© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    09/00 25. Februar 2000

 
CDU-Führungskrise: Es fehlt eine starke Integrationsfigur für die Union
Kopflos in die Kreisliga
Michael Wiesberg

Wie immer man auch zu Wolfgang Schäuble stehen mag: sein Rücktritt vom Fraktions- und Parteivorsitz hat offenbart, wie wenig Alternativen die Union im Grunde genommen bei der Besetzung der Spitzenpositionen der Partei anzubieten hat. Weder die derzeit hoch gehandelte Generalsekretärin Angela Merkel, noch der schleswig-holsteinische Spitzenkandidat Volker Rühe bringen das Format mit, die angeschlagene Union aus der derzeitigen Misere herauszuführen.

Bestimmte Kreise in der CDU scheint dies nicht allzu sehr zu berühren. Sie verfolgen in der derzeitigen Personaldebatte vor allem das Ziel, der Partei eine andere programmatische Richtung zu geben. Auffällig ist, daß ein Politiker wie Heiner Geißler, der bis zur Spendenaffäre innerhalb der Union keine Rolle mehr spielte, plötzlich wieder so etwas wie eine "Instanz" darstellt. Es ist derselbe Geißler, der im November 1998 die Haltung seiner Partei zur PDS "schizophren" nannte und diese dazu aufforderte, eine, wenn auch zeitlich befristete, Zusammenarbeit mit der PDS ins Auge zu fassen.

CSU-Generalsekretär Bernd Protzner attestierte Geißler daraufhin "politische Schwachsinnigkeit". Keine Frage: Friedman, Geißler und andere Exponenten des "linksliberalen Flügels" der Union wollen eine andere CDU. Sie sehen in einer Parteivorsitzenden Angela Merkel die Möglichkeit, wieder mehr Einfluß innerhalb der Union zu gewinnen. Daß dieser verstärkte Einfluß eine Verschiebung der Koordinaten nach links nach sich ziehen wird, versteht sich von selbst.

So abwegig ist es also nicht, wenn die CSU im Hinblick auf Merkel Bedenken anmeldet. Und vollends dubios wird es, wenn ein Politiker wie Heiner Geißer versichert, eine "Sozialdemokratisierung der CDU" sei nicht zu erwarten. Vielmehr müßte man, so Geißler, im Hinblick auf die Positionen der SPD zur NATO und zur sozialen Marktwirtschaft umgekehrt von einer "Christdemokratisierung der SPD" sprechen.

Daß nicht ungetrübte Verhältnis der CSU zu Angela Merkel dürfte auf den Kleinen Parteitag der CDU im Dezember letzten Jahres in Berlin zurückzuführen sein. Dort brachte Merkel zum Thema Ehe und Familie für die CDU einen Leitantrag durch, der die Christsozialen erheblich verschnupfte. Bekanntlich plädierte Merkel auf diesem Parteitag dafür, "wilde Ehen" und auch homosexuelle Partnerschaften zu akzeptieren. Dissonanzen zwischen der CSU und Angela Merkel gab es im übrigen bereits in der Zeit der Regierung Kohl. In ihrer Zeit als Frauen- und Jugendministerin lehnte Merkel zum Ärger der CSU alle Versuche ab, die auf eine Verschärfung des Jugendstrafrechtes hinausliefen. Und auch in der Abtreibungsfrage gibt es zwischen der CSU und Angela Merkel Unstimmigkeiten. Bezeichnete die CSU in den neunziger Jahren eine Abtreibung als "Tötung menschlichen Lebens", die möglichst auch durch Strafandrohung zu verhindern sei, setzte Merkel auf die Devise "Helfen statt strafen".

Wie auch immer die Entscheidung um den Parteivorsitz in der Union ausgehen wird: Keine der Personen, die zur Zeit favorisiert werden, ist in der Lage, innerhalb der Union für Aufbruchsstimmung zu sorgen. Weder Rühe noch Merkel haben das Charisma, um die Union aus dem derzeitigen Stimmungstief herauszuholen.

Schlimmer noch: Sollte der Parteivorsitz an eine(n) Kandidaten aus dem eher linken Parteispektrum der Union fallen, und dafür spricht einiges, wird sich der programmatische Erosionsprozeß zwischen den beiden großen Volksparteien CDU und SPD beschleunigt fortsetzen. Für die CSU dürfte sich dann sehr schnell die Frage stellen, ob sie einen derartigen Kurs weiter mittragen will und kann.

Das wertkonservative Wählerlager jedenfalls wird schon bald nach Alternativen Ausschau halten, sollte die Union ihre konservative Integrationsfähigkeit verlieren. Diese Veränderungen werden durch die Tatsache, daß die rot-grüne Bundesregierung auf EU-Ebene durch sozialistische Regierungen flankiert wird, beschleunigt werden. Im Hinblick auf die Politik der EU kann die Union nicht einfach auf Blockade schalten, da sie sich dem europäischen Integrationsprozeß verschrieben hat. Die sich daraus ergebende programmatische Unschärfe wird zu einer weiteren Entfremdung der wertkonservativen Wählerklientel von der Union beitragen.


 
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