© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/00 18. Februar 2000


Indonesien: Das Inselreich wird von Religionsunruhen heimgesucht
Aufruf zum Heiligen Krieg
Elsa Klar

In diesem Jahr ist es erneut am Ende des Ramadan zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen Christen und Muslimen in Indonesien gekommen. Inzwischen haben die Ausschreitungen auf mehrere Inseln übergegriffen. Auch beliebte Urlaubsziele wie Lombok und Sulawesi, auf denen mehrheitlich Muslime wohnen, sind inzwischen wegen der Unruhen zu gefährlich geworden. Dutzende Urlauber sind bereits geflüchtet. Das Auswärtige Amt rät von einem Besuch in dieser Region ab. Auf den ostindonesischen Molukken-Inseln wurden Moscheen und Kirchen angezündet, Häuser und Geschäfte geplündert und niedergebrannt. Frauen wurden vergewaltigt. Mindestens 1.500 Menschen kamen dabei ums Leben. Je nach Quelle werden bis zu 4.000 Tote gemeldet. Auf den Molukken-Inseln leben 54 Prozent Muslime und 46 Prozent Christen. Durch Zuwanderung von Muslimen werden die Christen aber dort allmählich majorisiert.

Als Reaktion auf die Ausschreitungen riefen in der indonesischen Hauptstadt Jakarta zehntausende Muslime zum Heiligen Krieg auf. Dieser Aufruf erfolgt regelmäßig seit März vorigen Jahres, als bei einer Demonstration 10.000 Muslime den Christen den Heiligen Krieg ansagten. Der Parlamentspräsident Amien Rais forderte jetzt die Massen auf: "Toleranz ist absurd - massakriert die Christen." Ein Schiff mit muslimischen Kämpfern sei schon unterwegs zu den Molukken. Der indonesische Präsident Abdurrahman Wahid erklärte daraufhin, die indonesische Marine sei alarmiert worden, verdächtige Schiffe anzuhalten.

Bereits im Vorjahr sind zum Ende des Ramadan 105 Menschen auf der Molukken-Insel Ambon bei Unruhen ums Leben gekommen. Dabei wurden auch Kirchen und Moscheen angezündet. Ganze Wohnviertel brannten aus. Die Ausschreitungen galten damals schon als die schlimmsten Religionsunruhen in der indonesischen Geschichte. Sie entzündeten sich über einen Streit, den ein betrunkener Christ auslöste. Er hatte sich abfällig über den Islam geäußert. Bald waren ein evangelisches und ein muslimisches Wohnviertel in den Konflikt involviert. Am Ende half nur noch die Präsenz des indonesischen Militärs, um die Lage wieder zu normalisieren.

Die Insel galt vor einigen Jahren noch als Vorbild eines friedlichen Zusammenlebens von Christen und Muslimen. Auseinandersetzungen gibt es aber bereits seit längerem: In den letzten vier Jahren wurden über 400 Kirchen zerstört. Der Konflikt kulminierte am 22. November 1998. Damals brandschatzten Muslime aus Java sieben Kirchen in Jakarta und töteten 13 Christen, die von der Insel Ambon stammten.

Die alltägliche Situation der indonesischen Christen ist - abgesehen von den geschilderten blutigen Auseinandersetzungen - schwierig. Wie in vielen islamischen Ländern ist der Neubau von Kirchen untersagt, auch dann, wenn eine Kirchengemeinde ihr Gotteshaus durch einen Brandanschlag verloren hat. Als Arbeitnehmer werden Indonesier christlichen Glaubens diskriminiert. Sie werden nur ungern eingestellt. Diskriminierung im engsten Familienkreis erleben Konvertiten, die vom Islam zum Christentum übergetreten sind. Welches Ausmaß die Benachteiligung annimmt, ist jedoch regional unterschiedlich. Indonesien ist ein Archipel mit etwa 17.000 Inseln, der von etwa 400 verschiedenen ethnischen Gruppen bewohnt wird. Im gesamten Inselreich leben 80 Prozent Muslime, 15 Prozent Christen und die restlichen Einwohner bekennen sich zum Buddhismus, Hinduismus, zum Konfuzianismus oder zu autochthonen Religionen. Nur vordergründig handelt es sich bei den beschriebenen Ausschreitungen um Religionsunruhen. Es entladen sich dabei wohl vor allem soziale und ethnische Spannungen: 70 Prozent der heimischen Wirtschaft beherrschen Indonesier chinesischer Abstammung. Viele von ihnen sind christlichen Glaubens. Die Ökonomie Indonesiens hat in den letzten Jahrzehnten, gerade während des Suharto-Regimes stark gelitten. Durch Korruption und Vetternwirtschaft sind einige wenige reich geworden. Die Bevölkerung macht die wohlhabenden Chinesen für das Wohlstandsgefälle mit verantwortlich. Viele Muslime sahen die christliche Bevölkerung durch das Suharto-Regime zudem politisch bevorzugt und rechtfertigen nun so die Angriffe auf die Andersgläubigen. In der Tat haben es viele Christen während der Diktatur nicht nur zu Wohlstand, sondern auch zu politischem Einfluß gebracht.

Nicht nur das wirtschaftliche, sondern auch das politische Erbe Suhartos ist desolat: Es hat zwar in der letzten Zeit bereits Besserungen in der Presse- und Meinungsfreiheit gegeben, aber es gibt immer noch Defizite in der Rechtstaatlichkeit. Der evangelische Theologe Rainer Scheunemann, der in Indonesien lebt und dort aufgewachsen ist, macht tatsächlich "negative Entwicklungen unter der christlichen Bevölkerung, die zumindest einen Nährboden für einen wirtschaftlichen und sozialen Neid darstellen" aus. "Das Christsein wird oft individualistisch verengt. Obwohl viele Christen eine persönliche Beziehung zu Gott suchen, neigen viele dazu, die diakonischen, ethischen und sozial-politischen Folgen des Evangeliums zu ignorieren", schreibt Scheunemann in einem Aufsatz. Der Theologe hält es jedoch nicht für abwegig, daß bestimmte politische oder gesellschaftliche Kreise versuchen, durch eine Zuspitzung der Konflikte an Macht zu gewinnen. So wären da islamische Politiker und das Militär zu nennen. Beiden nützt die derzeitige Situation politisch. Die Armee konnte gerade im vorigen Jahr ihre innenpolitische Bedeutung demonstrieren, als sie die Lage auf den Molukken nach dem Fastenmonat Ramadan wieder normalisierte. Die islamischen Politiker nutzten die Situation, um die Christen als Brandstifter von Moscheen hinzustellen.


 
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