© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    10/00 03. März 2000

 
Pankraz,
Sherlock Holmes und der Goldfisch im Küchenmixer

Sie können‘s einfach nicht lassen. Kaum ist die Aufregung um Valie Exports Wiener "Installation mit Papagei" abgeklungen, da erschüttert Marco Ivaristtis "Installation mit Goldfisch" die Kunstwelt, diesmal in Dänemark. Kunst schreit offenbar nach Blut, nach Tierblut.

Ivaristtis Installation zeigt lebende Goldfische, die im Glasbehälter von Küchenmixern schwimmen. Die Ausstellungsbesucher können den Mixer per Knopfdruck in Tätigkeit setzen und dann zusehen, wie er die Fische zerhackt und in Mus verwandelt. Tierschützer alarmierten die Polizei, aber die zeigte sich machtlos. Der Ausstellungsleiter Peter Meyer weigerte sich unter Berufung auf die Freiheit der Kunst, die Installation zu entfernen.

Nie habe es in der Intention des Künstlers gelegen, die Goldfische zu töten, erklärte er. Ivaristti habe die Tötung vielmehr ins Belieben der Ausstellungsbesucher gestellt. Daß die dann tatsächlich gelegentlich auf den Knopf drücken, sei nicht dem Künstler anzulasten, sondern der Gewaltbereitschaft der Besucher, welche ihrerseits auf gewisse "gewalttätige Tendenzen in unserer Gesellschaft" schließen lasse.

Sehr raffiniert dies alles! Bei Valie Export in Wien ging es dagegen vergleichsweise simpel zu. Valie übernahm es selbst, die Papageien bei lebendigem Leibe mit heißem Wachs zu übergießen, um sie so minutenlang (nämlich bis zum Eintritt des Todes infolge Überhitzung und Luftabschließung) in "sterbende Statuen" zu verwandeln. Nur faschistische Kunstbanausen à la Jörg Haider könnten etwas gegen derartige Formen von Ereigniskunst einwenden, hieß es seinerzeit in Wien.

Auch jetzt in Dänemark sprachen die Künstler und Ausstellungsmacher von einer "unerträglichen Heuchelei der angeblich entrüsteten Öffentlichkeit". Jeden Tag würden in den Schlachthöfen tausende von charmanten Kälbern abgestochen, ohne daß sich jemand darüber aufrege. Sobald aber zwei, drei dumme Goldfische der Kunst zum Opfer fielen, setze es Proteste zuhauf. Da werde mit zweierlei Maß gemessen.

Natürlich fehlte es auch nicht an Hinweisen auf das dunkle Wirken der Skandalpresse. Direktor Meyer vom Trapholt-Museum in Kolding gab zu Protokoll, daß Besucher erst auf den todbringenden Pürierknopf gedrückt hätten, nachdem sie von sensationsgeilen Journalisten "mit hohen Summen" dazu veranlaßt worden seien. Ein Reporter der örtlichen Zeitung dementierte umgehend. Auf den Knopf gedrückt hätten einige freche, grausame Lausbuben ganz ohne Bestechung. Man hätte die Ausstellung nur für Jugendliche unter vierzehn Jahren sperren müssen, und keinem der Goldfische wäre ein Leid geschehen.

Sei dem wie immer, der Kasus schreit nach Auslegung. Ist das Töten von Tieren zum Zwecke menschlicher Lebensfristung erlaubt, zum Zwecke symbolischer Aktion ("Kunst") aber nicht? Die Frage muß nach genauem Für und Wider mit Ja beantwortet werden.

Wenn sich Ereigniskünstler in der Nitsch-Nachfolge auf die blutigen Opferrituale alter Zeiten berufen, um ihre Aktionen zu rechtfertigen, so sind sie darüber zu belehren, daß die Opfer der Vorzeit für die damaligen Stammesgenossen unablösbar mit der Lebensfristung verbunden waren. Die Götter mußten versöhnt und gnädig gestimmt werden, indem man ihnen einen Teil der Beutetiere überließ, andernfalls drohte schlimmstes Ungemach. Kein Mensch in unseren Breiten glaubt heute mehr an die Notwendigkeit solcher Opfer, auch Nitsch & Co. nicht.

Die "Opfer", die sie in ihren Aktionen zelebrieren, sind verlogen, sind zu "Kunst" geworden, wobei, bewußt oder unbewußt, ignoriert wird, daß die Kunst einstmals gerade das Opfer ersetzte, an die Stelle des Opfers trat. Schlachtung wurde in Mimesis verwandelt, in So-tun-als-ob. Reales Blut wurde zu Theaterblut. Nitsch, Export oder Ivaristti lassen nur deshalb wieder reales Blut fließen, weil sie nicht in der Lage sind, wirkliche Kunst zu machen, und das wahrscheinlich auch wissen. Es sind Scharlatane, die sich wie Priester der Vorzeit aufführen, um ihre eigene künstlerische Ohnmacht zu verdecken.

Jeder gerecht Denkende im Pu-blikum spürt das und ist verstimmt. Den Tieren (Papageien zum Beispiel sind sehr kluge und stolze Tiere) wird ihr Opferstatus geraubt, ihre Heiligkeit, sie werden zu Statisten einer Scharlatanerie und müssen das auch noch mit dem Tod bezahlen. Nicht nur Tierschützer sollten hier einschreiten.

Letzlich sind nämlich gar nicht die Tiere gemeint, sondern die Menschen. Um in alten Zeiten die Götter gnädig zu stimmen, wurden zuerst Menschen geopfert, das Tieropfer war bereits ein spätes Substitut, eine Zwischenphase zwischen Menschenopfer und Kunst. Im modernen Rücklauf nun von der Kunst zum Opfer ist das Tier wiederum Substitut und Zwischenphase. Im Grunde zielen die aktuellen Ereigniskünstler auf Menschenopfer, und auch dies spürt das Publikum und ist auf der Hut.

Es gibt eine Sherlock-Holmes-Erzählung aus der Jugendstilzeit um 1900, in der dieses notwendige Auf-der-Hut-Sein vor den mörderischen Anwandlungen ohmächtiger Möchtegernkünstler schon früh thematisiert worden ist. Holmes und Watson begegnen da einem "Bildhauer", dessen dramatische Menschenplastiken die Sensation der großen Kunstsalons sind, aber dem unübertrefflichen Holmes gelingt es zu zeigen, daß es sich bei diesen Plastiken um reale Menschen aus dem Hafenviertel handelt, die der Künstler getötet und mit einem galvanisierten Metallüberzug versehen hat.

Eine ordentlich gruselige Geschichte war das, gegen die sich die dänischen Goldfische im Küchenmixer noch ziemlich gemütlich ausnehmen. Jedoch und wieder einmal: Wehret den Anfängen!


 
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