© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/00 18. Februar 2000

 
Polen: Neue jüdische Entschädigungsforderungen verunsichern unseren östlichen Nachbarn
Sieben Milliarden von Warschau
Irene Casparius

Juden müssen sich gegen diesen Wahnsinn wehren." Mit diesem harten Diktum reagierte der New Yorker Politikwissenschaftler Normann Finkelstein (siehe JF 6/00 und 7/00) auf die Pläne anglojüdischer Organisationen, nunmehr, nach den erfolgreichen Entschädigungskampagnen gegen die Schweiz und gegen deutsche Industrieunternehmen, den polnischen Staat unter Druck zu setzen. Würde man die "60 Milliarden Dollar für Immobilien ermordeter Juden" einfordern, so zeigte sich Finkelstein im Gespräch mit der Berliner Zeitung überzeugt, wäre dies der "wirtschaftliche Bankrott" Polens. Und die jetzt aufkommende Drohung, man werde Polens Eintritt in die EU blockieren, sollte Warschau nicht zahlungswillig sein, müsse zwangsläufig "neuen Haß" säen.

Finkelstein hatte diese Warnung kaum formuliert, da gewann die von ihm befürchtete Pression schon schärfere Konturen. Der New Yorker Anwalt Mel Urbach, der mit seinen Kollegen bereits die deutsche Industrie und die Bundesregierung in die Knie zwang, glaubt nun den nahen EU-Beitritt Polens im Sinne seiner Klientel ausmünzen zu können. Bisher hat sich das kommunistische wie das demokratische Polen beharrlich geweigert, jüdischen Rückgabe- und Entschädigungsforderungen nachzugeben.

Die Forderungen wären der wirtschaftliche Bankrott

Zwar wird auf jüdischen Druck hin im Warschauer Parlament seit Mitte der neunziger Jahre darüber diskutiert, unter welchen eng begrenzten Voraussetzungen solche Ansprüche anerkannt werden könnten. Doch ähnelte dies eher einer Alibi-Debatte, die zudem auf Zeit spielt. Ausweislich der immer noch skizzenhaften Entwürfe würden auch allenfalls die wenigen im Lande lebenden Juden von einer gesetzlichen Regelung profitieren, wie etwa die kleine Krakauer Gemeinde, die gegenüber der Stadtverwaltung seit 1996 rund 50 Gebäude und Grundstücke zurückverlangt. Hingegen gingen die heute überwiegend in den USA lebenden polnischen Juden und deren Nachfahren leer aus. Grund genug für ihren Anwalt Urban, dagegen auf internationaler Ebene Front zu machen.

Der erfahrene US-Anwalt weiß natürlich, daß der nahende polnische EU-Beitritt die juristische Position seiner Mandanten nicht verbessert. Soweit wie Urban unter anderem den Artikel 6 des Amsterdamer Vertrages von 1997 ins Feld führen könnte, der jedes EU-Mitglied auf die Respektierung der "Grundfreiheiten" und damit auf die rechtstaatliche Gewährung des Eigentums verpflichtet, müßte Polen nur auf das altbekannte Rückwirkungsverbot verweisen. Also darauf, daß vor 1997 und vor Polens EU-Beitritt begangene Eigentumsverletzungen juristisch irrelevant seien. Das gilt für die nationalsozialistischen – gesetzlichen wie faktischen – Enteignungen von deutschen Juden auf deutschem Staatsgebiet in jenen preußischen Ostprovinzen, die Polen heute für sich beansprucht, wie auch für die nach 1945 durchgesetzten kommunistischen Enteignungen in den annektierten deutschen Provinzen, wie auf dem Territorium Polens in den Grenzen vom 31. August 1939. Für nicht wenige Vertreter der EU-Kommission ergibt sich aus dieser Konstellation, daß Polen aus den Enteignungen kein ernstliches Beitrittshindernis erwachse. Der deutsche EU-Kommissar Günter Verheugen (SPD) meint darum auch, daß die "Vermögen von Holocaust-Opfern vor Gründung der EWG" (1957) enteignet worden seien und die EU sich schon deshalb gar nicht damit zu befassen brauche.

