© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/00 18. Februar 2000

 
Regierungskoalition: ÖVP-Ehrenobmann Mock über die EU-Kampagne und Europas Zukunft
"Ich würde Programm zustimmen"
Jörg Fischer

Herr Dr. Mock, Sie unterstützten als ÖVP-Außenminister 1989 maßgeblich die Grenzöffnung Ungarns oder 1991 die Unabhängigkeit Sloweniens und Kroatiens, und waren, wie Ihre Partei, ein Vorkämpfer für Europa. Seit zwei Wochen wird Ihre Partei auch von Konservativen wegen der schwarz-blauen Koalition europaweit geächtet. Ist das gerecht?

Mock: Daß gerade in dieser wichtigen Phase der europäischen Integration viel Porzellan zerschlagen wurde, ist keine Frage. Viele fragen uns auch aus anderen Ländern, ob man mit uns deshalb so umgeht, weil wir zur Gruppe der mittleren und kleinen Länder gehören. Hier ist sehr viel Vertrauensverlust festzustellen. Aber statt lange darüber zu lamentieren, muß man versuchen, die Dinge auszuräumen und Europa wieder gemeinsam weiterzuentwickeln. Besonders gravierend ist aber, daß Dinge behauptet werden, die einfach so nicht richtig sind. Es wird beispielsweise die Teilnahme der FPÖ an der Bundesregierung als ein quasi revolutionärer Akt, der nicht akzeptabel ist, dargestellt. Das ist nicht richtig. Die erste Vorgängerpartei der Freiheitlichen, der Verband der Unabhängigen, wurde mit Unterstützung der Sozialisten gegründet, um der Volkspartei durch eine zweite, nichtsozialistische Partei, die absolute Mehrheit wegzunehmen. 1970 regierte Kreisky in einer stillen Koalition mit Friedrich Peter von der FPÖ, einem ehemaligen SS-Offizier. 1983 haben die Sozialisten ihre absolute Mehrheit verloren. Daraufhin wurde eine Koalition mit den Freiheitlichen gebildet, bis 1987. Kein Mensch hat damals kritisiert, daß die SPÖ mit der FPÖ zusamenarbeitet. Heute ist es umgekehrt, die ÖVP koaliert und nun wird es als ein revolutionärer Akt dargestellt. Da muß doch Aufklärungsarbeit geleistet werden. Entweder António Guterres hat das nicht gewußt – da sieht man, wie schlampig das ganze vorbereitet wurde – oder er hat es gewußt und die Europäische Öffentlichkeit aus sozialistischem Parteiinteresse getäuscht. So könnte man viele solche Dinge aufzählen. Eins ist sicher, es ist einer der stärksten Rückschläge, den die ganze europäische Idee in den letzten Jahren und Jahrzehnten erfahren hat.

Beruht die EU-Kampagne auf Informationsdefiziten?

Mock: Ich weiß nicht, ob jedermann die gleichen Informationen hat. Guterres wird immer nur als EU-Ratspräsident betitelt. Das stimmt, aber er ist auch der Vorsitzende der Sozialistischen Internationale. Er hat gesagt, das sind keine Entscheidungen der EU oder ihrer Organe. Bedenken Sie, Österreich hat mit mehr als 66 Prozent dem EU-Beitritt zugestimmt. Viele Österreicher verstehen diese Behandlung nicht. Man hat auch nicht die Wahrheit gesagt, daß das eigentlich keine Entscheidung der EU ist, sondern die Entscheidung von 14 Staatschefs. Wenn Menschenrechte gravierend verletzt würden oder ähnliches, dann muß das laut EU-Vertrag Folgen haben. Aber, der Betroffene muß angehört werden, muß vorher informiert werden und muß die Möglichkeit der Stellungnahme haben. Österreich ist vorher nicht informiert worden, noch wurde seine Stimme angehört, die Sanktionsliste ist einfach beschlossen worden. Nicht von der EU, aber von den Regierungschefs.

Was halten Sie von den neuen Ministern, sind die alle "ministrabel"?

Mock: Grundsätzlich ja, soweit mir das bekannt ist. Aber Personen sind immer eine Geschmacksfrage. Die Sozialministerin, Frau Sickl von der FPÖ, hat sich bei ihrem ersten Auftritt in Portugal sehr korrekt verhalten.

