© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    10/00 03. März 2000

 
Medien: Der Osteuropa-Experte Carl Gustaf Ströhm feiert seinen 70. Geburtstag
Mit der Vespa an den Puls der Völker
Günter Zehm

Redakteure, die Beiträge von ihm in ihr Blatt heben, haben oft Schwierigkeiten mit der Namenszeile. Sie schreiben seinen zweiten Vornamen, Gustaf, automatisch mit "v" statt mit "f", und Ströhm empfindet das leicht als einen Angriff auf sein "schwedisches Erbteil", als "mangelnden Respekt" vor den kleinen und kleineren Völkern Europas, speziell Nord- und Ostmitteleuropas.

Seit Herder gab es keinen größeren Fürsprecher dieser Völker in der deutschen Literatur und Presse als Carl Gustaf Ströhm, der am 8. März siebzig Jahre alt wird. Er wurde in Reval in Estland geboren, sein Vater entstammte einer deutsch-schwedischen Literatenfamilie, die dort jahrhundertelang eine berühmte Buchhandlung führte, seine Mutter war die Tochter eines zaristischen Admirals. Nicht weniger tief geprägt als von Vater und Mutter wurde er von seinem estnischen Kindermädchen, er wuchs dreisprachig auf, deutsch, russisch und estnisch, und das Estnische ist ihm, wie er manchmal sagt, "fast das Liebste".

Durch den Zweiten Weltkrieg um den Vater gebracht und aus der Heimat vertrieben, landete er in Süddeutschland, studierte in Tübingen bei Rotfels, Eschenburg und Markert, verfaßte eine brillante Dissertation über die leninsche Nationalitätenpolitik. Dann kam der Journalismus über ihn, fortan arbeitete er für Christ und Welt und für die Welt, für die "Deutsche Welle" in Köln und für den Bayerischen Rundfunk – und das Thema seines Lebens waren Schicksal und Befindlichkeit der kleinen ostmitteleuropäischen Völker, ihre oft tragische Stellung zwischen Deutschland und Rußland, ihr Freiheitsverlangen gegenüber Bolschewismus und Sowjetimperialismus, ihr schwerer Kampf um politische Selbstbestimmung und kulturelle Identität.

Ströhm ist nie einer Großtheorie auf den Leim gegangen, hat nie vom Schreibtisch aus dekretiert, hat nie an "Endgültigkeiten" geglaubt. Mit der Vespa, später mit dem BMW 700 bereiste er schon in den fünfziger und frühen sechziger Jahren auf abenteuerliche Weise den gesamten Ostblock bis nach China, studierte das Leben der Menschen "vor Ort", horchte auf den Puls der Völker, ließ sich von niemandem ein X für ein U aufschwatzen. Seine Reportagen und Analysen machten Sensation, bald wurde er als "Ostexperte" geschätzt, aber auch (von den offiziellen Instanzen) beargwöhnt und bei der Arbeit behindert.

Es entstand das für einen "Ostexperten" damals übliche Pingpongspiel mit den Behörden um Reiseerlaubnisse und Offenherzigkeiten, und Ströhm wurde der wahre Meister dieses Spiels. Er dachte nicht daran, mit seiner Meinung hinter dem Berg zu halten, formulierte aber immer so, daß selbst dem grimmigsten Zensor oft genug die rote Tinte im Füller stockte. Er packte die Mächtigen, von Tito bis Kadar, von Schivkov bis Ceaucescu, gewissermaßen am nationalen Portepee, so daß sie die "reine Lehre" für den Augenblick hintanstellten und als Patrioten reagierten statt als Parteifunktionäre.

Beim "gewöhnlichen" östlichen Publikum, beim sprichwörtlichen "kleinen Mann" drüben, hatte Ströhm sowieso einen Stein im Brett. Die von ihm (zusammen mit Botho Kirsch) gestalteten Osteuropa-Sendungen der Deutschen Welle wurden so populär, daß die Sowjetregierung auf diplomatischem Wege dagegen in Bonn intervenierte. Als Alexander Solschenizyn, 1974 ausgewiesen, im Westen ankam, war der erste Gesprächspartner, den er suchte, Carl Gustaf Ströhm, nicht zuletzt, um sich bei ihm für seine Sendungen zu bedanken. Das kontrastierte auffällig zu den deutschen Rundfunkräten, die ihrerseits alles daransetzten, Ströhm und Kirsch die Arbeit zu erschweren, und sie schließlich ganz aus der Deutschen Welle hinausmanipulierten.

Das ostmitteleuropäische Publikum, vom Baltikum bis zur Adria, von Talinn bis Dubrovnik, spürt beim Hören und bei der Lektüre von Ströhm, daß hier einer ist, der seine Probleme nicht mit westlicher Überheblichkeit traktiert, sondern sich wahrhaft auf sie einläßt, der nicht von, sondern mit seinem Publikum lebt. Dafür wird er, der heute die meiste Zeit in Zagreb und in Wien arbeitet, geliebt, bewundert und verehrt. Man erkennt, daß es genau diese Art von Publizistik ist, die das neue Europa braucht.


 
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