© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/00 18. Februar 2000

 
Kolumne
Quarantäne
von Klaus Motschmann

Zu den wesentlichen Merkmalen politisch-aufgeklärten Bewußtseins gehört die Zustimmung zum Konsens aller vom sogenannten Verfassungsbogen erfaßten Parteien und gesellschaftlichen Verbände, d. h. konkret von der PDS bis zur CDU, daß es rechts von der CDU keine demokratisch legitimierte Partei oder politische Bewegung anderer Art geben dürfe. Damit wird eine beachtliche Minderheit unseres Volkes, die Rede ist durchgängig von etwa 15 Prozent, unter politisch gesellschaftliche Quarantäne gestellt und auf diese Weise vom Prozeß der politischen Urteils- und Willensbildung ausgeschlossen. Die Folgen sind bekannt und brauchen in dieser Zeitung nicht dargestellt zu werden.

Aber selbst wenn man diesen Standpunkt aus ideologischer Verblendung, politischer Naivität oder persönlichem Opportunismus akzeptiert, daß eine derartige Isolation im Interesse der "politischen und gesellschaftlichen Hygiene" notwendig ist, so sollten sich allmählich doch einige Fragen stellen, zumindest bei den Gebildeten unter den Verächtern konservativer Positionen. Nicht nach der Rechtsmäßigkeit im Sinne des Grundgesetzes, das auf diese Weise ja gerade geschützt werden soll, sondern nach der Zweckmäßigkeit im Sinne der eigenen politischen Überzeugung und damit der eigenen politischen Glaubwürdigkeit.

Nirgends ist auch nur ein bemerkenswerter Ansatz einer Strategie erkennbar, wie man auf Dauer mit Menschen umgeht, die außerhalb des "Verfassungsbogens" gehalten werden und erst recht nicht, wie man vor allem junge Menschen davor bewahrt, in die Isolation zu geraten. Die bloße Androhung bzw. auch praktizierte Abschreckung durch soziale Ächtung hat nach allen Erfahrungen der Geschichte allenfalls vorübergehende Erfolge. Sie hat noch nie ausgereicht, politische Herrschaft zu stabilisieren, geschweige denn dauerhaft zu legitimieren.

Man erinnere sich an die Hingabe namhafter Politiker und Publizisten, Schriftsteller und Theologen in den 70er und 80er Jahren, erklärte Verfassungsfeinde und rechtskräftig verurteilte Terroristen "auf den Boden des Grundgesetztes" zurückzuholen, das linksextremistische Spektrum nicht zu "kriminalisieren", die "unruhige Jugend" nicht in die Isolation zu treiben und mit ihr im "Dialog" zu bleiben. Die Stärke einer Demokratie erweise sich gerade darin, daß sie ihren Gegnern "argumentativ und nicht administrativ" begegne. Es seien "unsere Kinder", die wir "nicht loslassen" dürften.

Von dieser geradezu lyrischen Empfindsamkeit im Umgang mit "unseren Kindern" ist bei denen, die damals so redeten, nichts mehr zu spüren. Ein derart radikaler Glaubwürdigkeitsverlust sollte wirklich keine Konsequenzen für das Verhalten unserer Jugend haben?

 

Prof. Dr. Klaus Motschmann lehrte Politikwissenschaften an der Hochschule der Künste in Berlin


 
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