© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    07/00 11. Februar 2000

 
Megafusion I: Über den Veba/Viag-Zusammenschluß entscheidet die EU-Kommission
Der Kampf der Stromriesen beginnt
Rüdiger Ruhnau

Die Düsseldorfer Veba und die Münchner Viag wollen zum drittgrößten deutschen Industriekonzern fusionieren, der dann mit einem Umsatz von 152 Milliaren Mark und 220.000 Mitarbeitern in der Rangfolge nach DaimlerChrysler und VW rangiert. Ziel der Übernahme ist die Erlangung einer marktstarken Position. Wenigstens in Europa möchte man zu den führenden Anbietern gehören. Dazu bestehen auf dem Strommarkt beste Aussichten. Mit der Verschmelzung werden die beiden zugehörigen Energieversorgungsunternehmen Preußen Elektra und Bayernwerk zur gemeinsamen Gesellschaft Veba-Viag Energie AG zusammengeführt. Es entsteht ein Stromerzeuger mit geographisch günstig gelegenen Kraftwerken nebst strategisch ausgerichtetem Hochspannungsnetz, der für eine Expansion in neue Wachstumsmärkte gute Voraussetzungen bietet.

Am Strommarkt in Deutschland verdrängt Veba-Viag den Marktführer RWE vom ersten Platz und stößt selbst europaweit auf den dritten Rang vor. Eine Klippe muß allerdings noch überwunden werden: Das Bundeskartellamt wollte die Fusion nur unter der Bedingung genehmigen, daß Viag und Veba ihre Querverflechtungen zu dem mitteldeutschen Braunkohlestromversorger Veag stark reduzieren. Das wäre dem US-amerikanischen Energiekonzern Southern Company, Atlanta, gerade recht gewesen. Dieser möchte nicht nur Veag, sondern auch den Berliner Stromversorger Bewag mehrheitlich übernehmen. Am vergangenen Wochenende verkündete nun die EU-Kommission, sie wolle die Fusion wegen "ernsthafter Bedenken" selbst prüfen. Die Wettbewerbshüter begründeten dies mit der starken Position der beiden Unternehmen bei der Elektrizitätserzeugung und -verteilung sowie auf einigen Chemiemärkten. Der Antrag des Bundeskartellamtes, den Zusammenschluß selbst prüfen zu dürfen, wurde damit eine Absage erteilt.

Seit der Europäischen Richtlinie für den Elektrizitätsbinnenmarkt von 1996 werden die bisher in Europa geltenden Monopolstrukturen aufgebrochen, weil nationale Strommärkte für ausländische Energieversorger geöffnet werden müssen. Nur Frankreich läßt sich nicht in das europäische Korsett pressen. Während Deutschland der Marktöffnung hundertprozentig zustimmte, lehnten französischer Senat und Nationalversammlung die Stromrichtlinie ab. Die Franzosen benutzen demgegenüber jede sich bietende Gelegenheit, mit ihrem preiswerten Atomstrom – etwa aus dem Kernkraftwerk Cattenom – auf europäischen Märkten Fuß zu fassen. Gelungen ist es ihnen in Baden-Württemberg. Dort hat das Land seinen Anteil von 25,01 Prozent an der Energie Baden-Württemberg AG (EnBW) für 1,7 Milliarden Mark an den französischen Staatskonzern Electricité verkauft, dem größten Stromkonzern Europas.

Auch die Angelegenheit mit dem Ex-DDR-Strommonopolisten Veag hat noch einen Haken. Seit dem Beginn des Wettbewerbs auf dem Strommarkt kann die Veag mit den sinkenden Strompreisen anderer Anbieter nicht mehr mithalten. Nach der Wende mußte sie ihre maroden Kraftwerke mit so hohen Kosten modernisieren, daß jetzt die Sicherheit der 6.000 Arbeitsplätze gefährdet ist. Wirtschaftsminister Müller drohte schon den westdeutschen Eigentümern der Veag (u.a. RWE, Veba, Viag), den Verkauf rückgängig zu machen, falls sie die Rettung der mitteldeutschen Braunkohle weiter verzögern sollten.

