damals: Pop-Star!

Er begann in seiner selbstverliebten Naivität einfach das Nächstliegende: Kaufte sich ein Saxophon und tauchte ein in die Szenewelt.

Bowie hatte aber durchaus auch ernsthafte Interessen: Er zeichnete, las, beschäftigte sich mit Kunst, Architektur, Geschichte, Religion. Verfaßte Songs über Andy Warhol und Jean Genet. Und er wollte mit seiner Show nicht nur alle anderen schlagen, sondern auch, wie er das in von der Warhol-Factory gelernt hatte, Pop-Art machen. Doch auch wenn er sich für die Kunst ehrlich interessierte, so war sie ihm doch vor allen Dingen die Fortsetzung des Rock mit anderen Mitteln. Und nun fand Bowie dafür auch eine neue und seinen Narzismus unverstellt zum Ausdruck bringende Form: Er erfand die Figur des Ziggy Stardust. Damit begann eine kurze, aber völlig neue Phase der Rockmusik: der Glamrock.

Während andere Bands hauptsächlich mit "Baby I love you" beschäftigt waren, streute Bowie immer wieder Sci-Fi-Songs in seine Platten ein. Denn in der Science Fiction fanden sich für ihn Exklusivität, Exotik und Weltüberlegenheit zusammen. Im Außerirdischen fand er den überfeinerten, überlegenen Dandy wieder – der das All bereist, seine Wunder bestaunt und ansonsten narzistisch mit der dekadenten Sublimität seiner eigenen Existenz beschäftigt ist. Dieses zarte Überwesen war seine Vision von einem Übermenschen, der alle Unzulänglichkeiten abgelegt hatte.

Mit Ziggy Stardust hatte er solch eine außerirdischen Kreatur geschaffen. Fortan trat Bowie nicht einfach als David Bowie auf die Bühne, sondern als Ziggy selbst. Und statt einfach einen Song nach dem anderen abzuspulen, zog er eine bizzare, bunte Science-Fiction-Show ab, die die Geschichte vom Aufstieg und Fall des Ziggy Stardust und seiner Kameraden, der "Spiders from Mars" erzählte. Die einzelnen Songs erzählten die verschiedenen Kapitel dieses kosmischen Epos vom Ende, Untergang und der Erlösung der Erde.

In bunten, enganliegenden Phantasie-Anzügen mit Lackleder und Federboa, in hüfthohen Stiefeln, das bleiche abgezehrte Gesicht exotisch geschminkt, bizzar frisiert, mit entrücktem Blick und völlig in seine Androgynität versunken, mutierte Bowie zu seiner eigenen Kunstfigur. Die Ziggy-Show war ein nie gesehenes Bühnenereignis, Beethoven dröhnte zur Eröffnung, bevor Ziggy auf der Bühne landete: Damit begann ein Rausch an Glitzer, Glamour und Tempo. Und trotz der Science-Fiction-Pose schimmerte etwas Altmodisches durch: das hemmungslose, selbstverliebte Dandytum eines Oscar Wilde. Bowie machte die Show zu einer kultischen Feier und Ziggy zum Hohenpriester.

Die Kritiker überschlugen sich am nächsten Tag: "Der größte Entertainer Englands!" Ein Journalist gab die Zustände während des Konzerts so wieder: "Sie schrien. Sie kreischten. Sie tanzten auf den Sitzen und bettelten um mehr!" Schließlich wurde auch Salvador Dali im Publikum gesichtet. Bowie hatte den Dreh gefunden und sein verspieltes Wesen einfach nach außen gestülpt: Eine außerirdische Superkreatur kommt auf die Erde und wird dort zum Rock’n’Roll-Messias. "The Rise and Fall of Ziggy Stardust and the Spiders from Mars" wurde zum meistdiskutierten Musikereignis seit Woodstock, und Bowie damit zum Gott des Glamrock. Eine von Bowie geplante Bühnen- sowie TV-Fassung kam zwar nie zustande, aber niemand wäre beispielsweise auf die Idee gekommen, die Rockoper "Tommy" von The Who als Musical oder Film zu inszenieren, hätte Bowie nicht zuvor bewiesen, daß es ein Publikum für intelligente Rockmusik gab. Mit Ziggy und dem Wirbel darum erweiterte Bowie im Alleingang die Grenzen des Rock’n’Roll und und erklärte den Rock zur Kunst.

Nun hatte Bowie seinen Erfolg, er war die Gottheit des Glamour. Doch wie bei einem Rausch üblich, war bald alles wieder vorbei. Bowie selbst verlor, einmal zu galaktischem Ruhm gekommen, schnell das Interesse an der Masche. Außerdem überstiegen die Ausgaben für seinen Star-Ruhm tatsächlich noch seine Einnahmen. Niemand hätte das damals für möglich gehalten – außer der Steuerfahndung. Und so mußte sich Bowie auf dem Höhepunkt seines Ruhmes als Steuerflüchtling außer Landes retten. So bleiben Glamrock und Bombast-Welle in der Erinnerung zurück als bizarre und zuckersüße Episode einer hyperventilierenden Jugendkultur und eines selbstverliebten Rockstars. Und etwas von seinem alten Minderwertigkeitskomplex scheint immer noch durchzuschimmern, wenn Bowie heute, mit seiner zweiten Ehefrau Iman, äthiopische Prinzessin und Top Model, Hand in Hand über die Straße geht, wie kleine Leute mit ihren großen Hunden.


 
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