© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    11/00 10. März 2000

 
CDU-Führungskrise: Das Rennen um den Parteivorsitz ist gelaufen
Begeistert von "Angie"
Paul Rosen

Namen waren in der Politik schon immer interessanter als Inhalte. Die SPD gewann die Bundestagswahl nicht nur, weil ein zu groß gewordenen Teil der Bürger den Patriarchen Helmut Kohl nicht mehr sehen konnte, sondern weil der Herausforderer Gerhard Schröder nicht für Programme, sondern allenfalls für schwammige Ankündigungen einer "Neuen Mitte" stand. Auch die CDU konzentriert sich nicht auf Buchhaltungslisten und Anträge für den Parteitag, sondern will neue Gesichter an der Spitze sehen. Die Bundestagsfraktion hat mit der Wahl des Sauerländers Friedrich Merz bereits die Konsequenzen gezogen und Wolfgang Schäuble aufs politische Altenteil geschickt. Geht es nach der Basis der Christdemokraten, steht das neue Gesicht für die Partei auch schon fest: Angela Merkel.

Vergeblich warnte der abgehalfterte Spitzenkandidat von Schleswig-Holstein und vorübergehende Konkurrent von Frau Merkel für den Parteivorsitz, Volker Rühe, nicht nur die Basis dürfe auf Regionalkonferenzen die Neubesetzung der Führung bestimmen, sondern Präsidium und Vorstand sollten auch noch ein Wörtchen mitreden. Frau Merkel hat ganze Arbeit geleistet. "Das Mädchen", so der Spottname für die ehemalige Umweltministerin, war allenthalben unterschätzt worden.

Denn wie ehrgeizig die in Hamburg geborene und in Mecklenburg-Vorpommern aufgewachsene Pastorentochter ist, hatte sie nach der Wahl zur Generalsekretärin der CDU bewiesen. Das war kurz nach der verlorenen Bundestagswahl, als Partei und Fraktion noch wie gelähmt wirkten, nur Frau Merkel nicht. Sie verabreichte der CDU ein neues Motto ("Mitten im Leben") und ging ans Werk, die auf dem Parteitag im Frühjahr letzten Jahres beschlossenen "Erfurter Leitsätze" mit Leben zu erfüllen. Die vom Wahlabend noch immer verkaterte CDU hatte damals beschlossen, die "modernste Partei Europas zu werden".

Frau Merkel setzte dies besonders in der Familienpolitik um. Modern heißt für sie, daß der gewachsene Familienbegriff mit allerlei Neuem zu füllen ist. In mehreren Reden verlangte sie, die CDU müsse endlich die Realitäten zur Kenntnis nehmen, die bedeuteten, daß jede dritte Ehe geschieden werde und gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften regelmäßig zu finden seien. All das ist heute für die CDU "Familie", auch wenn die verschiedenen Formen des menschlichen Zusammenlebens abgestuft betrachtet werden. Die Ehe rangiert etwas höher, die schwulen Paare ein wenig niedriger. Der Unterschied ist marginal.

Die in ihrer breiten Basis bodenständige und weitgehend konservative CDU hätte diesen Linksrutsch vermutlich ebensowenig akzeptiert wie seinerzeit Heiner Geißlers Versuche, das Wiedervereinigungsgebot aus dem Parteiprogramm zu streichen. Der Unterschied zu Geißler war nur, daß die CDU des Jahres 1999 eine schwere Wahlniederlage hinter sich hatte und bereit war, jede Medizin zu schlucken, die Heilung versprach. Und war nicht ausgerechnet Frau Merkel, die protestantische Norddeutsche, erfolgreich gewesen? Schließlich gelang der CDU im Frühjahr, Sommer und Herbst des letzten Jahres eine ganze Serie von Wahlsiegen.

So ging Frau Merkel zusammen mit dem nordrhein-westfälischen Landeschef Jürgen Rüttgers an die Veränderung der bildungspolitischen Vorstellungen. Wiederum ging es darum, die CDU sozialdemokratischer zu machen. Der früher manifeste Widerstand gegen Gesamtschulen wird nunmehr nur noch zur Kenntnis genommen. Etwas überspitzt ausgedrückt: Bei der CDU kann jeder Abitur bekommen, der will. Ähnlich sahen es die Sozialdemokraten vor 25 Jahren. Dahinter steckt die Überlegung, man könne um so besser in die Wählerpotentiale der Roten einbrechen, je offener man deren Posititonen übernimmt.

