© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    09/00 25. Februar 2000


Belagerung Wiens
von Andreas Mölzer

Die Geschichte wiederholt sich nicht, und doch gleichen sich die Bilder: Da war in der Zwischenkriegszeit der "Bürgerblock" auf der einen Seite, und auf der anderen Seite gab es dann später das, was man als "Volksfront" bezeichnete. Auch wenn die Bezeichnung "bürgerlich" höchst fragwürdig ist, da es das Bürgertum im herkömmlichen Sinne nicht mehr gibt, dennoch trifft diese Definition das gegenwärtige Mitte-Rechts-Regierungsbündnis in Österreich zwischen Volkspartei und Freiheitlichen wohl am ehesten. Rückzug des Staates im Bereich der Wirtschaft, mehr Unternehmerfreundlichkeit, leistungsfördernde Anreize, die Unterstützung der Familien und insgesamt so etwas wie eine patriotische Grundstimmung. Diese Grundtendenzen im Regierungsprogramm und im bisherigen Agieren des Kabinetts ist wohl am ehesten mit bürgerlichen Traditionen begründbar.

Auf der anderen Seite gibt es jenes Bündnis, das sich bei der jüngsten Großdemonstration formierte: Sozialdemokraten und Gewerkschafter, Kommunisten, die Zeitgeist-Linke, voran die Kulturschickeria, und schließlich – von niemandem des Platzes verwiesen – linksextreme Randgruppen wie der "Schwarze Block" der Anarcho-Krawallisten.

Normaler demokratischer Widerstreit ist in dieser neuen Konstellation offenbar nur mehr bedingt möglich. Die Linke ist dabei, die regierende Mitte-Rechts-Gruppierung für sich selbst psychologisch-ideologisch auszugrenzen. Man sieht nicht mehr den demokratischen Mitbewerber, sondern tatsächlich den politischen Feind. Insbesondere die Freiheitlichen werden dabei derart kriminalisiert und diffamiert, daß sie vollends als Feinde der Demokratie zu gelten haben. Der Volkspartei wird die Rolle des Helfershelfers zugemessen, die es zugelassen hat, daß durch die "Koalition mit dem Rassismus" eine angeblich extremistische Partei an die Regierung gekommen ist. Diese Ansicht scheint auch im neuen österreichischen Linksbündnis zu gelten.

Wie bei allen Volksfront-Bündnissen scheint es aber auch in Österreich so zu sein, daß die radikale Linke die Führung übernimmt. Dies konnte man bei der Großdemonstration sehr gut erkennen: Die Wortführer waren nicht Sozialdemokraten und Gewerkschaftsführer, sondern Funktionäre dieses Vereins oder in der Wolle gefärbte Kommunisten, wie der französische Alt-Mime Michel Piccoli. Die Ankündigung, die Demonstration wöchentlich zu wiederholen, läßt darauf schließen, daß die Linke gewillt ist, die Straße und die öffentliche Erregung zum eigentlichen Kampfplatz zu machen. Biedermänner aus Sozialdemokratie und Gewerkschaft haben da offenbar ihre Brandstifter gefunden.


 
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