© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    07/00 11. Februar 2000

 
Belgien: Das skandalerprobte Königreich ist Vorreiter bei den EU-Sanktionen
Mit Ski-Boykott gegen Haider
Anneke Nagtegaal

Als am 25. Januar um acht Uhr der belgische Staatssender VRT das mögliche Zusammengehen von ÖVP und FPÖ meldete, haben die wenigsten hierzulande den kommenden Sturm vorausgesehen. Erst einen Tag später brach der Sturm der Entrüstung los, als sich die – meist sozialistischen – Staatschefs der Europäischen Union und Israels auf der Internationalen Holocaust-Konferenz in Stockholm trafen.

Am 27. Januar, erschienen die belgischen Grünen mit einem gelben Judenstern im Brüsseler National-Parlament. Sie fühlten sich von dem demokratischen Rechtsruck in Österreich besonders betroffen und waren sichtlich besorgt. Diese maßlose Bagatellisierung der Opfer des Nationalsozialismus zu benutzen, um einen demokratischen, für die Grünen aber unakzeptablen Wahlausgang zu bekämpfen, ist allerdings nicht verwunderlich. Schon seit Jahren wurden die oft idealistisch motivierten Wähler und Abgeordneten der auf ersten Blick sympatischen Partei am Nasenring herumgeführt durch Leute wie Mieke Vogels oder Jos Ghysels, die ihre politischen Wurzeln in der "Revolutionaire Arbeiders Liga" und der "Socialistische Arbeiders Partij" haben. Diese ganz spezifische Form von Antifaschismus und Antirassismus ist also nicht eine belgische, flämische, wallonische oder Brüsseler Variante des Rinderwahnsinns, sondern eine Fortsetung der alten linksdogmatischen Politik mit anderen Mitteln. Daß anschließend fast alle anderen Parlamentsparteien die Überreaktion der Grünen unterstützen, hat nichts mit ehrlich gemeinter Überzeugung zu tun, sondern ist nur zu verstehen im Rahmen des "totalen Krieges" gegen den Vlaams Blok, der nicht nur "rechts" steht, sondern gleichzeitig auch die weitere Existenz Belgiens in Frage stellt.

Dabei hätte die belgische Regierung genug im eigenen Land zu tun: Ein vor Jahren erschossener Staatsminister blieb ein ungeklärter Mordfall im Rahmen der Parti Socialiste, genauso ist es im Fall des ermordeten Veterinärarztes Annoppen. Bestechung bei Hubschrauberankäufen, pädophile Skandale und Dioxinkrise. Surreal wirkt auch die Staatsstruktur: Eine föderale Regierung von sechs Parteien, teils flämisch, teils wallonisch, teils mit Brüsseler Hintergrund, drei Gemeinschaftsregierungen (flämisch/wallonisch/deutsch), drei Regionalregierungen (Flandern/Brüssel/Wallonien). Es gibt zehn Provinzen und 589 Gemeinden, die alle eine eigene Polizei haben. Der Reformbedarf erzeugte neue politische Kräfte: "Entweder schafft man den Sprung zur Konföderation – falls sich dafür Partner anbieten, sonst wird Flandern ein Mitgliedstaat der EU werden", so Manu Ruys, ehemaliger Topjournalist der flämischen Zeitung De Standaard in seinem Buch "Over Identiteit".

Kein Wunder also, daß Jörg Haider als Schreckgespenst gegen Veränderung gerade recht kommt. Der erfolgreiche Populist wird als ein rechtsextremer Wetterhahn dargestellt, der oft verbal ausrutscht und sich nachher unglaubwürdig entschuldigt. Durch den FPÖ-Erfolg und deren jetzt anerkannte Koalitionsfähigkeit spüren vor allem die flämischen Parteien den "heißen Atem des Vlaams Bloks" so Miet Smet (Christdemokratin und EU-Parlamentarierin) in der Fernsehdebatte "De Zevende Dag" am vergangenen Sonntag. Ihr Kollege Luckas van der Taelen (Grüner EU-Parlamentarier) nannte es sofort "den stinkenden Atem", was dem Publikum im Studio nicht gefiel. Nur der liberale Ward Beisen plädierte für eine pragmatische Vorgehensweise gegen den Vlaams Blok, durch eine effiziente Bekämpfung der Kriminalität, durch eine reformierte und schlankere Verwaltung. "Die demokratischen Politiker", so Beysen, sollten aufhören mit dem "Ohren taub, Augen zu" und ein deutliches Signal zur Lösung der anstehenden Probleme geben, "nicht morgen, sondern heute". Sofort warf man ihm vor, er sei in der falschen Partei. Der vierte am Tisch, Vlaams Blok-Chef Franck Van Hecke, reagierte gefaßt mit "Welkom" auf Beysen, worauf alle, inklusive Beysen, darauf hinwiesen, daß sie, im Unterschied zu den Schwesterparteien in Österreich, keine Koalition, egal auf welcher Ebene, mit dem Vlaams Blok eingehen würden.

Warum? Im Gegensatz zur FPÖ definierte sich der Vlaams Blok selbst als rechts und (flämisch-)nationalistisch und ist nur an einer Koalition interessiert: an einer letzten belgischen Zentral-Regierung. Dies erklärt die Angst vor einem Vlaams Blok-Sieg bei den kommenen Kommunalwahlen am 8. Oktober. Und es erklärt , warum der liberale, francophone Außenminister Louis Michel – wenig erfolgreich – ein Skifahrverbot in Österreich für belgische Schulkinder fordert. Besonders pikant: 1989 war der flämisch-christdemokratische Premier Gaston Geens zu Gast bei Jörg Haider. Sein Kultusminister war damals Patrick Dewael, der heutige Ministerpräsident. Der war Anfang Februar noch privat zum Skiurlaub in Österreich, jetzt will auch er "dem Bürger" davon abraten.

Einen Sieg des Vlaams Blok würde das Königreich sicher in eine tiefe Krise stürzen, vielleicht sein Ende bedeuten, und den ehemaligen österreichischen Niederlanden – Flandern – die bislang nie erreichte dauerhafte Selbständigkeit bringen.


 
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