In der Fusionsstrategie steht die Shareholdervalue-Idee, das heißt die Orientierung am Aktionärsinteresse, im Vordergrund. Durch die Konzentration auf Kerngeschäftsfelder werden größere Synergieeffekte erreicht, womit Wachstumskurs und Marktrendite konform gehen. Aufgrund der Verschmelzung rechnet der neue Konzern mit Kostensynergien von jährlich 1,5 Milliarden Mark. Insbesondere der Chemiebereich erhöht die Innovationskraft des Unternehmens und damit sind wir beim zweiten Standbein von Veba-Viag.

Mit der Zusammenführung der Chemieaktivitäten beider Gesellschaften entsteht die weltweit größte Spezialchemie-Gruppe, die bei zahlreichen Produkten globaler Marktführer ist. Zu den Traditionsfirmen der Chemie-Industrie, die künftig unter einem gemeinsamen Dach handeln werden, zählen die SKW Trostberg AG in Oberbayern und die TH. Goldschmidt AG in Essen, beides Töchter der Viag.

Die Viag wurde 1923 als Staatsunternehmen gegründet ("Vereinigte Industrie-Unternehmen AG"), um in der Holding die industriellen Beteiligungen des Deutschen Reiches zusammenzufassen. Trotz späterer Privatisierung hält der Freistaat Bayern noch heute 15,1 Prozent des Grundkapitals. Die Abkürzung "SKW" steht für "Süddeutsche Kalkstickstoff-Werke". Kalkstickstoff war das erste technische Produkt, in dem der Luftstickstoff in den gebundenen Zustand überführt werden konnte. In der SKW-Gruppe sind zahlreiche Firmen in vielen Ländern tätig, u.a. produziert man Bauchemikalien, Polyurethanstabilisatoren, Metallchemikalien für die Roheisenentschwefelung, Nitrite und Waschmittelvorprodukte.

Die Th. Goldschmitdt AG hatte im Bereich der Silikone und Tenside Erfolge zu verzeichnen. Mit einem Umsatz von 1,5 Milliarden Mark und 5.600 Beschäftigten ging das Essener Chemieunternehmen – nach jahrelangem Streit der Erbfamilie – 1997 in den Münchner Viag-Konzern über. Die Neustrukturierung des Kerngeschäftes Spezialchemie, die 1998 mit der Zusammenführung von Degussa-Hüls begann (JF 44/99), will Veba-Viag zügig abschließen.

Im Hinblick auf ihre historischen Wurzeln war die größere Veba AG schon immer der Wunschpartner für Viag. 1929 als Vereinigte Elektrizitäts- und Bergwerks-AG gegründet, erfolgte bis 1987 die restlose Privatisierung. Als Hauptaktionär ragt die Münchner Allianz mit 11,5 Prozent des Aktienkapitals hervor. Die übrigen Aktien sind breit gestreut. Zweitstärkster Umsatzträger ist das Tochterunternehmen Veba Öl AG in Gelsenkirchen, ein vertikal integriertes Mineralölunternehmen. Das Geschäft umfaßt die weltweite Erdölsuche und Erdölförderung, die Mineralölverarbeitung und den Vertrieb über das zu 99 Prozent im Besitz befindliche Aral-Tankstellennetz. Damit ist die Veba als größter deutscher Öl- und Energiekonzern ein Gegengewicht zu den internationalen Mineralölkonzernen.

Die Verschmelzung von Veba und Viag wird nicht so teuer werden, man rechnet mit einer Milliarde Mark Transaktionskosten. Verlierer werden die Beschäftigten sein, denn 2.500 Arbeitsplätze sollen eingespart werden. Auf außerordentlichen Hauptversammlungen beider Konzerne – Veba: 10. Februar, Viag: 14. Februar 2000 – sollen die Aktionäre ihre Zustimmung erteilen.


 
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