© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    10/00 03. März 2000

 
CD: Pop
Aus der Distanz
Doris Neujahr

Was tun, wenn das Land, in dem man lebt, von einem größeren einfach aufgesogen wird, wenn die Art und Weise, in der dort geredet, gesungen, musiziert wurde, plötzlich nichts mehr zählt, und das Beste, was man in Opposition zu ihm zur hohen Kunst entwickelt hat – Ironie, Sarkasmus, hellwache Intelligenz – auf einmal leerläuft? Plötzlich kann niemand mehr sich vorstellen, wie subversiv das war, sich abzusetzen von den Kollegen, die aus der DDR-Rockmusik eine Form höheren Schwachsinns machten von der Sorte: "Und es schuf der Mensch die Erde / daß er daran zum Menschen wurde", stattdessen zu singen: "Mach’s gut, Inge Pawelczik, Du wilde Wahnsinnsmaus. Wir haben die ganze Nacht gepflückt in Deinem Hinterhaus", was im verklemmten SED-Staat anzüglicher war als jede ach so bigotte "Regimekritik"! Und keiner glaubt so recht, daß es keinen Neid bedeutet, wenn André Herzberg über die Pudhys spottet: "Schunkeln, Fußball gut finden am Wochenende und ’ne geschnitzte Kuckucksuhr an der Wand. Das ist für mich Pudhys", über diese Untoten, die man sogar im Westen kannte und bis heute kennt!

Und dann muß man auch erst unterscheiden lernen, wo Selbstkritik und Innovation nach 1989 wirklich angesagt sind und wo sie aufhören und Selbstverleugnung und marktkompatibler Opportunismus beginnen. Auf der Welle wohligen Ostgefühls will man ebenfalls nicht schwimmen und ist andererseits nicht blind genug, die Unterschiede zwischen damals und heute zu leugnen. Und sieht mit bösem Blick auch die Gemeinsamkeiten, wenn gutbürgerliche Herrschaften in Hamburg oder Bremen ihrem abgehalfterten Idol, einem notorischen Gesetzesbrecher, zujubeln wie die PDS-Grufties in Ost-Berlin und Rostock ihrem Egon Krenz! Dann wird man weise und zynisch und sieht ein, daß Kritik in der Kunst bloß noch als Parodie ihrer selbst möglich ist! Doch auch der Zynismus bricht sich an der Tatsache, daß nur eine unterwürfige Fixierung als "Heinz-Rudolf-Kunze des Ostens" eine Chance eröffnet, in den Kreisverkehr der Medien zu kommen und ein bißchen Geld zu verdienen. Dann ist es in der Tat am besten, in einem prolligen Dessauer Kulturhaus sein Abschiedskonzert zu geben, wie die Pankow-Band im März 1999.

Und sich danach, wie ihr Sänger André Herzberg, auf alte Tugenden zu besinnen, eine Solokarriere zu versuchen, eine neue CD zu veröffentlichen, darauf jeweils sechs Lieder der beiden letzten, unbemerkt gebliebenen Pankow-CDs zu plazieren – effizienter Materialeinsatz plus Wiedererkennungseffekt! – und diese mit zwei neuen Liedern zu garnieren, sie "Ausverkauf" (Untertitel: "Herzberg 1991– ’99". CD 21 70819-99, K&P Music) zu nennen und zu zeigen, daß man begriffen und Distanz zu allem und vor allem zu sich selber hat. Melodisch, unsentimental, voller funkelnder Ironie ist der Song: "Wir sind alle Verkäufer, das ist der Sinn, nur wenn du nichts zu verkaufen hast, haut dein Leben nicht hin", der für die Hans-Fallada-Revue "Kleiner Mann – was nun?" am Leipziger Schauspielhaus geschrieben wurde. Rockig kommt sein "Kauf mich" daher: "Ich bin willig / ich bin kritisch / aus dem Osten / also billig", bluesmäßig das Lied "Nichts bleibt wie es ist." Von Ohrwurmqualität ist das Eingangslied, in dem er mit spröder, kratziger Stimme die gültigen, in Serienproduktion entstandenen Lebensentwürfe besingt und todesmutig bekennt: "Ich will mit dabeisein". Das kann man sich nach dieser schönen CD nicht wirklich vorstellen – und atmet auf!


 
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