© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    10/00 03. März 2000

 
Österreich: Eine wichtige Sache wird ins Lächerliche gezogen
Widerstand aus dem Café
Günter Zehm

Eine an sich schöne und wichtige Vokabel ist in den letzten Wochen auf unsägliche Weise profaniert und verballhornt worden: die Vokabel "Widerstand", "künstlerischer Widerstand". Linke Wiener   Intellektuelle waren die Profanierer, die Verballhorner. In pompösen Kundgebungen riefen sie den "künstlerischen Widerstand" gegen die neue ÖVP/FPÖ-Regierung aus und ergingen sich in eitlen Diskursen darüber, ob sie "dableiben oder weggehen" sollten, um diesen Widerstand zu realisieren. Einige schreckten nicht einmal davor zurück, sich selbst als "Widerstandskämpfer" zu bezeichnen, sich in eine Reihe zu stellen mit bekannten Märtyrern, die für ihre Überzeugungen mit dem Leben einstanden und deren Werke verboten und eingestampft wurden.

Dabei ist völlig klar, daß in Wien weder Leib noch Werk irgendeines Künstlers bedroht sind, daß es nicht einmal um die Kürzung von Stipendien, Staatspreisen oder sonstigen staatlichen Zuwendungen geht. Die selbsternannten Widerstandskämpfer diskutieren denn auch nicht darüber, ob sie mehr Preise und Subventionen fordern sollen, sondern sie diskutieren darüber, ob sie die ihnen zugesprochenen Preise oder sonstigen Geldsummen mit stolzer Gebärde zurückweisen oder vielleicht doch annehmen sollen und wie man im Falle einer Annahme trotzdem "Widerstand" markieren könne. Dem Preisverleiher ins Gesicht spucken? Ihm nach Empfang des Geldes den nackten Hintern zeigen? Das sind so die Fragen, die den neuen Wiener Widerstand bewegen.

Die Debatte wirkt deshalb besonders obszön, weil zur gleichen Zeit in anderen Weltgegenden, in Nigeria, in Iran, in China, viele Intellektuelle nicht nur keine Preise bekommen, nicht nur keine Werke veröffentlichen können, sondern buchstäblich um ihr nacktes Leben bangen müssen. In Mitteleuropa ist es gerade zehn Jahre her, daß auch hier intellektueller Widerstand eine Frage auf Leben und Tod war oder zumindest den Verlust der Heimat bzw. jeglicher Arbeitsmöglichkeiten nach sich zog, zum Schweigen verurteilte oder zum äsopischen Sprechen, zum Erlernen von Sklavensprache, um die Mächtigen zu täuschen und wenigstens einen Hauch von sich selbst an die Öffentlichkeit dringen zu lassen.

Widerstand bedeutet ja, schon dem Wortlaut nach, nicht bloßes Dagegensein; wer dagegen ist und das halbwegs unverstellt ausdrücken darf, leistet keinen Widerstand, sondern ist eben nur anderer Meinung. Erst die psychische und physische Bedrängnis, die Drohung mit Gefängnis und Genickschuß, der terroristische Zugriff früh um halb sechs auf Manuskripte, Computer und Kasetten, treibt in den Widerstand, erst dann entscheidet sich, wer wirklich Widerstand zu leisten vermag oder wer nichts als ein feiger Schwätzer ist, der sofort den Schwanz einzieht, wenn es ernst wird.

Wirklicher Widerstand ist auch keine Sache für schnell aufbrausende Empörer, die nur "alles oder nichts" haben wollen und deshalb leicht ins Schweigeloch zu treiben sind. Es ist vielmehr ein zäher Grabenkampf um oft minimalen Geländegewinn. Hier ein erfolgreiches Täuschungsmanöver gegenüber dem zuständigen Zensor, dort ein unbequemes Bild an der gestrengen Auswahlkommission vorbei in die Ausstellung geschmuggelt, da ein funkelnder kleiner Palimpsest, hier ein abgründiger, mehrdeutig auslegbarer Scherz in der populären Unterhaltungsshow – davon lebt der intellektuelle Widerstand, der seinen Namen verdient. Er macht bescheiden und rechnet in der Regel mit langen Fristen.

Und immer dabei ist die bohrende Selbstprüfung, das ehrliche Mit-sich-ins-Reine-Kommen. Wie weit darfst du Zugeständnisse machen, ohne zum erklärten Mitläufer und Nutznießer zu werden? Wo beginnt die Zone der Kopfschüsse? Ist wirklich alles nur Machtkalkül, was der Zensor dir vorschlägt, hat er nicht vielleicht manchmal auch sachlich recht? Und vor allem: Wie wirkt sich dein Verhalten auf andere aus, auf Kampfgefährten, die durch dich in Schwierigkeiten kommen könnten, auf junge Leute, die durch dich entmutigt werden könnten, auf dieses und jenes Mitglied des "Apparats", das vom Temperament her ziemlich liberal ist und gern mal ein Auge (oder auch zwei) zudrückt und dessen Ersetzung durch grobe Hardliner die Sache nur schlimmer machen würde?

Wie gesagt, solcher realer Widerstand wurde vor noch gar nicht langer Zeit rund um Österreich herum fleißig praktiziert, nicht aus Jux und Tollerei, nicht um sich wichtig zu machen und ins Fernsehen zu kommen, sondern aus purer, bitterer Notwendigkeit. Die meisten der Protagonisten leben noch, die Jelinek und Heller, die Brandauer und Turrini brauchen nur einmal nach Budapest oder Warschau oder Dresden zu fahren, um ihnen guten Tag zu sagen und sich von ihnen erzählen zu lassen, was das Wort Widerstand bedeutet und wie und wann man es mit Leben erfüllt.

Die derzeitigen vollmundigen Widerstandsreden im Burgtheater oder im Café Landtmann sind im Grunde eine schwere Beleidigung für alle, die in Europa in den letzten Dezennien intellektuellen Widerstand geleistet haben. Und man täusche sich nicht: Diese Beleidigten sind alles andere als Hinterwäldler, sie wissen sehr wohl zu unterscheiden zwischen gestern und heute, sie haben sehr wohl einen Blick, sogar einen sehr genauen, für geänderte und letztlich doch gleich gebliebene Zeitumstände, für die neu-alte Art von Geistesterror und intellektueller Unterdrückung, die mit künstlich in Bewegung gehaltenen Antifa-Keulen ausgeübt wird.

Nur wenige der ehemaligen echten Widerstandskämpfer werden wohl so weit gehen wollen, die merkwürdigen Luxus-Widerstandskämpfer aus den Dramaturgien und Café-Häusern als die eigentlichen Unterdrücker zu identifizieren, gegen die Widerstand geleistet werden muß. Noch ist es nicht so weit. Aber die Fronten beginnen sich zu verwerfen. Beleidigen läßt sich niemand gern, permanent beleidigen schon gar nicht. Was gefordert wird, und zwar von allen Seiten, ist Sprachempfindlichkeit. Maulhelden, die sich für Sprachkünstler halten, richten zur Zeit das größte Unheil an.

 

Prof. Dr. Günter Zehm lehrt Philosophie an der Universität Jena


 
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