© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    10/00 03. März 2000

 
Österreich: Gespräch mit Lothar Höbelt über Haiders Rücktritt und das freiheitliche Projekt
"Das Böse ist immer und überall"
Dieter Stein

Wie bewerten Sie den überraschenden Rücktritt Jörg Haiders vom FPÖ-Vorsitz? Eine neues Schnippchen, das er dem Ausland und den Medien schlagen will?

Höbelt: Es ist ein brillianter Schachzug dessen Vorteil auf mehreren Ebenen liegt. Das eine: Sobald Haider nicht mehr offiziell Parteiobmann ist, muß er nicht mehr jede Kleinigkeit, die in der Regierung und in der Partei geschieht, persönlich absegnen und kommentieren. Haider kann sich auf der einen Seite freispielen, auf der anderen Seite gewinnt die Regierungsmannschaft an Eigengewicht. Besonders wird die Vizekanzlerin Riess-Passer, von der ich sehr viel halte, gewinnen. Zum zweiten behält Jörg Haider die Möglichkeit, sollte das schwarz-blaue Experiment, diese bürgerliche Regierung Schiffbruch erleiden, in ein paar Jahren zu sagen, daß er doch wiederkommt. Nach außen hin kann man diesen Schritt als De-Eskalation sehen, als Zeichen, daß man alles tut, um der Regierung und den EU-Partnern das Leben leichter zu machen.

Bekommt Haider bei den Österreichern durch den Rücktritt verstärkt Zustimmung?

Höbelt: Die meisten Österreicher werden es begrüßen, daß Haider das seine dazu beiträgt, daß sich die Lage beruhigt. Auf der anderen Seite erwarten die Österreicher, daß dieser Schritt im Ausland ein Umdenken auslöst. Erfolgen diese milden Gesten aus dem Ausland nicht, dann wird die Geste Haider zumindest zugute gehalten werden.

Ist Haiders Chance, Kanzler zu werden, damit in weitere Ferne gerückt?

Höbelt: Dazu würde ich am liebsten unser wahres Staatsoberhaupt zitieren. Otto von Habsburg hat auf diese Frage nämlich gesagt, der einzige Fehler, den ein Politiker nie machen darf, ist zu sterben.

Europa befürchtet Schreckliches aus Österreich und legt das Land unter Bann. Ist nach den ersten Regierungstagen der ÖVP/ÖVP-Koalition nicht vielmehr zu erwarten, daß sich fast gar nichts ändert?

Höbelt: Europa bzw. Teile seiner politischen Klasse fürchten natürlich wie überall – und das nicht ganz zu Unrecht – primär die eigenen Wähler. Solange Haider-bashing da Linderung verspricht, wird man sich der Sache lustvoll widmen; aber derlei Aufgeregtheiten stehen unter dem Gesetz der abnehmenden Erträge: Nichts ist so langweilig wie der Skandal von vorgestern. Daß die neue österreichische Regierung tendenziell eher zu vorsichtig als zu radikal vorgeht, ist zweifelsohne wahr – und zwar nicht nur im Vergleich zu den Erwartungen ihrer Gegner, die zu erfüllen wohl selbst Dschingis Khan in seinen besten Jahren kaum in der Lage wäre, sondern vor allem auch gemessen am Reformbedarf, der in der österreichischen Politik tatsächlich herrscht. Dabei muß man ihr natürlich – frei nach Max Weber – zugute halten: Politik ist das geduldige Bohren harter Bretter, und das noch dazu auf den Glotz'schen Tankern, die sich schwer wenden lassen.

Mit den Freiheitlichen verband man konkrete Forderungen nach einem Zurückdrängen der Parteibuchwirtschaft, nach drastische Reduzierung der Staatsquote, kurz, nach einem rabiaten Zurückstutzen des Staates auf seine notwendigen Grundfunktionen. Welche konkreten Regierungsmaßahmen stützen diese Annahme?

Höbelt: Zur Objektivierung der Postenvergabe im öffentlichen Dienst hat man sich sofort eine Kommission einfallen lassen. Das fällt ins Ressort der sehr kompetenten Vizekanzlerin Riess-Passer und daher bin ich guten Mutes, daß auch etwas daraus wird, soweit das in einem so "versäulten" Land wie Österreich überhaupt möglich ist. Das Durchforsten der Ausgaben und der Aufgaben des Staates ist nur längerfristig in Angriff zu nehmen – da wird es darauf ankommen, daß der Druck in dieser Richtung nicht nachläßt. Mit einem einmaligen Hau-Ruck ist es da nicht getan.

Besteht die Gefahr, daß die FPÖ im Rahmen der Regierungsbeteiligung "im Bunde der Dritte" der bislang scharf kritisierten Parteibuchwirtschaft wird? Mit anderen Worten: Geht es der FPÖ mehr um Teilhabe und Profit am Staat oder um die grundlegende Beseitigung der Ursachen von Korruption und Staatswirtschaft?

