© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    07/00 11. Februar 2000

 
Pankraz,
Affenzucker und die Show namens "Herzog"

Ex-Bundespräsident Herzog wird Talkmaster, bekommt eine eigene Abendshow. Nicht etwa, weil er in der Vergangenheit als gewiefter Showstar und Tele-Befrager hervorgetreten wäre, der hohe Einschaltquoten garantiert, sondern einfach, "weil ihm das zusteht", wie aus dem Bayerischen Rundfunk verlautet. Herzog habe sich den Posten durch den erfolgreichen Verlauf seiner bisherigen justiziellen und politischen Karriere "redlich verdient". Die Auszeichnung träfe keinen Verdienteren und Redlicheren.

Verfassungsrichter – Bundespräsident – Talkmaster: das ist die moderne Berufslaufbahn par excellence, mit der Talkshow als Höhepunkt und krönendem Abschluß. Hatte sich in früheren Zeiten einer ums Vaterland verdient gemacht, so wurde er mit Rittergütern und Latifundien belohnt und mit einem lebenslangen Sitz im Ältestenrat. Heute ist mit Rittergütern kaum noch Geld und überhaupt kein Staat mehr zu machen, und auf Ältestenräte hört niemand mehr. Ehemalige Minister, Kanzler und Präsidenten drängen deshalb mit Macht "in die Medien", und was haben die Medien Illustreres zu vergeben als Talkshows? Nichts. Die eigene Talkshow ist zum absoluten Sehnsuchtshorizont sämtlicher Edelruheständler mit gesteigerter Lebenserwartung geworden.

Keiner der Ehrentalkmaster hat offenbar Angst, daß er durch sein neues Amt in schiefe Beleuchtung geraten könnte, in einem Atemzug genannt werden könnte mit Brüllaffen und Exhibitionisten, die Auskunft über Bettnässen und sinistre Abenteuer im Stadtpark geben. Jeder glaubt allem Anschein nach, daß mit seinem Auftritt eine gänzlich neue, grundseriöse und brilliante Fernsehära beginne, die Ära behaglicher und gleichzeitig weltbewegender Kamingespräche, Fortsetzung hoher und höchster Politik mit anderen Mitteln. Werch ein Illtum!

Alles ist doch längst ausprobiert, es gab Ehrentalkshows von Ex-Bundeskanzler Schmidt, Ex-Ministerpräsident Felipe Gonzales, Ex-Großdissident Alexander Solschenizyn und und und ... Stets kam heraus, daß diese Shows vollkommen langweilig waren, und zwar nicht nur für zuschauende "Kids" zwischen vierzehn und neunundvierzig, sondern gerade auch für Überfünfzigjährige der höheren Geistesklassen mit ausgeprägtem politischem Interesse. Die inhärenten Gesetze des Genres forderten ihren Preis.

Kamingespräche voll bemühter Weisheit, die im Fernsehen übertragen werden, sind keine mehr, auch der gutwilligste Zuschauer siedelt sie automatisch in einem Wallace-Krimi an und fragt sich bald ungeduldig, wann denn endlich die erste Leiche vor der Fußbank der Talkenden liegt. In einigen Fällen versuchte die Regie, den unbefriedigenden Talk mit einigen müden Gags aufzupeppen, mit Überraschungsgästen oder Bildern aus der aktiven Zeit des "Gastgebers", doch dieser geriet dadurch nur in peinliche Situationen. Er reagierte wie ein mürbes Abziehbild seines einstigen Glanzes und erzeugte Mitleid, bevor man abschaltete.

Roman Herzog wird es nicht anders ergehen. Es sei denn, er gäbe dem Affen Zucker, wie man in der Schauspielerbranche sagt, machte freche Witze über die heiligsten Güter, die er einst staatsmännisch repräsentiert hat, setzte sich grell in Szene, führte sich als unwürdiger Greis auf, kratzte gar an der Tünche der Political Correctness, mit einem Wort: zöge eine Show ab. So etwas wäre immerhin denkbar (wenn auch nicht vorstellbar) – aber es würde schnell abgestellt werden.

Die verdienten Politrentner kriegen ihre "Show" ja gerade, um all dieses nicht zu tun. Sie sollen einen Talk ohne Show abziehen, sie sollen den Unterhaltungswert minimieren, statt ihn zu optimieren, sollen gleichsam Pastor im Rotlichtmilieu spielen. Dergleichen geht nicht. Letztlich sind die prominenten "Gastgeber" nichts weiter als Feigenblätter des Mediums, zynischer Ausweis der Macher, daß man mitunter sehr wohl einen "sittlichen Auftrag" erfüllte, auch wenn dabei niemand zusieht.

Fernsehen und Politik sind eng miteinander verquickt, aber Pastoren haben in dieser Liaison nichts zu suchen. Nicht überparteiliche Weisheiten aus dem Kaminzimmer werden über den Bildschirm transportiert, sondern knallharte Geschäfts- und Machtansprüche, natürlich ideologisch verbrämt – und eben als Show inszeniert. Der der Politik innewohnende Showeffekt entfaltet sich im Fernsehen in fast schon obszöner Weise. Er überspült jedes Informationsbedürfnis, macht die Show zunehmend selbst zur einzigen oder wenigstens hauptsächlichen Information.

Politische Entscheidungen werden nicht mehr nur "gestylt", medial aufbereitet, sondern überhaupt erst ins Auge gefaßt und artikuliert, weil man sich davon einen medialen Effekt verspricht. Was nicht ins Medium paßt, kommt auch nicht auf die Agenda der Politik, wird – bestenfalls – dem Selbstlauf überlassen, öfter weggedrückt oder bewußt verleugnet. Und die Talkshow als Meßlatte ist immer dabei.

Machtchancen besitzt, könnte man in Anlehnung an Max Weber formulieren, wer sich in Talkshows auskäsen und in Szene setzen darf. Allerdings ist bei weitem nicht jeder, der sich dort auskäst und in Szene setzt, auch ein Mächtiger. Die allermeisten geben bloß ärmliche Statistenrollen. Ein wirklicher Talk-"Master" ist nur der, dem man zuhören und zusehen "muß", dem man partout nicht entgehen kann, welchen Kanal man auch einschaltet, welches Medium man auch benutzt und was für eine Figur er immer auch abgibt, welche Rolle er immer auch spielt.

Roman Herzog wird nicht zu jenen wirklichen Masters gehören. Seine Show namens "Herzog" ab April vom Bayerischen Rundfunk dürfte eher in der Gegend zwischen Statist und Feigenblatt ressortieren, und das wirft dann doch die Frage auf, ob das nicht ein Karriereknick (für uns alle) gewesen ist, der Schritt vom höchsten Repräsentanten des Staates zum Talkmaster.


 
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