Das sieht Anwalt Urbach natürlich anders, obwohl sich auch in den USA die berüchtigte Waffe der "Sammelklage" soeben als stumpf erwies, da sich das von ihm angerufene Gericht in Chicago für unzuständig erklärt hat. Auf nichtjuristischer Ebene scheint Urbach aber ein erster Erfolg zu winken. Ihm ist es gelungen, einigen Abgeordneten im Europäischen Parlament seine Position zu vermitteln. Vor allem dem britischen Sozialisten Gary Titley, der offenbar bereits von der starken jüdischen Lobby in seinem Wahlkreis Manchester für die Problematik interessiert wurde.

Eigentumsrechte sind auch Menschenrechte

Ebenso deutet sich eine Allianz Urbachs mit dem polnischen Verein der Grundbesitzer an, der die Interessen der kommunistischen Enteignungsopfer vertritt. Und schließlich, so hat die JUNGE FREIHEIT auf Nachfrage bei dem deutschen Mitstreiter Urbachs erfahren, habe man auch nicht das geringste dagegen, daß sich die deutschen Vertriebenen in die Front gegen Warschau einreihen. Dies dürfte beim Bund der Vertriebenen auf fruchtbaren Boden fallen. Heißt es doch in der jüngsten Ausgabe des Deutschen Ostdienstes, noch in Unkenntnis der Urbach-Initiative, aber mit Blick auf Polens EU-Kandidatur, daß für Eigentumsregelungen in den Vertreibungsgebieten nunmehr "der europäische Weg Anlass zu verhaltenem Optimismus" biete.

So scheint sich die Drohkulisse langsam aufzubauen. Einen ersten Eindruck von dem Druckpotential, das sich bald in Richtung Warschau entladen dürfte, erhielt in der vorigen Woche Jan Truszczynski, der polnische Botschafter bei der EU. Urbach, Titley und andere EU-Parlamentarier hatten zu einem informellen Gespräch geladen, um ihm ihr Anliegen vorzutragen. Nicht ohne Sinn für Effekte ließ Urbach einige hochbetagte jüdische Mandanten auftreten, die sich als Opfer deutscher wie polnischer Enteignungen sehen. Beansprucht wurde die Rückgabe von Grundstücken, Bürogebäuden, Wohnblöcken und Fabrikgebäuden in Breslau, Lodz, Warschau und Krakau. Während der sichtlich beeindruckte polnische Botschafter glücklos nach entkräftenden Argumenten suchte, während das Tribunal der Labour-Abgeordneten ihm unumwunden damit drohte, Polens EU-Beitritt verhindern zu wollen, machte eine erste konkrete Forderung die Runde: Sieben Milliarden Dollar sollen es zunächst sein.

Titley hat inzwischen erklärt, Eigentumsrechte seien Menschenrechte. Unrecht müsse korrigiert werden. Die österreichische Abgeordnete Ursula Stenzel (ÖVP), Vorsitzende im Ausschuss des EU-Parlaments für die Beziehungen zu Polen, regte, mit Haider im Rücken vielleicht um moralischen Geländegewinn bemüht und im offenen Widerspruch zu der Einschätzung Verheugens, die Einberufung eines Runden Tisches an. Das entspricht den Wünschen Urbachs, der seine Brüsseler Basis gern verbreitern möchte.

Seine Bataillone formieren sich jedenfalls, und in den nächsten Wochen wird ein strategisch meisterhaft geplanter "Public Relations"-Feldzug starten. Man muß kein Prophet sein, um vorauszusehen, daß Polen vor der "Weltöffentlichkeit" bald klein beigeben wird. Nur einige pikante Begleiterscheinungen dürften bis dahin für Furore sorgen. Vor allem das Schicksal einer etwaigen Initiative der deutschen Vertriebenen. Und die Begründung dafür, daß der jüdische Bürger Peter Koppenheim für den Verlust seines Hauses am Breslauer Markt entschädigt wird, seine deutschen Nachbarn aber mit Sicherheit nicht.


 
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