Könnten Sie das Regierungsprogramm mittragen wenn Sie noch im Amt wären?

Mock: Eindeutig ja. Schüssel hat drei Monate intensiv mit der SPÖ verhandelt, das ist unbestritten, der Koalitionsvertrag war fertig. Doch er ist von der SPÖ hinters Licht geführt worden. Schüssel mußte handeln.

Also Sie meinen, die ÖVP ist von der SPÖ hinters Licht geführt worden?

Mock: Das ist überhaupt keine Frage.

SPÖ-Bundesgeschäftsführer Gusenbauer behauptet das Gegenteil, die ÖVP hätte nur Scheinverhandlungen geführt.

Mock: Ich respektiere Gusenbauer sehr, er ist ein seriöser Politiker, keine Frage. Aber er hat Unrecht. Wir wollten einen unabhängigen Experten als Finanzminister, die SPÖ den alten Finanzminister Edlinger durchsetzen, der Koalitionsvertrag war unterschriftsreif, die SPÖ hat letztlich nicht unterschrieben.

Wie wird die neue Koalition vier Jahre halten?

Mock: Jetzt ist die Phase der härtesten Belastung von außen her, aber das wird sich beruhigen, wenn sich zeigt, daß das Regierungsprogramm Punkt für Punkt eingehalten wird, wenn man sieht, daß wir zu unseren europäischen Verpflichtungen stehen.

Schüssel hat sich für die Erweiterung eingesetzt, Haider äußerte sich gegenteilig, ist das ein Knackpunkt der Koalition?

Mock: Es ist ein ganz beachtlicher Erfolg von Schüssel, die EU-Erweiterung im Koalitionsvertrag mit der FPÖ durchzusetzen. Die FPÖ hat Dingen zugestimmt, die sie bisher abgelehnt hat. Auch dem Euro hat sie zugestimmt, obwohl die FPÖ vor Jahren ein Volksbegehren gegen die neue Europäische Währung angezettelt hatte. Man kann auch wirklich nicht sagen, daß die FPÖ immer anti-europäisch war. Die haben nur ihren Weg zurück gefunden. Das muß ich fairerweise hinzufügen: Die Freiheitliche Partei war die erste, die vor allen anderen österreichischen Parteien in den 50er Jahren die Vollmitgliedschaft in der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gefordert hat. Anti-europäische Äußerungen waren einfach Populismus, jetzt gibt es ein klares Bekenntnis zum gemeinsamen Europa im Regierungsprogramm. Das ist schon eine beachtliche Leistung.

Wann kommt die EU-Erweiterung?

Mock: Ich habe nie eine Jahreszahl genannt. Es wird länger dauern, als wir es uns wünschen. Es muß eine beachtliche Leistung von der EU erbracht werden, sowohl finanziell als auch strukturell. Ich bin unter allen Umständen für die Erweiterung, werde das auch aktiv unterstützen. Und wo punktuelle Probleme sind, müssen wir Übergangsperioden finden. Wenn wir eine schwierige wirtschaftliche Situation haben, mit einem großen Defizit am Arbeitsmarkt, wird sich das länger hinziehen. Wenn das nicht der Fall ist, geht es rascher. Es geht, wenn der gute Wille vorhanden ist und es eine politische Reform in der EU gibt.

Speziell mit Tschechien und Slowenien bestehen Konfliktfelder in Eigentumsfragen. Wird die bisherige Linie fortgesetzt?

Mock: Ich glaube, summa summarum, daß sie fortgesetzt wird. Es hängt von der konkreten Situation ab. Ich habe damals den Kollegen geraten, jene Dinge, die zweifellos nicht mit dem Grundkatalog der Menschenrechte des Europarats übereinstimmen, rasch zu beseitigen. Auch was in den letzten Wochen passierte, diese generelle Hysterie, das ist schon ein bißchen eine Lehre: Wie rasch kann doch Porzellan zerschlagen werden, wie rasch können Hindernisse auftauchen, die man niemals für möglich gehalten hätte. Die Geschichte lehrt, aber sie findet offenbar keine Schüler.

 

Dr. Alois Mock, Mitglied der ÖVP, war Parteiobmann und langjähriger Außenminister unter SPÖ-Kanzlern. Heute ist er Ehrenobmann der ÖVP.


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