In der Kohl-Ära stand Merkel für die Quote

Die linke Verstetigung der CDU fand ihr jähes Ende, als das Finanzgebaren des "Bimbes"-Kanzlers Helmut Kohl offenbar wurde und die Spendenaffäre das Licht früherer Wahlsiege schnell verdunkelte. Aber wieder war es Frau Merkel, die im hellen Scheinwerferlicht blieb und mit der Affäre nichts zu tun hatte. Nur sie, die 44jährige Physikerin aus dem Osten, wirkte unbelastet. Dazu gehörte schon eine Menge Schauspielerei, denn Rühe verkniff sich, als er noch Konkurrent im Rennen um den Parteivorsitz war, nicht die Frage, ob Frau Merkel als langjährige stellvertretende CDU-Vorsitzede nicht irgendwie auch nah dran am System Kohl gewesen sei. Doch die Generalsekretärin stand in der Ära Kohl nur für die Quote: Ossi und Frau, sonst nichts.

Mit einer Duchsetzungskraft, die an den Kampf um die besten Plätze in der Schlange vor dem HO-Laden erinnert, setzte sich Frau Merkel in der Partei durch und von Kohl ab. Sie wagte den Tabubruch und forderte den Patriarchen im Dezember zur Rückgabe aller Parteiämter in einem Namensartikel in der FAZ auf. Die Partei erbebte. Der Zögerer Schäuble schien Frau Merkel erst im Stich zu lassen, aber als die CDU durch Kohls Ehrenwort immer tiefer in die Krise rutschte, machte auch Schäuble mit. Kohl verzichtete schließlich im Januar auf alle Ämter und fiel ins Nichts. Sein Spendensammelzug durch die Republik, um den Schaden wiedergutzumachen, trägt infantile Züge.

Daß auch Schäuble selbst sich in die Affäre verstrickte, half wiederum Frau Merkel bei ihrem weiteren Aufstieg. Die Fraktion stürzte den Parteichef ohne direktes Mittun der Generalsekretärin; auf den bereits angesetzten Regionalkonferenzen wurde sie wie eine Heldin gefeiert. Selbst im konservativsten Niedersachsen, in Wolfenbüttel, sah man Wilfried Hasselmann, den Altvorderen der CDU-Rechten, Frau Merkel ein Busserl auf die geröteten Wangen drücken. Die CSU, speziell ihre Führungsleute Edmund Stoiber und Michael Glos, spürten das nach den begeisterten "Angie, Angie"-Rufen drohende Unheil: Sie warnten die CDU vor einem Linkruck und erreichten damit das genaue Gegenteil.

Biedenkopf will nicht gegen Merkel antreten

Die CDU-Funktionäre, die die Ära Strauß mit den ständigen Donnernwettern aus München gegen Bonn nicht vergessen hatten, solidarisierten sich noch stärker mit ihrer Generalsekretärin. Schnell kam man in München dahinter, daß der öffentliche Widerstand nichts brachte.

Man verlegte sich auf die Konspiration. Bei einem geheimen Treffen von Stoiber, Rühe und Merz im Lübecker Rathauskeller wurden sich die Herren schnell einig, daß Rühe im direkten Wettkampf gegen Merkel keine Chance haben würde. Beim Bier einigte man sich schließlich darauf, den sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf zu bitten, auf dem CDU-Chefsessel Platz zu nehmen. Der dankte, wollte jedoch wissen, ob er gegen "das Mädchen" antreten müsse. Daran, so die Botschaft aus Dresden, sei nicht zu denken. Doch mit dieser Frage hatte sich die Runde vergessen zu beschäftigen. Dankend lehnte "König Kurt" ab, nachdem er erfahren hatte, daß es für ihn auf dem Essener Parteitag im April keine Siegesparade ohne vorherige Schlacht geben würde. Während Frau Merkel an der Basis weiter Punkte sammelte, mußte die bürgerlich-konservative Fraktion ihren strategischen Bankrott im Lübecker Ratskeller erklären. Prost CDU!


 
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