Höbelt: Man hat im Zusammenhang mit der Übernahme der Ministerien oft gespottet, die "Personaldecke" der FPÖ sei eben viel zu dünn. Das hat auf der anderen Seite eben den Vorteil, daß gar kein so großer Druck in Richtung "jobs for the boys" besteht. Die Gefahr, die ich sehe, ist eine andere: Man hat Privatisierung allzuoft als bloße Kapitalauffrischung für die bestehende staatsnahe Managergarnitur betrachtet. Ohne Beteiligung ausländischer Kapitalgruppen ist ein echtes Freispielen solcher Betriebe von alten Abhängigkeiten schwer vorstellbar. Da darf man sich dann nicht von dem alten Kalauer vom Ausverkauf abschrecken lassen. Unter Umständen ließe sich im Zusammenhang damit vielleicht sogar eine recht interessante Strategie auch für die politischen Außenbeziehungen aufbauen.

Wie wird sich die FPÖ konkret im Falle der staatlichen Presseförderung verhalten, die eine unverhohlene Subventionierung staatsnaher Medien darstellt? Abschaffung oder Ausdehnung der Förderung auf FPÖ-nahe Medien?

Höbelt: Nachdem es kaum FPÖ-nahe Medien gibt, fällt letzteres kaum ins Gewicht. Ich hoffe, man ringt sich da zu einer möglichst radikalen Lösung durch.

Welche Bedeutung sehen Sie persönlich in staatsferner, privat finanzierter, institutionalisierter politisch-wissenschaftlicher Arbeit? In Amerika ist die Stiftungspraxis sehr ausgeweitet, in Deutschland und Österreich stecken wir in dieser Hinsicht in den Kinderschuhen. Brauchen wir hier eine Stiftungs-Gründer-Welle?

Höbelt: In Österreich haben die Interessensvertretungen – Stichwort: Sozialpartnerschaft – schon darauf geachtet, daß selbst die ihnen nahestehenden Parteien schon einmal rein informationsmäßig auf sie angewiesen bleiben – oder auf die staatliche Bürokratie. Für eine breitgefächerte Erörterung von Alternativen zum status quo wären unabhängige Stiftungen natürlich notwendig. Von einer Welle würde ich da gar nicht träumen: Lieber wenige, dafür gute, die sich möglichst konkreten Fragestellungen widmen müßten, nicht wolkigen Ideologieentwürfen, wo zum 127sten mal das Rad neu erfunden wird oder man bloß das Lamento über die Bosheit des Gegners anstimmt. Dafür genügt nämlich der klassische Stammtisch auch.

Der Historiker Karlheinz Weißmann regte in einem JF-Interview die Gründung eines "Reemtsma-Institutes von rechts" an. Welche Bedeutung könnte ein solches Institut Ihrer Meinung nach haben?

Höbelt: Vermutlich wäre es politisch sinnvoll, mit wissenschaftlich verbrämtem Agit-Prop à la Wehrmachtsausstellung beispielsweise immer wieder auf die Verbrechen des Stalinismus hinzuweisen. Wie sehr politischer Massenmord hier immer wieder völlig arbiträr in "einmalige" Verbrechen hier und quasi welthistorische Kavaliersdelikte dort unterteilt wird, schreit ja förmlich nach einer solchen Reaktion. Ich gestehe aber im selben Atemzug, daß mir persönlich derlei argumenta ad hominem eigentlich zuwider sind. Ich möchte als Historiker auch Stalin vorurteilsfrei behandelt wissen und nicht mit politisch korrektem Schaum vor dem Mund.

Würden Sie die Gründung eines solchen freiheitlich-konservativen Institutes begrüßen?

Höbelt: Im Prinzip ja, aber: Nur ja keine große Verwaltung, Büros, Sekretariate etc.

Sie bezeichnen Ihren politischen Standort als "libertär". Im deutschen Sprachraum wird dieser Begriff eher polemisch verwendet. Gibt es einen Nachholbedarf über die Ideen der "Libertarians" im angloamerikanischen Raum?

Höbelt: Kontinentaleuropäische Konservative gehen offenbar unterbewußt immer noch davon aus, daß ihnen die Staatsgewalt nur durch ungünstige Zufälle entglitten ist und im Idealfall ja wieder zur Verfügung steht. Die US-Tradition à la Jefferson hat sich demgegenüber ihre gesunde Skepsis gegenüber jeglichem "social engineering" bewahrt. Wobei es inzwischen natürlich auch in den USA schon Autoren gibt, die den Gründervätern in diesem Zusammenhang Paranoia vorwerfen. Wenn man mit dem Sozialismus wirklich brechen will und ihn nicht nur katholisch oder national einfärben will, gibt es zu diesem radikalliberalen Modell als Fluchtpunkt freilich keine Alternative. Frei nach dem Motto: Das Böse ist immer und überall, nämlich dort, wo es Bürokratie gibt, wo Bürokratien wuchern und "other people’s money" ausgeben wird

 

Prof. Dr. Lothar Höbelt wurde 1956 in Wien geboren, nach Promotion Assistent bei Heinrich Lutz, Habilitation 1991, Dozent an der Universität Wien seit 1991, Gastdozent an der Universität von Chicago 1992, Außerordentlicher Professor für neuere Geschichte an der Universität Wien seit 1997.

Veröffentlichungen neben zahlreichen Zeitschriften- und Zeitungsbeiträgen auch in der JF u. a.: "Entspannung und Nachrüstung 1937-39" (1983), "Kornblume und Kaiseradler" (1993), "Sacrum Imperium. das Reich und Österreich 996-1806" (1996), "1848 – Österreich und die deutsche Revolution" (1998), "Von der vierten Partei zur dritten Kraft – Die Geschichte des VdU" (1999).

 

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